Hambacher Forst: Wald gegen Kohle, Treibhausgase gegen Klimaschutz
Die Räumung im Hambacher Forst ist angelaufen, bald soll Kohle abgebaut werden. Der Wald aber ist zum Symbol geworden in einem Kampf, der gerade erst begonnen hat.
Dass Tag Eins der Räumung im Hambacher Forst ein zäher Tag werden wird, ist beim Sonnenaufgang schon absehbar. Der schmale Waldweg, der zu den Baumhäusern führt, ist mit Ästen, Stämmen, Zweigen blockiert. Dahinter steht eine – an ein Kamerastativ oder die Zeltstangen eines Tipis erinnernde – Konstruktion, drei aneinander gelehnte, kahle Baumstämme mit einer aus Ästen gebastelten Plattform im oberen Drittel. „Tripod“ wird es hier von allen genannt, „Monopod“ der lange Pfahl mit einer halbierten Europalette als Sitzfläche oben drauf einige Meter weiter. Errichtet wurden sie in der Nacht zuvor.
Auf dem Tripod sitzen junge Menschen, sie heißen Cuca und Balto, sagen sie. „Wir wollen diesen Wald verteidigen, unsere Waffe ist unsere Anwesenheit.“ Sie rufen herab, dass sie eine weitere Eskalation befürchten, weil die Polizei bald in „Armadastärke“ eintreffen werde, „um die Interessen von RWE“ zu verteidigen. Der Stromkonzern ist Eigentümer des Waldes, der bald – frühestens ab dem 14. Oktober – gerodet werden soll. Freddy sitzt auf einer halbierten Palette in zehn Metern Höhe. Er ist zwar gesichert, sagt aber, dass er trotzdem Angst habe. „Wenn ich falle, ist alles vorbei.“ Das hier, der Wald, die benachbarten Dörfer, „ist nicht nur das Zuhause von vielen Menschen. Es sind auch Orte von hoher Symbolik.“
Der Hambacher Forst: zwischen Köln und Aachen und damit weit im Westen der Bundesrepublik Deutschland gelegen, dem Land, das die Treibhausgasproduktion auf seinem Staatsgebiet verringern will und sich deshalb eine Energiewende verordnet hat; zögerlich beginnend schon im Jahr 1990, beschleunigt seit der Jahrtausendwende, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft trat. Verändert hat sich viel seitdem.
Der Strompreis für Normalbürger stieg drastisch. Wohlstand wurde und wird umverteilt, von gewissermaßen allen hinauf zu Besitzenden, zu Hauseigentümern, die Photovoltaikanlagen auf ihre Dächer montieren können. Zu Landeignern und Landverpächtern, deren Grund und Boden Platz für Windräder bietet. Zu Agrarbetrieben, deren Mastvieh- und Nutzpflanzenbestände groß genug sind, um mit deren Exkrementen und Resten Kraftwerke betreiben zu können, Biogasanlagen.
Symbolträchtig wie Gorleben
In diesem Land, das seine selbstgesetzten Treibhausgasminderungsziele nicht erreichen wird und die seit 1990 gemachten Erfolge auf diesem Gebiet zu großen Teilen der Schließung ostdeutscher Industriebetriebe und dem Ersatz alter durch neue Kraftwerke dort verdankt, wird im Spätsommer des Jahres 2018 ein Wald geräumt und dann gerodet, um Platz für einen Braunkohletagebau zu machen.
Wald gegen Kohle, fossile Brennstoffe gegen Heimat, Treibhausgase gegen Klimaschutz – die Besetzung des Hambacher Forsts, die seit sechs Jahren andauert, soll nach dem Willen der Besetzer und ihrer Unterstützer eine symbolträchtige und mächtige Protestbewegung werden. Wie Gorleben.
Nun aber geht es erst einmal um die 50 bis 60 Baumhäuser, die in etwa 25 Metern Höhe entstanden sind. Sie zu entfernen, ist eine Anweisung des Landesministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, die dem zuständigen Kreis Düren und der Stadt Kerpen am Mittwochnachmittag gegen 17 Uhr zugestellt wurden. Die Verfügung kam nicht mehr überraschend nach vielen Vorgesprächen, auf Begeisterung stieß sie aber nicht. Die unteren Bauordnungsbehörden wurden angewiesen, ab dem 13. September „bauliche Anlagen“ aus dem Hambacher Forst zu entfernen.
„Wir hatten Informationen, dass wir uns die Baumhäuser anschauen sollten“, sagt ein Sprecher des Bauministeriums. Bei diesem „Behördentermin“, er fand am 27. August statt, sei festgestellt worden, dass es sich bei den Baumhäusern eben um „bauliche Anlagen“ handeln würde, die Baurecht zufolge genehmigungsbedürftig sind. „Eine solche Genehmigung ist von den Behörden aber nie erteilt worden“, steht in einem Schreiben des Ministeriums an Landtagsabgeordnete. „Weil Gefahr im Verzug für Leib und Leben besteht, waren die Behörden jetzt gezwungen, den Abriss dieser Baumhäuser anzuordnen.“ Die Baumhäuser sind teilweise sechs Jahre alt.
Rettungstreppen würden fehlen, bei einem Notfall könnten Rettungskräfte den Unglücksort durch das unwegsame Gelände eventuell nicht rechtzeitig erreichen.
Gefahr für Leib und Leben
Dürens Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) kritisiert den Zeitpunkt der Räumung ausdrücklich, da es bis zum Beginn der Rodungsarbeiten noch mehrere Wochen seien. „Wir haben die Weisung des Ministeriums auszuführen, ob es uns passt oder nicht“, sagt Kerpens Stadtsprecher.
Aus Spelthahns Umgebung heißt es, dass er selbst die Räumung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch halte. Ausführen muss sie nun das Bauordnungsamt des Landkreises, scheinbar ebenfalls nur widerwillig. Die „Anweisung des Ministeriums erreichte uns am späten Mittwochnachmittag“, sagt ein Landratssprecher.
Kerpens Bauderzernent ist an diesem Morgen mit einem Megafon gekommen. Um 8.27 schallt es durch den Wald: „Es besteht Gefahr für Leib und Leben. Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor.“ Er räumt den Baumbewohnern 30 Minuten ein, um ihre Domizile zu verlassen, danach wolle er die Räumung veranlassen, kündigt er an.
Es passiert nichts, und so ist der Zeitpunkt für die Polizei gekommen. Polizeipräsident Dirk Weinspach sagt, er wolle nicht bewerten, warum die Verstöße gerade jetzt die Basis für den Einsatz sind. „Ob das notwendig, recht- oder zweckmäßig ist, prüft nicht die Polizei.“ Die Beamten, 3500 sind hier zusammengekommen zu einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, leisten nur Amtshilfe.
Dazu gehört an diesem Morgen auch, dass sie einige Angehörige der evangelischen Gemeinde Dürens wegtragen, die sich zu einer Sitzblockade formiert haben. „Die Schöpfung zu bewahren ist ein ureigenes kirchliches Thema“, sagt Pfarrer Martin Gaevert, bevor er aus dem Wald getragen wird.
Der Hambacher Forst ist, wie wahrscheinlich alle Wälder in Mitteleuropa, der Rest eines einst deutlich größeren Waldes. Er existiert seit dem Ende der letzten Eiszeit vor ungefähr 12 000 Jahren, erstreckte sich vor Beginn der Kohleförderung auf mehr als 4000 Hektar. Nun geht es um den ungefähr 200 Hektar großen Rest, um die ihn prägenden Stieleichen und Hainbuchen. Um den Rest des einzigen von diesen Baumarten dominierten Waldes in Europa.
Als habe der Regierungschef nichts damit zu tun
Es wird lauter, Höheninterventionsteams der Polizei machen sich an die Arbeit. Es ist ein mühsames Geschäft für die Männer auf der Hebebühne, vier Stunden sind bereits vergangen. Irgendwann sind sie in der Nähe von Freddy, auf dem Boden ist ein Luftkissen aufgebaut, über dem Wald kreist ein Hubschrauber, Freddy entwischt über ein paar Seile in die Bäume.
Es ist kurz vor 12 Uhr, zur selben Zeit beginnt in Berlin eine Lobbyistenveranstaltung, zu der Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet als Redner eingeladen ist. Der Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft, gegenüber vom Reichstag, lange, weißgedeckte Tische, schwere Samtvorhänge, an der Decke Kronleuchter. Laschet ist umrahmt von Energie- und Netzbetreibern, Vertretern von RWE und der Lausitzer Tagebau- und Kraftwerksbetreibers Leag, aber auch Akteuren der Erneuerbaren-Branche, er soll über die „Zukunft der Energiewende in Deutschland“ sprechen. Zum Hambacher Forst sagt er trotz mehrerer Nachfragen nichts. Er verweist auf sein Bauministerium. Als habe er als Regierungschef nichts damit zu tun.
Laschet macht aber keinen Hehl daraus, dass er seine Rolle nicht als Streitschlichter sieht und die Entscheidungen aus seiner Sicht ohnehin schon gefallen sind. Wer für die Entscheidung, gewissermaßen überfallartig im Hambacher Forst vorzugehen, verantwortlich ist, bleibt also formell offen. Politisch aber ist klar: Die Staatskanzlei in Düsseldorf will lieber jetzt eskalieren als später.
RWE wäscht seine Hände in Unwissenheit. Auch erst in der Nacht zu Donnerstag sei man um Mithilfe gebeten worden. Ansonsten heißt es: „RWE war an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt.“ Mit anderen Worten: Für die Eskalation will selbst der Braunkohlekonzern, um dessen geschäftliche Interessen es geht, nicht in Mithaftung genommen werden. Alle Finger zeigen auf die Landesregierung.
Es eskaliert aber nichts im Wald. Es dauert. Bevor der Tripod geräumt ist, vergehen weitere Stunden. Balto ergibt sich schnell, als die Beamten in seine Nähe kommen. Cuca dagegen turnt noch eine Weile auf ihrem Hochsitz, der inzwischen mit einem Sprungkissen gesichert ist, klammert sich wie ein Äffchen an einen der Pfähle, ehe auch sie sich abführen lässt.
Molotowcocktails auf die Polizei
Am Boden steht Gesche Jürgens, die Deutschland-Sprecherin von Greenpeace. Sie sagt in jedes Mikrofon, wie fassungslos sie über die Aktion sei. „In Berlin organisiert die Braunkohlekommission den sozialverträglichen Ausstieg, und hier werden Fakten geschaffen. Das ist unfassbar.“
Die alte Landstraße L 276 ist längst kilometerweit mit Polizeifahrzeugen zugeparkt, Hundestaffeln sind da, zwei Wasserwerfer stehen bereit. Bis zum Dezember sollen täglich 1500 Beamte im Hambacher Forst sein, sagt ein Vertreter der Gewerkschaft der Polizei. Für tausende Polizisten besteht Urlaubssperre bis zum 23. Dezember. „Ich glaube, dass es ein sehr gefährlicher Einsatz sein kann“, sagt er. An diesem Tag bleibt es nahezu friedlich, was in den letzten Wochen nicht immer so war. Bis am Nachmittag Molotowcocktails auf Polizeifahrzeuge geworfen werden.
Der Gewerkschafter wundert sich über die rechtliche Grundlage für diesen Einsatztag. „Das hat alles schon ein Geschmäckle“, sagt er einem Reporter der „Aachener Zeitung“.
Für Oliver Krischer, den Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, ist der Verweis auf „Gefahr für Leib und Leben“ ein vorgeschobener Grund für die Räumung. „Es ist doch einfach absurd, dass die Behörden ausgerechnet jetzt die Baumhäuser im Hambacher Forst begutachtet haben und zum Schluss gekommen sind, räumen zu müssen.“ Krischer zufolge wollte das Bauministerium nicht bis zum Rodungstermin Mitte Oktober warten. „Die Landesregierung wollte nicht riskieren, dass sich mehr Aktivisten im Wald versammeln.“
Beim Verwaltungsgericht in Köln sind bereits sieben Eilanträge eingegangen, die Räumung des Forstes in letzter Minute stoppen zu lassen. Einer der Antragsteller argumentiert, er bewohne sein Baumhaus seit sechs Monaten, es sei sein Lebensmittelpunkt, durch die Räumung werde er obdachlos, die Frist von 30 Minuten sei zu kurz bemessen. Am Abend teilt das Gericht mit: Der erste Antrag ist abgelehnt, die Räumung rechtens.
Die Polizei sprengt "nicht identifizierbare Gegenstände"
Der Einsatz zieht sich hin, nicht einmal das erste Baumhaus ist um 15 Uhr geräumt.
Am Nachmittag hat ein Bündnis von Rodungsgegnern zu einer Pressekonferenz im Evangelischen Gemeindehaus der Ortschaft Kerpen-Buir geladen, wenige Kilometer vom Wald entfernt. „Wir sind dankbar dafür, was die Menschen im Wald für uns tun“, sagt eine Anwohnerin und nennt RWE einen Konzern, „der unsere Heimat vernichten will“. Einer der Waldbesetzer, der sich Momo nennt, spricht davon, dass die Eskalation der Polizei eine neue Stufe erreicht habe. Karolina Drzewo, Sprecherin der Initiative „Ende Gelände“, nennt das Argument der Brandgefährdung im Wald fadenscheinig. „Da werden Tatsachen verdreht“, sagt sie. „Der Tagebau ist der Brandherd.“ Für Drzewo ist klar, dass nicht nur RWE und die Landesregierung im Hambacher Forst falsch handeln. „Auch die Bundesregierung macht sich heute mitschuldig“, sagt sie. „Sie zeigt ihr wahres klimapolitisches Gesicht – sie setzt unsere Zukunft aufs Spiel.“ Für Ende Oktober kündigt sie an, gemeinsam mit Tausenden Freiwilligen die Braunkohle-Infrastruktur im Rheinland lahmlegen zu wollen, „mit unseren Körpern“.
Draußen, im Wald sind immer wieder laute Explosionen zu hören. Ein Polizei-Pressesprecher erklärt, die Polizei würde nicht identifizierbare Gegenstände gezielt sprengen.
Mitarbeit: Torsten Hampel und Lars Spannagel
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