zum Hauptinhalt
Unterstützung für Bedürftige. Hunderttausende sind in Gaza darauf angewiesen, dass die UN ihnen regelmäßig Lebensmittel zur Verfügung stellen.
© Said Khatib/AFP

Trump kürzt Finanzhilfen: Was die fehlenden Millionen für die Palästinenser bedeuten

Amerika will die Hilfe für Palästina-Flüchtlinge drastisch kürzen. Die Vereinten Nationen warnen vor dramatischen Folgen, die Bedürftigen sind alarmiert.

Großmutter Nariman Totah ist besorgt. Vorsichtig legt sie einen der beiden neugeborenen Zwillinge auf den Behandlungstisch der Kinderärztin. Einen Monat sind die Enkel gerade alt – und kerngesund. Sie sollen heute nur geimpft werden. Die Zukunft ist es, die Nariman Totah fürchtet, seitdem die USA gedroht haben, die Zahlungen an die Palästinenser zu reduzieren oder gar einzustellen. „Ohne UNRWA könnten wir uns die Arztbesuche nicht leisten“, sagt sie. UNRWA, das ist das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge.

Die Zwillinge haben ein Anrecht auf Unterstützung, weil ihre Großeltern im Zuge des Unabhängigkeitskrieges 1948 das 20 Kilometer entfernte Jerusalem verlassen mussten. Denn den Kindern wurde der Flüchtlingsstatus vererbt. Deshalb werden sie hier im Ärztezentrum des Lagers Amari nahe Ramallah kostenlos behandelt und sollen später einmal eine der UNRWA-Schulen besuchen.

Fünf Millionen Flüchtlinge werden betreut

Fünf Millionen palästinensische Flüchtlinge – in Jordanien, Syrien, Gaza, Libanon und dem Westjordanland – sind auf das UN-Hilfswerk angewiesen: auf die 150 Kliniken, die 700 Schulen und Zehntausende Jobs. Allein in den besetzten Gebieten ist die Organisation eigenen Angaben zufolge drittgrößter Arbeitgeber nach der Palästinensischen Autonomiebehörde und Telekommunikationsunternehmen.

UNRWA selbst finanziert sich überwiegend durch Spenden der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen. Ein Viertel des Jahresbudgets, rund 300 Millionen Dollar, kommt bisher aus den USA. Doch das könnte sich grundlegend ändern.

Denn vor Kurzem hat Präsident Donald Trump die Zahlungen an die Palästinenser infrage gestellt, weil diese „weder Anerkennung noch Respekt“ zeigten und die Verhandlungen mit den Israelis verweigerten. Nun macht die Regierung in Washington Ernst.

60 statt 125 Millionen Dollar

Dem Außenministerium in Washington zufolge wird lediglich eine Tranche in Höhe von 60 Millionen Dollar überwiesen, weitere 65 Millionen werden vorerst einbehalten. „Mit der Entscheidung soll niemand bestraft“, sondern Reformen bei UNRWA in Gang gebracht werden, heißt es zur Begründung.

Die Reaktionen kamen prompt. „Diese US-Regierung zielt damit auf den verletzlichsten Teil unseres Volkes ab und raubt den Menschen das Recht auf Bildung, Gesundheit, Schutz und ein würdevolles Leben“, sagt PLO-Politikerin Hanan Aschrawi. UNRWA-Generalkommissar Pierre Krähenbühl will umgehend eine weltweite Spendenaktion starten. Um „die Offenhaltung unserer Schulen und Krankenhäuser für 2018 und darüber hinaus“ zu sichern. Krähenbühl warnt denn auch, das fehlende Geld könnte dramatische Folgen für die regionale Stabilität haben und zu weiterer Radikalisierung führen.

Viele palästinensische Kinder besuchen eine der UNRWA-Schulen, die einen guten Ruf haben.
Viele palästinensische Kinder besuchen eine der UNRWA-Schulen, die einen guten Ruf haben.
© Jaafahr Ashtiyeh/AFP

Ist es also herzlos und unverantwortlich, die finanziellen Zuwendungen für UNRWA zu kürzen? Sogar in Israel scheinen einige alarmiert. In einem internen Papier des Außenministeriums, das soeben an die Öffentlichkeit gelangte, ist von einer drohenden Verschlechterung der humanitären Situation und einer möglichen Katastrophe die Rede, vor allem in Gaza.

Die Warnung kommt nicht von ungefähr. In dem überbevölkerten Küstenstreifen leben zwei Millionen Menschen. Und ihre Lage ist trist. Mehr als 60 Prozent sind arbeitslos, die Wirtschaft liegt am Boden. Doch woanders einen Job zu suchen, ist so gut wie unmöglich. Niemand kann Gaza verlassen. Die Region am Mittelmeer ist weitgehend abgeriegelt. Wer die Grenzübergänge am ägyptischen Rafah oder am israelischen Erez passieren will, braucht eine Erlaubnis. Aber die gibt es nur sehr selten.

275 Schulen für 270.000 Kinder

Die Mehrheit der Gazaner ist daher auf die Unterstützung durch die Vereinten Nationen angewiesen. Längst fungiert und agiert UNRWA quasi wie ein staatlicher Dienstleister. Das Hilfswerk unterhält Kliniken wie Gesundheitszentren und verteilt Lebensmittel. Monat für Monat steigt die Zahl der Familien, die dringend Hilfe benötigen. Außerdem hält UNRWA 275 Schulen am Laufen, in denen mehr als 270.000 Kinder von 8000 Lehrern unterrichtet werden.

Dennoch hinterfragen Kritiker – zu denen erklärtermaßen auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gehört – schon lange den Auftrag von UNRWA. Eine ihrer Fragen lautet: Warum erhalten Neugeborene wie die Enkel von Nariman Totah 70 Jahre nach der Flucht der Großeltern noch einen Status als Flüchtling?

„Trump mag ein merkwürdiger Kerl sein, aber nicht alles, was er tut, ist automatisch schlecht“, sagt Efraim Karsh, Direktor des Begin-Sadat-Centers für Strategische Studien an der Bar Ilan Universität. „Keine andere Flüchtlingsgruppe auf der Welt hat eine eigens für sie eingerichtete Organisation erhalten.“ Allen anderen Schutzsuchenden werden vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR versorgt.

"Mangel an Handlungsbereitschaft"

Eigentlich wollte man die Arbeit von UNRWA zeitlich begrenzen. Der Nahostkonflikt zog sich allerdings in die Länge, die Flüchtlingsfrage blieb ungeklärt, die Organisation wuchs immer weiter. „Der Mangel an Handlungsbereitschaft führt dazu, dass es UNRWA seit 70 Jahren gibt“, sagt Generalkommissar Krähenbühl.

Efraim Karsh sieht das anders: „UNRWA hat kein Interesse, das Problem zu lösen. Das Hilfswerk will zeigen, dass es nach wie vor Gründe für seine Existenz gibt. Die Führung der Palästinenser und die arabischen Staaten wiederum nutzen die Flüchtlinge seit Jahrzehnten als politisches Instrument mit der Forderung, dass sie in das heutige Israel zurückkehren.“

Tatsächlich fühlen sich viele Flüchtlinge noch immer als Gast. „Jerusalem ist mein Zuhause“, sagt Nariman Totah. Selbst in den UNRWA-Schulen lernen die Kinder, woher sie ursprünglich kommen: aus Jaffa, Jerusalem oder Tiret Dandan – alles Orte, die sie nie gesehen haben und die teilweise nicht mehr existieren.

Aus Lagern wurden Dörfer

Während die Flüchtlinge, ihre Kinder und Enkel seit 70 Jahren hoffen und träumen, haben sich die Lager zu Dörfern entwickelt, die oft wie heruntergekommene und verschachtelte Stadtteile ihrer Nachbarorte wirken. Zelte und Hütten sind längst Häusern gewichen. Als der Platz enger wurde, haben die Menschen mit einfachen Mitteln Stockwerke auf die Häuser gesetzt, um so Wohnraum für ihre Kinder und deren Familien zu schaffen.

Wäre es nicht besser, hätten sich diese Lager zu eigenverantwortlichen Dörfern entwickelt? Orte, an denen die Menschen ein neues Zuhause aufbauen können, wo eine Rückkehr doch unwahrscheinlich scheint.

„Wenn man es allein persönlich betrachtet, würde jeder lieber in einem Dorf leben. Aber aus palästinensischer Perspektive, aus Sicht der Autonomiebehörde, will man keine Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen, weil das eine der Hauptfragen der Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts ist“, sagt Krähenbühl. „Sie können es auch kaum, weil der Großteil unter Besatzung lebt.“ Solange es keine politische Lösung gebe, müssten die Bedürftigen unterstützt werden. Anderenfalls, warnt Krähenbühl, könnten sich die Frustrierten Richtung Europa aufmachen.

Zur Startseite