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Herrscher über Gaza, Feinde Israels: Wird die Hamas tatsächlich macht an Abbas abgeben?
© Said Khatib/AFP

Hamas und Fatah: Was eine Aussöhnung der Palästinenser bedeuten könnte

Die islamistische Hamas geht nach einer jahrelangen Fehde auf Präsident Abbas zu und will die Verwaltung über Gaza abgeben. Welche Folgen hätte das für die Palästinenser - und den Nahen Osten?

Es klingt nach Versöhnung. Und nach einem Ende der jahrelangen Spaltung. Seit zehn Jahren bekämpfen sich die Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah mit allen Mitteln – jetzt scheinen die radikalen Islamisten zum Einlenken bereit. Die Hamas kündigt an, die Kontrolle des Gazastreifens an die Autonomiebehörde unter der Führung von Präsident Mahmud Abbas abzugeben.

Dazu soll das sogenannte Verwaltungskomitee aufgelöst und Wahlen zu einer nationalen Einheitsregierung abgehalten werden. Die erforderlichen Gespräche zwischen den Rivalen könnten von Ägypten moderiert werden. Die Hamas – die von den USA, der EU und Israel als Terrorgruppe eingestuft wird – lud Vertreter der Palästinenserregierung ein, unverzüglich nach Gaza zu kommen, „um ihren Verpflichtungen nachzukommen“.

Die Fatah sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Noch könne man aber nicht absehen, ob das Angebot ernsthaft und weitreichend sei. Diese Skepsis kommt nicht von ungefähr. In der Vergangenheit gab es mehrere Anläufe für eine Verständigung – die allesamt scheiterten.

Warum macht die Hamas gerade jetzt ein derart weitreichendes Angebot?

Die Hamas steht unter enormem Druck, hat sie doch zuletzt einen ihrer wichtigsten Verbündeten verloren: Katar. Das Land war bisher Hauptunterstützer der Islamisten und der Bevölkerung im Küstenstreifen. Es hat bis zuletzt umgerechnet hunderte Millionen Euro in den Wiederaufbau des Landes investiert.

Doch das Emirat leidet mittlerweile selbst unter einer Blockade vonseiten der Saudis und anderer Golfstaaten. Diese setzen Katar unter Druck, damit es seine Unterstützung für die Terrororganisation einstellt. Einige Hamas-Vertreter, die bisher in Katar lebten, haben das Land schon verlassen. Obendrein hat es sich die Hamas mit dem Iran verscherzt, weil sie sich weigerte, sich im Syrienkrieg auf die Seite von Baschar al Assad zu stellen.

Auch innenpolitisch verliert die Hamas mehr und mehr an Rückhalt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter katastrophalen Bedingungen und ist mit der Herrschaft der Islamisten höchst unzufrieden. Salafistische Gruppen, die sich mit dem „Islamischen Staat“ identifizieren, gewinnen an Rückhalt. Sie waren in den vergangenen Monaten für die Raketen verantwortlich, die auf Israel abgeschossen wurden.

Noch sind die Sicherheitskräfte der Hamas für die Genzsicherung zuständig.
Noch sind die Sicherheitskräfte der Hamas für die Genzsicherung zuständig.
© Ibraheem Abu Mustafa/Reuters

Kobi Michael, Sicherheitsexperte am israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien, hält es deshalb für einen cleveren Schachzug, die Abbas-Regierung einzuladen, nach Gaza zurückzukehren. „Die Hamas spielt den Ball nun der Autonomiebehörde zu, damit diese sich um die Probleme kümmert.“

Das heißt: Wiederaufbau, Stromkrise, Armut und Arbeitslosigkeit. Fraglich ist, ob Abbas diese Verantwortung tatsächlich übernehmen will. Und ob die Islamisten wirklich bereit sind, die komplette Macht abzugeben. Kobi Michael bezweifelt das. „Wenn die palästinensische Regierung in den Gazastreifen zurückkehrt, wird sie wohl vom militärischen Flügel der Hamas kontrolliert werden.“

Wie sieht die Lage im Gazastreifen aus?

Düster, im wahrsten Sinne des Wortes. Aus Verärgerung über die „Schattenregierung“ der Hamas im Gazastreifen zog die Palästinensische Autonomiebehörde vor einigen Monaten Konsequenzen: Sie kürzte die Gehälter für ihre dort tätigen Angestellten und das Geld für die Stromlieferungen aus Israel in den Küstenstreifen.

An manchen Tagen gibt es seither nur noch drei, vier Stunden lang Elektrizität. Das heißt, nicht nur das Licht, auch das Internet und die Kühlschränke fallen aus. Familien müssen daher täglich auf den Markt, weil die Waren verderben. Auch Krankenhäuser leiden unter dem Strommangel. Selbst die Dieselgeneratoren, die ersatzweise Strom liefern, können dort nicht jeden Ausfall überbrücken. Die meisten Familien haben für diese Geräte kein Geld.

Die Armut im Gazastreifen ist hoch, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 40 Prozent, fast 60 Prozent der Jugendlichen sind ohne Job. 80 Prozent der Menschen in Gaza sind auf Hilfe angewiesen. Und noch immer sind längst nicht alle Häuser wieder aufgebaut, die im Krieg gegen Israel 2014 zerstört wurden.

Aber den Gazastreifen zu verlassen, ist für die Menschen nahezu unmöglich. Sie leiden nicht nur unter einer Blockade der Ägypter, sondern seit der Machtübernahme der Hamas 2007 auch unter einer der Israelis. So kommen nur bestimmte Waren über die streng kontrollierte Grenze.

Welche Rolle spielt Ägypten?

Vor gut fünf Jahren schien für die Herrscher von Gaza ein goldenes Zeitalter anzubrechen. In Kairo kamen mit Präsident Mohammed Mursi die Muslimbrüder an die Macht. Ein führender Repräsentant der Mutterorganisation – die Hamas entstand 1987 als militanter Ableger der islamistischen Bewegung – sollte fortan die Geschicke Ägyptens lenken.

Die Freude währte allerdings nur kurz. Mursi wurde von Armeechef Abdel Fatah al Sisi gestürzt. Und der machte es sich als Präsident zur Aufgabe, die Muslimbruderschaft zu zerschlagen. Diesen Konfrontationskurs bekam auch die Hamas zu spüren. Al Sisi ließ die Grenze zu Gaza abriegeln, errichtete eine Sperrzone und kappte so die Versorgungswege der Islamisten.

Die Hamas sah sich gezwungen, auf Kairos Forderungen einzugehen. So musste die Organisation schriftlich erklären, sich keinesfalls in Ägyptens innere Angelegenheiten einzumischen. Auch musste sich die Hamas von der Muslimbruderschaft distanzieren. Vor Kurzem erklärten sich die Gaza-Islamisten bereit, gemeinsam mit den ägyptischen Sicherheitskräften gegen IS-Terroristen auf der Halbinsel Sinai vorzugehen.

Das jetzige Angebot an die Fatah könnte also auf Kairos Druck zurückzuführen sein. Allerdings ist al Sisi kein großer Freund von Abbas. Die Führung in Kairo setzt ebenso wie das Herrscherhaus in den Vereinigten Arabischen Emiraten vielmehr auf Mohammed Dahlan.

Der heute 55-Jährige war einst der gefürchtete Sicherheitschef der Autonomiebehörde in Gaza, fiel allerdings vor zehn Jahren in Ungnade und musste ins Exil. Es heißt jedoch, der Millionär Dahlan möchte unbedingt an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren.

Was bedeutet der Vorstoß der Hamas für Mahmud Abbas?

Der Präsident ist jetzt 82 Jahre alt. Sein ganzes politisches Leben hat er der Aufgabe gewidmet, den Palästinensern einen eigenen Staat zu ermöglichen – bis zum heutigen Tag erfolglos. Beim Volk hat Abbas deshalb dramatisch an Rückhalt verloren. Junge Palästinenser kennen nichts anderes als die Besatzung durch Israel und machen Abbas dafür mit verantwortlich, dass sich daran nichts geändert hat.

Dem Chef der Autonomiebehörde wird außerdem vorgeworfen, seit Jahren ohne die Legitimation einer Wahl zu regieren, nicht entschieden genug gegen Korruption vorzugehen und gerade in Sicherheitsfragen zu eng mit Israel zu kooperieren. Das Angebot der Hamas könnte für Abbas daher so etwas wie ein kleiner Befreiungsschlag werden. Wenn sich die palästinensischen Brüder unter seiner Ägide wieder versöhnen würden, hätte er endlich etwas vorzuweisen.

Palästinenserpräsident Abbas setzt die Hamas seit Monaten unter Druck.
Palästinenserpräsident Abbas setzt die Hamas seit Monaten unter Druck.
© Abbas Momani/AFP

Sollte es tatsächlich ein einig Volk geben, wäre Abbas’ Rechnung aufgegangen. Er hat nämlich in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt, die Hamas in die Enge zu treiben. Allerdings birgt eine mögliche Aussöhnung mit den Islamisten einige Risiken. Bei Wahlen könnten Abbas und seine Getreuen das Nachsehen haben.

Auch ist nicht ausgemacht, ob etwa die USA einen solchen Schritt goutieren würden. Für Donald Trump besitzt der Kampf gegen islamistische Terroristen Priorität – und Washington zählt die Hamas zu den Dschihadisten. Andererseits könnte es in Amerikas Interesse liegen, wenn die Herrscher über Gaza durch den gemäßigteren Abbas gewissermaßen eingehegt werden. Nicht zuletzt: Ein wiedervereinigtes palästinensisches Volk würde wohl Abbas’ Verhandlungsposition gegenüber Israel stärken.

Inwiefern könnte Israel profitieren?

Dem jüdischen Staat geht es vor allem um die eigene Sicherheit. Für Experte Kobi Michael ist klar, dass diese unweigerlich mit der Lage der Menschen im Küstenstreifen zu tun hat. „Israel hat Interesse daran, den Wiederaufbau voranzutreiben.“ Und bevorzugt es, mit der Autonomiebehörde zusammenzuarbeiten statt mit der Hamas. „Es wäre viel einfacher, weil es eine gegenseitige Anerkennung gibt und wir uns nicht, wie mit der Hamas, über Dritte koordinieren müssten.“

Sollte die Autonomiebehörde die Kontrolle übernehmen, rechnet Kobi Michael damit, dass die von anderen Staaten versprochenen Hilfsgelder für den Gazastreifen endlich fließen würden. Und sollte tatsächlich Mohammed Dahlan in den Küstenstreifen zurückkehren, wäre er für Israel ein guter Ansprechpartner, schließlich soll er im engen Kontakt mit Verteidigungsminister Avigdor Lieberman stehen.

Könnte die Versöhnung zwischen Hamas und Fatah gar ein erster Schritt in Richtung Frieden mit Israel sein? Ganz so einfach wird das nicht. Zwar gilt die Hamas als Feind, mit der es keine direkten Gespräche gibt. Doch die Verhandlungen mit Abbas liegen auf Eis. Israels Premier Benjamin Netanjahu betont immer wieder, es gäbe auf palästinensischer Seite keinen Partner für Frieden. Es gilt als fraglich, ob eine palästinensische Einheitsregierung daran etwas ändern wird.

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