Europapolitik: Steinmeier warnt vor Isolierung Deutschlands in der EU
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht die Gefahr einer Isolierung Deutschlands in der EU - "wenn auch mit vermeintlich besten Absichten".
Viele junge Leute sitzen im Publikum, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstagnachmittag in seinem Amtssitz im Schloss Bellevue zur Diskussion über die Zukunft der EU begrüßt. Gut eineinhalb Wochen sind es noch bis zur Europawahl, und die jungen Leute machen nicht den Eindruck, als müssten sie von der Teilnahme an der Wahl noch groß überzeugt werden. Die Deutschen gelten als Muster-Europäer, was sich ja auch hierzulande in einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl vor fünf Jahren ausdrückte.
„Wir Deutschen halten uns gern für die besten Europäer“, sagt Steinmeier denn auch zu Beginn eines Gesprächs, bei dem die Podiumsgäste nach seinen Worten „einen ehrlichen Blick von außen auf die deutsche Europapolitik mitgebracht haben“. In der Tat sind der bulgarische Politologe Ivan Krastev, der Autor des brillanten Essays „Europadämmerung“, der niederländische Historiker Luuk van Middelaar, die deutsche Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer als Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze Garanten dafür, dass die kritische Reflektion über die deutsche Europapolitik gelingt.
Steinmeier legt den Grundton für die Diskussion mit den Worten, dass die Brexit-Verhandlungen noch einmal „die größte Stärke“ der EU zutage treten ließen: „die Einsicht, das eigene Interesse nicht ohne den Blick auf das Interesse des andern überhaupt bestimmen zu können“. Allerdings schiebt er die selbstkritische Frage hinterher: „Gelingt uns – uns Deutschen – das in Europa immer und überall?“ Das Risiko, dass sich Deutschland in Europa isoliere – „wenn auch mit vermeintlich besten Absichten“ – sei real, meint Steinmeier.
So wie die Euro-Krise vor allem Bruchlinien zwischen Nord und Süd offenbart hat, so brachte die Flüchtlingskrise im Disput über die Verteilung der Migranten Ost und West gegeneinander auf. Hinzu kam noch das lang anhaltende Schweigen der Bundesregierung auf die Appelle des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Trotz der Anzeichen für eine zunehmende Entfremdung zwischen Deutschland und Frankreich sieht die DGAP-Direktorin Schwarzer aber keine echte Alternative zur Führungsrolle von Berlin und Paris in der EU. Dass das europapolitische Geschäft zwischen Deutschland und Frankreich zunehmend zäh verläuft, hängt nach ihrer Ansicht auch mit der Bedeutung der Streitthemen zusammen: Bei der Solidarität in der Euro-Zone, der Gestaltung der Bankenunion und der Ausgestaltung der Einlagensicherung geht es für Deutschland und Frankreich inzwischen „ans Eingemachte“, analysiert sie.
In den Augen von Adam Tooze wird allerdings die Art und Weise, wie über das geplante Euro-Zonen-Budget und andere gesamteuropäische Investitionstöpfe geredet wird, überhaupt nicht den Herausforderungen durch die Energiewende und die Migration gerecht. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte für das Euro-Zonen-Budget neue Investitionen in einem niedrigen zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr ins Gespräch gebracht. „Das ist um zwei Größenordnungen zu klein“, lautet das Urteil von Tooze.
Krastev lenkt den Blick auf den "Brain drain" aus Osteuropa
Krastev lenkt derweil den Blick auf den „Brain drain“ von Osteuropa Richtung Westen, dessen gesellschaftliche Folgen in Osteuropa hierzulande kaum wahrgenommen werden. Beispielsweise verließen zwischen 2007, dem Jahr des rumänischen EU-Beitritts, und dem Jahr 2017 3,4 Millionen Rumänien ihr Land Richtung Westen, sagte Krastev. Damit gingen Ländern wie Rumänien und Bulgarien auch erhebliche Bildungsressourcen und Investitionen verloren.
Der Niederländer Middelaar ist derweil der Ansicht, dass die Europäer angesichts der Dauerkrisen im vergangenen Jahrzehnt inzwischen entdeckt haben, dass sie eine andere Art von Politik brauchen. In den Anfangsjahren der Europäischen Union, in denen der Binnenmarkt geschaffen wurde, habe die EU noch wie eine große „Entpolitisierungsmaschine“ gewirkt.
Doch inzwischen reicht es nicht mehr, die EU ihren Bürgern allein nur durch ihr juristisches Regelwerk zu erklären. „Es gibt einen Quantensprung“, meint Middelaar. „Die Wähler sind heute sehr viel mehr als in der Vergangenheit interessiert, was in Brüssel passiert.“ Sein Fazit: Die EU-Bürger erleben gerade „eine Europäisierung der nationalen Politik“. Eigentlich keine schlechten Vorzeichen für eine Europawahl.