Türkische Offensive in Syrien: Was der Kampf gegen die Kurden mit Erdogans Wahlkampf zu tun hat
Der türkische Staatschef will mit allen Mitteln die Kurden aus dem syrischen Grenzgebiet vertreiben - und setzt dabei nicht zuletzt auf Nationalismus.
Für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist die Sache klar. Die kurdische YPG soll aus der gesamten Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei vertrieben werden. Zugleich wird aber deutlich, dass die Intervention den Kurdenkonflikt in der Türkei selbst verschärfen dürfte. Die mit der YPG verbündete kurdische Terrororganisation PKK rief denn auch ihre Anhänger in der Türkei und anderswo zur Gegenwehr auf.
Bereits im Sommer 2016 und im vergangenen Herbst hatte Erdogan türkische Einheiten nach Syrien geschickt, um die Vergrößerung kurdischer Gebiete auf der syrischen Seite der 900 Kilometer langen Grenze zu verhindern.
Nun weitet die Regierung in Ankara mit der „Operation Olivenzweig“ die eigenen Ziele aus und will die YPG aus Afrin und dem weiter östlich gelegenen Manbidsch bis auf das Ostufer des Euphrat zurückdrängen. Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, auf der syrischen Seite der Grenze solle eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone eingerichtet werden, um die Kurdenmiliz YPG dauerhaft von der Türkei fernzuhalten.
Damit riskiert Erdogan nicht nur neue Spannungen mit den USA, die der syrischen Kurdenmiliz viele Waffen für den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) geliefert haben (siehe nebenstehenden Bericht) und auch in Zukunft in Nordsyrien auf die YPG setzen wollen. Auch Russland, die Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al Assad, ist alarmiert: Moskau hat den Krieg in Syrien für beendet erklärt und will als Friedensbringer in Erscheinung treten. Die türkische Intervention gefährdet dieses Ziel.
Premier Yildirim bezifferte die Zahl der YPG-Kämpfer in Afrin auf bis zu 10.000 Mann. Die Gegend solle „von allen Terrororganisationen gesäubert“ werden. Die YPG erklärte allerdings, die türkischen Angriffe seien zurückgeschlagen worden. Im Norden und Westen Afrins tobten schwere Gefechte.
Zum Teil entspricht Erdogans Attacke der traditionellen türkischen Doktrin, wonach eine kurdische Autonomie als Bedrohung der nationalen Sicherheit gilt und nicht hingenommen werden darf. Die Führung in Ankara fürchtet vor allem, dass eine kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens der PKK neue Möglichkeiten geben würde, über ihren syrischen Ableger YPG auf Kurdengebiete in der Türkei einzuwirken.
Beim Vorgehen gegen militante Kurden, die noch dazu von den bei vielen Türken höchst unbeliebten USA unterstützt werden, kann sich Erdogan einer breiten innenpolitischen Unterstützung sicher sein. Als größte Oppositionspartei erklärte die säkularistische CHP ihre Unterstützung für die Intervention. In der regierungsnahen Presse wird die „Operation Olivenzweig“ schon als historischer Erfolg gefeiert. „Jetzt ist die Zeit des Sieges“, titelte etwa die Erdogan-treue Tageszeitung „Yeni Safak“.
Regierungsgegner in der Türkei stellen jedoch die Frage, warum Erdogan ausgerechnet jetzt militärisch eingreift. Dem Präsidenten gehe es um die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen, schrieb der Journalist Aydin Engin in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“. Nationalistische Begeisterung könnte für Erdogan von Vorteil sein.
Allerdings könnte die Intervention beim Nachbarn in der Türkei auch für neue Unruhe sorgen. PKK-Kommandeur Murat Karayilan rief die Kurden zur „Mobilisierung“ gegen den türkischen Angriff auf Afrin auf. Im türkischen Grenzort Reyhanli schlug am Sonntag eine aus Syrien abgefeuerte Rakete ein und tötete einen Menschen.
Erdogan ist sich offenbar der Gefahr einer neuen Eskalation des Kurdenkonfliktes bewusst. Proteste gegen die Intervention würden nicht hingenommen, sagte er am Sonntag. „Wer sich uns entgegenstellt, wird niedergewalzt.“ In Istanbul und der Großstadt Diyarbakir im Kurdengebiet soll die Polizei bereits gegen geplante Protestkundgebungen vorgegangen sein.