AKK und Merkel: Eine Falle für zwei
Eine Nur-Noch-Kanzlerin und eine Noch-Nicht-Kanzlerin – nicht nur in der CDU stellt sich die Frage: Wie lange geht das noch gut?
Sie sitzen im Konrad-Adenauer-Haus nebeneinander wie immer, wenn sich die CDU-Spitze trifft: Die Vorsitzende und die Kanzlerin. Annegret Kramp-Karrenbauer trägt blau, Angela Merkel auch, unterschiedliche Färbungen, aber doch der gleiche Grundton. Man könnte das für listig abgesprochen halten, zumal nach dem, was die CDU-Chefin am Montag erst dem Präsidium und dann dem Vorstand zu sagen hat.
Kramp-Karrenbauer ist schon am Wochenende in einem Interview allen Mutmaßungen entgegengetreten, dass sie auf Merkels rasche Ablösung hinarbeite.Am Montag wiederholt sie das Dementi sozusagen amtlich und vor Merkel als Zeugin. Präsidium und Vorstand nahmen es auf ihre Art zur Kenntnis: Die Lage, analysiert einer hinterher, sei also ernst.
Tatsächlich ist Kramp-Karrenbauers Manöver eine Notbremsung – der Versuch, eine Debatte abzufangen, bevor sie noch mehr Fahrt aufnimmt. Die begann, seit die Saarländerin vor einem knappen halben Jahr den Parteivorsitz eroberte. Schon damals stellten sich nicht nur Anhänger des unterlegenen Konkurrenten Friedrich Merz die Frage, wie lange es gut gehen kann mit einer Nur-noch-Kanzlerin und einer Noch-nicht-Kanzlerin. Inzwischen ist die Antwort nahezu einhellig: Bis 2021 nicht.
Ob die beiden das vorausgeahnt haben, als Merkel auf der Parteitagsbühne freudestrahlend die Überraschungssiegerin umarmte? Kramp-Karrenbauer war ihre Wunschnachfolgerin, als von Merz’ Ambitionen noch keine Rede war; und danach erst recht. Merkel sah in der Frau von der Saar eine Geistesverwandte – pragmatisch und weltoffen, zusätzlich in der Partei verwurzelt.
Als „so etwas wie Weggefährtinnen“ beschrieb Kramp-Karrenbauer das Verhältnis jetzt im „Welt am Sonntag“-Interview und versicherte, das sehr gute Miteinander bestehe „nach wie vor“.
Wählbar bis ins linksbürgerliche Milieu
Wahrscheinlich stimmt das, auch wenn sich manches in der CDU nicht ganz in Merkels Sinn entwickelt hat. Dass die Neue im Konrad-Adenauer-Haus in der Flüchtlingspolitik nicht nur auf Kritiker zuging, sondern Grenzschließungen als letztes Mittel für denkbar erklärte, ging über das hinaus, was zur Befriedung der gespaltenen CDU zwingend nötig schien.
Auch sonst hat AKK wenig getan, um das strategische Mantra ihrer Vorgängerin fortzuführen, dass die CDU bis ins linksbürgerliche Milieu hinein wählbar bleiben müsse, um ihre Mehrheitsfähigkeit zu erhalten. Die neue CDU-Chefin wirkt im Gegenteil inzwischen sogar konservativer, als sie eigentlich ist.
Nur steht der Beweis noch aus, dass das der CDU nützt. Dass sich seit dem Amtswechsel im Adenauer-Haus die Umfragen kaum bewegt haben, zeigt zwar einerseits bei wohlwollender Betrachtung, dass die Spaltung der Partei ausgeblieben ist. Doch die kurze Aufbruchstimmung ist auch vorbei.
Und so langsam greift bei manchem die Sorge Platz, dass es der CDU-Vorsitzenden ähnlich ergehen könnte wie der langen Reihe unglücklicher Sozialdemokraten, die zu früh als Kanzlerkandidaten nominiert wurden: Kleine Fehler und an sich banale Ausrutscher addieren sich, bis der Hoffnungsträger schon abgeschrieben ist, bevor das eigentliche Rennen anfängt.
Dass die CDU noch stärker als andere Parteien gewohnt ist, aus einer Hand heraus geführt zu werden, macht die Lage nicht einfacher. Erst Helmut Kohl, dann für kurze Zeit Wolfgang Schäuble, schließlich zwei Jahrzehnte Merkel – immer war einer und eine der Bezugspunkt, selbst für die jeweiligen Kritiker. Die Doppelspitze wirkt da doppelt irritierend.
Merkel hält sich bewusst aus allen Parteiangelegenheiten heraus. Aber das erzeugt auch wieder Irritationen: Im Europawahlkampf tritt ausgerechnet die Frau, die wie keine andere für die deutsche Europapolitik steht, praktisch nur im Ausland auf.
Die Kanzlerin wird immer beliebter
Was um so skurriler wirkt, als die Beliebtheitswerte der Kanzlerin seit ihrem Rückzug von der Parteispitze in die Höhe klettern. Der Effekt ist nicht neu; Merkels Ansehen stieg schon früher immer dann an, wenn sie wenig tat und sagte, weil das vielen Menschen offenbar den Eindruck vermittelte, dass die Dinge schon irgendwie richtig laufen. Nur kommt dieser Präsidialbonus jetzt nicht mehr der Partei zugute, sondern wird zum Maßstab für Kramp-Karrenbauer; zu deren Nachteil, versteht sich.
Das alles schafft Unruhe. Wer mit Abgeordneten spricht, wer Wahlkämpfer trifft – überall ist eine nervöse Unsicherheit zu spüren, wie es weitergehen soll. Eine einfache Lösung hat niemand parat. Die Tür zu einem Tauschgeschäft innerhalb der Regierungskoalition – die SPD wählt Kramp-Karrenbauer im Austausch gegen inhaltliche Zugeständnisse – hat die SPD-Führung ostentativ zugeschlagen.
Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz könnten die Mehrheit in ihrer Fraktion für ein solches Manöver ohnehin nicht garantieren.
Politische Darwinistin
In der CDU glauben viele andererseits auch nicht daran, dass Merkel einfach abdanken würde, bevor sich nicht eine günstige Gelegenheit ergibt. Die Frau aus Templin war immer politische Darwinistin: Sie hat Karrieren möglich gemacht, aber bewähren mussten sich die von ihr Geförderten schon selbst. Kramp-Karrenbauer weiß das offenbar ganz gut. „Freundin“ findet sie als Begriff für ihr Verhältnis zur Kanzlerin zu viel; „Förderin“ mag sie Merkel auch nicht nennen. Bleiben also die „Weggefährtinnen“.
Nur eben: Wie lange geht das noch, ohne dass eine oder beide dem Druck der Verhältnisse weichen müssen? Dass Zeit ein knappes Gut im Politischen ist, bekommt Kramp-Karrenbauer gerade an vielen Fronten zu spüren, in der Klimadebatte etwa. Selbst bei ihrem Lieblingsprojekt als Generalsekretärin, einer Dienstpflicht für junge Leute, kamen andere ihr mit einem klaren Fall von Copyright-Klau zuvor: „Deutschland-Praktikum“ heißt das neuerdings bei der CSU.