Krieg gegen Kurden in Afrin: Türkei marschiert in Syrien ein
Die Türkei startet eine Militäroffensive gegen die Kurden. Nach Bombardierungen folgten am Sonntag Bodentruppen. Wie reagieren Russland und der Westen?
- Muhamad Abdi
- Hannes Heine
Nach all den Massakern, Interventionen fast aller Mächte im Nahen Osten, der USA, Russlands, Aufstieg und Zerfall des „Islamischen Staates“ (IS) droht in Syrien abermals eine Wende – im letzten vom Krieg halbwegs verschonten Flecken des Landes: im multiethnischen Afrin, einem Kanton im syrischen Nordwestens. Dort hat die Türkei am Wochenende eine Invasion gestartet. Am Sonnabend wurde der Angriff auf Afrin durch Ankaras Luftwaffe begleitet. Flugzeuge überflogen die mehrheitlich kurdische Region. Staatsschef Recep Tayyip Erdogan kündigte währenddessen vor Anhängern seiner islamischen AKP die „Operation Olivenzweig“ genannte Bodenoffensive an. Der Einmarsch erfolgte dann am Sonntag, wie Regierungschef Binali Yildirim der Nachrichtenagentur Dogan zufolge mitteilte.
Am Freitag hatte Erdogan das kleine Gebiet mit Granaten beschießen lassen: Afrin ist von Islamisten, protürkischen Milizen und der Landesgrenze fast eingeschlossen. Dort regiert seit Kriegsausbruch eine Koalition aus oft säkularen Kurden, orientalischen Christen, arabischen Muslimen unter Führung der sozialistischen PYD. Die gilt als Schwesterverband der Kurdischen Arbeiterpartei PKK – dem Erzfeind Ankaras.
Afrin gehört zu Rojava, jener Zone an der türkischen Grenze, die sich 2016 für autonom erklärte. Seitdem gab es zwar Gefechte mit anderen Oppositionellen und Soldaten des syrischen Machthabers Baschar al Assads, viel öfter aber mit Schergen des IS. Nun stoßen mit Ankaras Hilfe protürkische Milizen, turkmenische Stämme und der islamische Flügel der Freien Syrischen Armee nach Afrin vor. Nach Angaben der örtlichen Kurdenmiliz starben mindestens zehn Menschen, darunter sieben Zivilisten.
Bislang hielten die Amerikaner zur Rojava-Koalition, schon weil die Kurden am engagiertesten gegen den IS kämpften. Russland duldete das kurdische Projekt. Das störte Erdogan im Norden, die syrischen Islamisten im Süden und später Assad in Damaskus.
Der Westen mag Säkulare? Offenbar nicht
Wenn sich eine säkulare, multiethnische Koalition aus einem Bürgerkrieg heraushalten möchte und durch geschickte Bündnispolitik eine Autonomiezone verteidigt, dann könnte man meinen, im Westen werde das goutiert. Offenbar nicht.
Die Bundesregierung, die Spitzen der Europäischen Union ja selbst die US-Führung reagierten am Sonnabend nicht auf die Intensivierung der türkischen Angriffe auf das syrische Afrin. Immerhin hatten die USA zuvor sinngemäß erklärt, sie lehnen die Militäraktion Ankaras ab. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte zu diesem Zeitpunkt mit, vorerst gebe es Granatenbeschuss durch türkische Truppen und verbündete Milizen. Noch rollten keine Panzer, von denen Ankara aber Hunderte an der Grenze aufgefahren hat. Und aus Damaskus hieß es halbherzig, ein Angriff werde als Akt der Aggression gegen Syriens Souveränität betrachtet.
Doch Erdogan wurde noch am Sonnabend deutlich: Nach der Afrin-Offensive werde er Manbidsch angreifen lassen. Auch dort regiert die Rojava-Koalition und ihre YPG-Einheiten. Die USA hatten vor allem YPG im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ aufgerüstet.
Nun scheint es, als würden Syriens linke Kurden vom Westen fallen gelassen wie vor einigen Monaten schon Iraks konservativere Kurden. Sich im Kampf gegen Tyrannen und Klerikale auf die Demokratien im Westen stützen? Besser nicht. Die YPG-Spitze erklärte zwar, die türkische Armee werde nicht siegen können. Immerhin leben mehr als eine Millionen Syrer in Afrin. Zudem ist unklar, ob die USA nicht doch noch Erdogan zurechtweisen werden. Und: Erdogan riskiert auch im eigenen Staat einen Kurdenaufstand. Im Nahen Osten leben fast 30 Millionen Kurden in vier Staaten. Europaweit demonstrierten am Sonnabend linke Kurden gegen den türkischen Angriff.
Türkische Soldaten haben Nordsyrien schon besetzt
Türkische Soldaten operieren seit Jahren in Syrien. Östlich von Afrin unterhält Ankara eine De-facto-Besatzungszone. Dort wird in Schulen schon Türkisch gelehrt, Erdogan-Bilder zieren Gebäude. Aus kurdischer Sicht ist der Angriff auf Afrin die letzte Chance Erdogans in Syrien langfristig bleiben zu können. Von Süden nähern sich Assads Truppen. Sie kontrollieren bald die Region um Idlib, die letzte Hochburg der Aufständischen. Damit der Angriff auf Afrin nicht in einen Krieg zwischen Assad und Russland auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite mündet, soll der Leiter von Ankaras Geheimdienstes MIT türkischen Medien zufolge vor einigen Tagen in Moskau vorgesprochen haben. Am Samstagabend hieß es dann, Russland ziehe seine Soldaten aus Afrin ab.
Und die Bundesregierung? Zuletzt hieß es, man unterstütze die Türkei wieder mit Waffentechnik von Rheinmetall. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich nicht umsonst mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu getroffen. Für die Proteste dieser Tage in Deutschland ist zudem erheblich, dass die PKK nach wie vor in keinem EU-Staat so scharf verfolgt wird wie hierzulande. Nach dem Flüchtlingsdeal mit Erdogan wurde das PKK-Verbot in Deutschland auf Symbole der syrisch-kurdischen PYD ausgeweitet. (mit AFP)