Kohleausstieg: Was die Einigung der Kohlekommission bedeutet
Um die Folgen des Kohleausstiegs abzumildern, sollen die betroffenen Länder insgesamt 40 Milliarden Euro erhalten. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug.
"Verhandlungskrimi", so lautete der Kommentar eines Mitglieds der Kohlekommission am frühen Samstagmorgen. Kurz vorher, gegen 5 Uhr und nach mehr als 20 Stunden Sitzung, hatten 27 der insgesamt 28 Mitglieder der Kommission im Ludwig-Erhard-Saal im Bundeswirtschaftsministerium den Abschlussbericht angenommen. Lediglich Kommissionsmitglied Hannelore Wodtke aus dem brandenburgischen Welzow wollte den Bericht nicht mittragen. Ihr fehlte die sichere Zusage, dass Welzow wegen des Braunkohleabbaus nicht abgebaggert wird.
Der Erfolg habe immer wieder auf der Kippe gestanden, berichten einige Teilnehmer der Kommission am Samstag mit dunklen Augenringen. Das Schicksal des Hambacher Forsts, konkrete Kraftwerksabschaltungen im Osten und das Enddatum seien harte Streitpunkte gewesen, die erst ganz zum Schluss in Kleingruppen gelöst werden konnten.
Im Ergebnis dürften auch die Ministerpräsidenten der Kohleländer zufrieden sein, die in den vergangenen Wochen die Kommission immer wieder kritisiert hatten: Diese Bundesländer sollen über einen Zeitraum von 20 Jahren 40 Milliarden Euro vom Bund bekommen. Ursprünglich hatten Sachsen-Anhalts Ministerresident Reiner Haseloff (CDU) und seine Amtskollegen aus Sachsen und Brandenburg 60 Milliarden Euro gefordert. Doch Experten hielten das durch die Bank weg für überzogen. Gesichert werden soll die Summe über einen Staatsvertrag, der auch für künftige Bundesregierungen bindend ist.
Darüber hinaus soll der Bund den Ländern eine knappe Milliarde Euro pro Jahr zur Absicherung über 20 Jahre zur Verfügung zu stellen – unabhängig von konkreten Projekten. Ronald Pofalla, Bahnvorstand und Vorsitzender der Kohlekommission, zeigte sich am Samstag bei der Vorstellung des Abschlussberichts optimistisch, dass die Bundesregierung mit der Gesamtsumme einverstanden sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wüsste aus Gesprächen mit den Ministerpräsidenten, was da auf sie zukomme, sagte Pofalla. Für die Beschäftigten der Kohlekraftwerke sowie der Tagebaue schlägt die Kommission Beschäftigungsgarantien vor. Dem Abschlussbericht hängen zudem seitenweise Vorschläge an, welche Jobs in den Regionen neu geschaffen werden können.
Bis 2022 sollen 12,5 Gigawatt Kohle vom Netz gehen
Im Kapitel Klimaschutz empfiehlt die Kohlekommission, dass in Deutschland spätestens bis 2038 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen soll. 2032 soll aber überprüft werden, ob der Ausstieg bereits früher, nämlich 2035, erfolgen kann.
Für den Klimaschutzeffekt ist vor allem wichtig, dass möglichst rasch größere Mengen an CO2-Emissionen reduziert werden. Auch diesen schnellen Einstieg in den Kohleausstieg hat die Kommission berücksichtigt: Bis 2022, so lautet der Vorschlag, sollen insgesamt 12,5 Gigawatt Kohle vom Netz gehen.
Darin sind zwar auch jene Kraftwerke enthalten, die aufgrund ihres hohen Alters ohnehin dicht machen sollten. Zusätzlich sollen drei Gigawatt Braunkohle und vier Gigawatt Steinkohle stillgelegt werden. Absichtlich habe die Kommission aber keine bestimmten Kraftwerke zur Stilllegung empfohlen, sagte Barbara Praetorius, Energiewissenschaftlerin und eine der Vorsitzenden der Kommission, am Samstag in Berlin.
Doch es dürfte klar sein, dass bis 2022 vor allem Anlagen des Energieversorgers RWE im Rheinischen Revier vom Netz gehen werden, auch, weil sich Nordrhein-Westfalen bei den Abschaltungen nicht so quer stellt wie der Osten. Im Fokus stehen dabei die Kraftwerke Neurath und Niederaußem, die aufgrund ihres hohen Alters zu den CO2-intensivsten Kohlekraftwerken gehören. Die Höhe der Entschädigung für die Kraftwerke muss die Bundesregierung mit dem Energieversorger RWE direkt verhandeln.
Als Kennzahl wird oft jene Summe genommen, die schon in der Sicherheitsbereitschaft an die Versorger geflossen ist: 600 Millionen Euro pro Gigawatt. Die Kommission empfiehlt außerdem, dass keine neuen Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden sollen. Das würde das ohnehin umstrittene Kraftwerk „Datteln IV“ des Betreibers Uniper betreffen.
Kommission hält Erhalt des Hambacher Forsts für wünschenswert
Als besonders heikles Verhandlungsthema galt stets das Schicksal des Hambacher Forsts. Im Abschlussbericht heißt es nun, die Kommission halte es für „wünschenswert“, dass der Forst erhalten bleibe. „Wir können das aber nicht festlegen“, sagte Pofalla in Berlin.
Ein klarer Verhandlungserfolg für die ostdeutschen Ministerpräsidenten ist, dass es keinen konkreten Abschaltplan für Kohlekraftwerke im Zeitraum 2023 bis 2030 gibt. Die Kommission bekräftigt in ihrem Abschlussbericht nur, was schon im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht: Bis 2030 muss die Hälfte der Kohlekapazität reduziert sein. Wie man dahin kommt, sei schrittweise zu klären. „Das kann man jetzt noch nicht konkretisieren“, sagte Pofalla.
Ein kleines Zugeständnis an die Umweltverbände gibt es auch. Im Bericht heißt es, dass bis 2025 rund zehn Millionen Tonnen CO2 reduziert werden müssen – „möglichst durch ein Innovationsprojekt“. Geplant ist, das Kraftwerk Jänschwalde des ostdeutschen Betreibers Leag so umzurüsten, dass es 90 Prozent weniger CO2 ausstoßen wird.
Klimaaktivisten wollen weiter protestieren
Ruhigstellen wird das die Klimaaktivisten nicht. Schon am Samstag regte sich Protest gegen den Kompromiss. "Noch 19 Jahre Kohlekraftwerke am Netz lassen - das ist fürs Klima viel zu wenig", erklärte das Kampagnen-Netzwerk Campact. "Der Beschluss der Kohlekommission schafft nicht den erhofften Frieden, sondern feuert den Konflikt um die Kohle weiter an", warnte Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz.
Der gesellschaftliche Widerstand gegen die Kohle werde weitergehen, hatte zuvor auch der Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Hubert Weiger, gesagt. Zwar stellte sich Weiger insgesamt hinter die Kommissionsempfehlungen. Vor allem in Ostdeutschland würden die Umweltverbände künftig aber "wesentlich engagierter auftreten", da dort der Widerstand gegen einen zügigen Kohleausstieg am größten sei, sagte der BUND-Vorsitzende weiter.
"Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens", kritisierte auch die Organisation "Ende Gelände", die bereits zahlreiche Protestaktionen an Braunkohlestandorten organisiert hat. "Noch 20 Jahre Kohlekraft sind 20 Jahre Kohlekraft zu viel. Dem stellen wir uns entgegen", kündigte die Organisation an.
Mit den Empfehlungen der Kohlekommission seien die Klimaziele 2030 zu erreichen, sagten hingegen die Vorsitzenden zum Abschluss in Berlin. Nun ist die Bundesregierung am Zug: Sie muss den Bericht annehmen und mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten ein Maßnahmengesetz zum Strukturwandel ausarbeiten. Und sie muss die energiewirtschaftlichen Voraussetzungen für den Kohleausstieg schaffen, vor allem also die Stromnetze ausbauen. (mit AFP)