Flüchtlinge in Berlin: Warum wir nach Deutschland geflohen sind
Sie flohen vor Krieg und Folter, vor Armut und Verzweiflung. Jetzt leben sie in Berlin – in Sicherheit, aber geplagt von Zukunftssorgen. Und oft mit dem Gefühl, nicht willkommen zu sein. Asylbewerber schildern ihr Leben
"Es erstaunt mich nicht, dass in Deutschland Flüchtlingsheime brennen. Vor der Unterkunft in Köpenick, in der ich seit vier Monaten lebe, demonstrieren jeden Mittwoch ein paar Menschen gegen die Unterkunft und gegen uns Bewohner. Ich weiß, dass manche Deutsche Menschen wie mich nicht haben wollen. Mir machen die Demos aber keine Angst, die Polizei ist ja immer da, um uns zu beschützen. Sorgen mache ich mir nur, wie mein Sohn das alles aufnimmt.
Wenn es mittwochs wieder losgeht, gehe ich deshalb sofort mit ihm auf unser Zimmer. Wenn besonders viele Menschen da sind, hören wir dort die Rufe. Kann ich nicht schnell genug die Musik lauter drehen, will Fahrudin wissen, was los ist. Ich sage ihm, es sei ein Straßenfest. Bisher glaubt er mir.
Wahrscheinlich müssen wir gehen
Mich macht es traurig, dass einige Deutsche denken, ich und andere seien nur hier, weil wir hier umsonst ein Dach über dem Kopf und zu essen bekommen. Wieso ich aus Bosnien weg bin, hat mich noch kein Deutscher gefragt. Ich bin vor meinem Mann geflohen, er hat mich, meinen Sohn und meine Mutter verprügelt. Die Polizisten kamen am Ende nicht mehr, wenn ich sie zur Hilfe rief, weil mein Mann auch sie angriff. Als er Fahrudin so heftig schlug, dass er ohnmächtig wurde, stieg ich mit meinem Sohn in den Bus nach München. Dort beantragte ich für uns beide Asyl, wir wurden nach Berlin verlegt.
Ich weiß, dass wir in Deutschland keine Perspektive haben, dass wir wahrscheinlich bald wieder gehen müssen. Das macht mir Angst, ich versuche deshalb jeden Gedanken an meine Zukunft zu verdrängen. Am wichtigsten ist jetzt, dass Fahrudin behandelt wird. Seit den letzten Schlägen seines Vaters wacht er manchmal nachts auf und schreit vor Schmerzen. Wahrscheinlich hat er sich am Kopf verletzt. In ein paar Tagen können wir endlich eine Computertomografie machen, um zu erfahren, was los ist.
Unterschiedliche Erfahrungen in Heimen
Auch wenn regelmäßig vor unserer Tür demonstriert wird, fühle ich mich sehr wohl in dem Heim in Köpenick. Der Leiter, die Sozialarbeiter und die Ehrenamtlichen sind immer für uns da, helfen, wie sie können. Dank ihnen können wir bald ins Krankenhaus.
Die ersten acht Monate in Deutschland habe ich in einem Heim in Kladow verbracht. Dort habe ich eine ganz andere Erfahrung gemacht. Dort sagten die Mitarbeiter zu mir: „Wenn dein Kind Schmerzen hat, geh doch ins Krankenhaus.“ Ich kann aber kein Deutsch, wusste nicht wohin, hatte nicht genug Geld für das BVG-Ticket. Außerdem trinken viele Bewohner dort jeden Tag, irgendwann prügeln sie sich. Das Heim liegt sehr isoliert, es gibt nichts zu tun.“
Sejoina Malcinovic, 30, Fahrudin, 8, aus Bosnien
Wir verkauften unser Haus, um für die Flucht zu zahlen
"Seit Ende August vergangenen Jahres sind wir und unsere Kinder in Deutschland. Wir kommen aus Libyen, sind aber Palästinenser. Dort wurde es für uns immer gefährlicher. Palästinenser werden in Libyen nicht geachtet, sind dort nichts wert. Sie gelten als Fremde. So haben wir uns auch immer gefühlt. Als einer unserer Söhne in der Schule bedroht wurde, war klar, dass es Zeit ist, das Land zu verlassen. Aber wir konnten das nicht gemeinsam. Zuerst ging Ahmad – er ist 16 Jahre alt. Als er das Boot Richtung Italien bestieg, kam es sogar zu einer Schießerei. Das war schrecklich, deswegen konnte auch nur er zu diesem Zeitpunkt fliehen. Das machte mich verrückt. Ich bin zusammengebrochen, leide an Diabetes und Bluthochdruck.
Unser ältester Sohn Mohamad folgte ihm zwei Monate später. Wir blieben mit den drei Töchtern in Libyen zurück. Aber wir hatten keine ruhige Minute mehr und waren voller Sorge um die Mädchen, weil immer wieder junge Frauen einfach so verschwanden. Wenn die drei nicht rechtzeitig mit dem Bus von der Schule zurückkamen und sei es nur für wenige Minuten, hatten wir sofort Angst, dass ihnen etwas zugestoßen sein konnte. Wir verkauften unser Haus und unsere zwei Autos, um für die Flucht zu zahlen.
Es ist alles gut so, wie wir hier leben
Mit einem Lastwagen, in dem wir zusammengepfercht mit verbundenen Augen saßen, kamen wir nach Ägypten. Dort bekamen wir nach drei Tagen Pässe und flogen nach Berlin. Insgesamt dauerte unsere Flucht acht Tage. Die Jungen waren schon hier; ihr Onkel, mein Bruder, ist schon seit gut 20 Jahren in Deutschland. Damals hat Gaddafi Palästinenser aus dem Land geworfen und schickte sie an die Grenze nach Ägypten. Mein Bruder hat uns immer gesagt, dass die Verhältnisse in Deutschland gut sind und wir kommen sollten.
In Berlin haben wir Asyl beantragt; alle waren sehr freundlich zu uns. Zuerst hat man uns eine Wohnung für drei Wochen zugewiesen, dann waren wir in einem anderen Wohnheim. Und jetzt sind wir hier in Lichtenrade im Heim des EJF. Nur unser ältester Sohn, der 19-Jährige, lebt in einem anderen Wohnheim. Hier haben wir zwei Zimmer, eine kleine Küchenecke, Toilette und Dusche. Es ist alles gut so, wie wir hier leben, wirklich alles in Ordnung. Aber trotzdem träumen wir davon, irgendwann unsere eigene Wohnung zu haben, so wie wir es früher hatten. Das wäre so schön. Und dass Riyad Arbeit findet. Er ist Sanitärfachmann.
Die Großen möchten Ingenieure werden
Die drei jüngsten Kinder gehen zur Schule und lernen Deutsch. Das ist gut. Die beiden Großen haben schon ihren Schulabschluss und möchten gerne studieren und Ingenieure werden. Aber das geht nicht, solange der Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist; aber auch sie lernen Deutsch. Wir haben bisher noch keinen Deutschkurs gehabt. Im September werden wir wahrscheinlich beginnen können. Uns belastet, dass wir nicht wissen, was aus unserem Asylantrag wird. Wir haben noch nicht einmal das Eingangsinterview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehabt. Diese Unsicherheit ist schrecklich.“
Afaf Almawed, 42, Riyad Jaja, 52, Sanaa, 12, aus Bengasi, Libyen
Alle haben Angst, verhaftet, gefoltert, umgebracht zu werden
"In Berlin fühle ich mich sehr sicher und wohl. Die Stadt erinnert mich ein wenig an Damaskus vor dem Krieg, wegen der vielen Menschen aus der ganzen Welt. Gerade bin ich in eine eigene Wohnung gezogen, jetzt suche ich eine Arbeit. Am liebsten würde ich in meinem alten Beruf arbeiten. Ich bin Polsterer.
Am Anfang des Krieges, im Herbst 2011, wurde das Viertel, in dem mein Elternhaus steht, komplett zerstört. Meine Familie konnte gerade rechtzeitig in einen anderen Stadtteil fliehen. Ich bin sofort weg aus Syrien, über Jordanien, Ägypten nach Libyen. Meine Eltern und meine Geschwister sind noch heute in Homs. Zurzeit wird in der Stadt nicht gekämpft, aber alle haben ständig Angst, verhaftet, gefoltert, umgebracht zu werden.
Bekannte von mir verschwanden einfach
In Libyen blieb ich drei Jahre, machte unterschiedlichste Gelegenheitsjobs. Schon nach einem Jahr überlegte ich, nach Europa zu gehen. Libyen wurde immer gefährlicher. Bekannte von mir verschwanden einfach, andere wurden gekidnappt und die Familien erpresst. Im vergangenen Frühjahr kaufte ich dann in Tripoli für tausend Euro einen Platz auf einem Boot nach Italien.
15 Tage verbrachte ich mit etwa 450 anderen Migranten auf See. Der Mann am Steuer war auch ein Flüchtling, schon nach ein paar Stunden hatte er die Orientierung verloren. Wir hatten ein Satellitentelefon, jemand kannte die Nummer vom Roten Kreuz. Aber bevor wir herausfinden konnten, wie wir unsere Position ermitteln, war der Akku leer. Erst zwei Wochen später trafen wir zufällig auf einen Öltanker, der uns nach Sizilien brachte. Am schlimmsten für mich war bei der Überfahrt, wie Schwangere und Kinder litten. Schon nach ein paar Tagen hatten wir kein Wasser mehr, sehr viele Passagiere übergaben sich, immer wieder.
Ich wünsche mir ein friedliches Leben
Von Sizilien bin ich dann mit dem Zug nach Mailand. Am Bahnhof dort traf ich jemanden, der mich und ein paar andere in seinem Auto nach Berlin brachte. Im Januar erhielt ich Asyl, seitdem lerne ich in einer Schule Deutsch. Fast ein Jahr habe ich jetzt in Asylbewerberheimen gewohnt. Für meine Zukunft wünsche ich mir ein einfaches friedliches Leben in Berlin, eine gute Arbeit, Familie. Mittlerweile bin ich sicher, dass ich niemals nach Syrien zurückkehren kann. Ich weiß auch, dass ich kaum Chancen habe, meine Familie nachzuholen."
Hamza Al Dallas, 29, aus Homs, Syrien
Sohn kann erst behandelt werden, wenn Asylantrag durch ist
"Bevor ich Syrien verließ, hatte ich schon lange übers Auswandern und Leben im Exil nachgedacht. Als Akram, mein ältester Sohn, am 14. Februar 2013 an einem Checkpoint aus Versehen in den Kopf und in den Arm geschossen wurde, habe ich dann unsere Ausreise organisiert. Mein Sohn war gerade auf dem Weg von seiner Arbeit als Klimaanlageninstallateur nach Hause. Im Krankenhaus wurde er vom Geheimdienst verhört und gefoltert, schließlich als Aufständischer ins Gefängnis gesteckt. Tausend Euro zahlte ich, um ihn freizukaufen. Danach schickte ich ihn mit einem Bekannten in die Türkei, nach Bursa. Ein halbes Jahr später verkaufte ich unser Haus und meinen Kaffeeladen und reiste hinterher, gemeinsam mit meiner Frau, unserer kleinen Tochter und unserem zweiten Sohn.
Im seinem Kopf waren noch Splitter
Akram ging es nicht gut in der Türkei. In seinem Kopf waren immer noch Splitter, bis heute hat er Schwierigkeiten beim Sprechen, seinen Arm kann er nicht mehr richtig bewegen. In der Türkei verlangten die Ärzte sehr viel Geld für die Operation. Ich aber fand einfach keinen Job. Also kontaktierte ich das UN-Flüchtlingshilfswerk, verschiedene NGOs. Keiner half uns. Also habe ich den Rest unserer Ersparnisse genommen und für meinen Sohn und mich die Reise nach Berlin organisiert. Von Freunden wusste ich, dass Akram hier umsonst behandelt werden kann.
Von Bursa fuhren wir mit einem Bus nach Izmir, dort stiegen wir mit 15 anderen in ein Schlauchboot. Nach eineinhalb Stunden erreichten wir eine felsige, menschenleere Insel. Nach einem Tag entdeckten uns dort Fischer, die uns nach Athen brachten. Dort trafen wir schließlich einen Mann, der uns gefälschte Ausweise und ein Flugticket nach Berlin organisierte. Das war Ende Mai. Seitdem leben wir in einem Hostel im Wedding. Leider kann mein Sohn offiziell erst behandelt werden, wenn der Asylantrag durch ist.
Kein Geld, um Frau und Kinder zu holen
Fast noch mehr Sorgen als um meinen Sohn mache ich mir gerade um meine Frau und meine anderen beiden Kinder in Bursa. Leider habe ich kein Geld mehr, um ihre Ausreise zu bezahlen oder sie zu unterstützen. Familiennachzug kann ich erst beantragen, wenn unser Asylantrag akzeptiert wurde, ich eine Arbeit finde, Sicherheiten hinterlegen kann. Im Ausländeramt haben sie uns gesagt, dass es wahrscheinlich in einem Jahr soweit sei. Aber von Bekannten weiß ich, dass es meist viel länger dauert."
Akram Al Shahar, 49, Akram, 21, aus Damaskus, Syrien
Ab nächster Woche kann ich endlich die Sprache hier lernen
"Nächste Woche beginnt mein Deutschkurs. Zum Glück. Dann kann ich endlich die Sprache hier lernen. Das ist so wichtig. Und ich habe etwas zu tun. Ein klein bisschen Deutsch kann ich schon. Sonst sind die Tage oft recht langweilig, denn arbeiten darf ich bisher nicht. In Syrien, wo ich herkomme, habe ich in der Landwirtschaft und auf dem Bau gearbeitet. Das vermisse ich sehr. Hier möchte ich auch gerne etwas Sinnvolles machen. In dem Heim, in dem ich vorher untergebracht war, war ich auch ehrenamtlich tätig und habe geholfen, wo ich konnte. Vielleicht kann ich mich hier ebenso nützlich machen, im Garten etwa.
Ich gehe viel spazieren und erkunde Berlin
Sonst gehe ich viel spazieren. Hier in der Nähe ist ein kleiner See, da gehe ich gerne hin. Oder ich erkunde Berlin. Ich habe eine ermäßigte Monatskarte für die BVG, damit kann ich durch die Stadt fahren. Aber Arbeit wäre viel besser. Hier im Heim teile ich mit zwei anderen Männern ein Zimmer; ich komme gut mit ihnen aus. Sie sind wie ich Kurden. Manchmal kochen wir zusammen.
Im November letzten Jahres bin ich nach Berlin gekommen. Meine Familie und ich haben in Nordsyrien gelebt. Wir waren sowohl durch die Anhänger des IS als auch durch die des Assad-Regimes bedroht. Direkt bei uns in der Nähe sind die Gräueltaten an den Jesiden verübt worden. Ich bin mit dem Auto über die Grenze in die Türkei gekommen und von dort weiter nach Deutschland. Zuerst war ich in Bremen, dort lebt ein Verwandter.
Kinder können leider nicht zur Schule gehen
Meine Frau und meine Kinder – drei Töchter und zwei Söhne – sind inzwischen auch in der Türkei. In Istanbul. Dort können sie leider nicht zur Schule gehen, das ist nicht gut. Ich möchte sie so gerne nach Deutschland holen, damit wir hier zusammen leben können. Aber das geht erst, wenn ich asylberechtigt bin und einen Aufenthaltsstatus habe. In Syrien können wir auf jeden Fall nicht mehr leben.“
Suleiman Maoo, 53, aus Ras Alain, Syrien
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