Politische Umwälzung im Nahen Osten: Warum muslimische Staaten mit Israel kooperieren wollen
Strategische Allianzen mit dem einstigen Gegner: Wie die muslimischen Staaten auf die Vereinbarung zwischen Israel und Emiraten reagieren.
Es ist eine historische Zäsur für den Nahen Osten: Die Krisenregion könnte sich nach der Vereinbarung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) über die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen unter geopolitischen und geostrategischen Gesichtspunkten völlig neu ordnen.
Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München, sieht die Einigung sogar als Zeitenwende. „Das hat schon Camp-David-Qualitäten“, sagte Masala dem Tagesspiegel in Anspielung auf den Durchbruch bei der Annäherung von Ägypten und Israel, der 1978 auf dem Landsitz des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter erzielt wurde und ein Jahr später zum Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern führte.
In der Region entstehe ein Bündnis gegen den Iran, bei dem die Teilnehmer ihre Differenzen beiseiteschieben, sagte Masala. „Wir sehen eine klassische Allianzbildung nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund.’“ Masala zufolge bildet die Auseinandersetzung mit Teheran das neue Grundthema im Nahen Osten.
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„Zentral ist nicht mehr Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, sondern der Konflikt mit dem Iran.“ Auch wenn Saudi-Arabien bisher keine eigene Vereinbarung mit Israel abgeschlossen hat, sei das Königreich sehr wohl Partner in diesem Anti-Teheran-Bündnis: Masala sieht darin sogar ein „strategisches Dreieck Israel-VAE-Saudi-Arabien“.
Die Alliierten
Genau diese Allianz strebt Benjamin Netanjahu seit Jahren an – erfolgreich. Denn Israels Regierungschef ist sich sicher, dass weitere muslimische Staaten dem Beispiel der Emirate folgen werden. Erst am Dienstag ließ sich der Sprecher des sudanesischen Außenministeriums mit wegweisenden Worten zitieren.
Demnach freue sich sein Land darauf, die Beziehungen mit Israel zu normalisieren. Ja, sogar von Frieden war die Rede. Es gebe keinen Grund für die Fortsetzung der Feindseligkeiten. Zwar wurde der Sprecher nach den Äußerungen von seinem Posten abberufen.
Doch dass sich Sudan und Israel annähern, ist spätestens seit Februar kein Geheimnis. Damals hatte sich Netanjahu mit Abdel Fatah al Burhan getroffen, Sudans De-Facto-Machthaber. Beide verkündeten, sie wollten künftig kooperieren – zum beiderseitigen Vorteil.
Denn Israel liegt viel daran, dass der Iran nicht mehr über den Sudan Waffen an die libanesische Hisbollah und die im Gazastreifen herrschende Hamas liefern kann. Das war viele Jahre der Fall. Jerusalem ließ deshalb mehrfach Militärtransporte und Lagerhallen im Sudan bombardieren. Das afrikanische Land wiederum hofft nicht zuletzt darauf, dass Israel sich für ein Ende der US-Sanktionen einsetzt.
Israel setzt im Kampf gegen das Regime im Teheran aber vor allem auf Saudi-Arabien. Das Königreich ist der erklärte Erzfeind der Mullahs in Teheran. Das macht die erzkonservative Monarchie nach Netanjahus Überzeugung zum natürlichen Partner.
Das sehen die Verantwortlichen in Riad ebenso. Nur: Sie machen ihre Haltung bisher nicht publik. Denn als Hüter der muslimischen Heiligtümer in Mekka und Medina agieren sie vorsichtig, wohl wissend, dass eine offizielle Anerkennung Israels einige Verwerfungen in der islamischen Welt auslösen könnten.
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Allerdings hat Kronprinz Mohammed bin Salman vor zwei Jahren die Richtung vorgegeben – er sprach den Israelis das Recht auf ein friedliches Leben im eigenen Land zu. Dazu passt, was ein hochrangiger Vertreter des Außenministeriums in Jerusalem am Donnerstag sagte: „Es gibt eine schöne Liste wichtiger Länder, aber wir dürfen und sollten nicht öffentlich darüber sprechen.“
Die Kandidaten
Bahrain, ein enger Verbündeter Saudi-Arabiens und der Emirate, gilt als einer der arabischen Staaten, die schon bald ebenfalls einen Vertrag mit dem jüdischen Staat unterzeichnen könnten. Die Führung des Mini-Staates auf einer Insel im Persischen Golf begrüßte den Schritt der Israelis und Emiratis.
Auch Oman kommt als Bündnispartner Israels infrage. Der VAE-Nachbar knüpft seit Jahren Kontakte mit Jerusalem; Netanjahu besuchte Oman vor zwei Jahren. Gleichzeitig bemühte sich die Regierung in Maskat um gute Beziehungen zum Iran.
Nun könnte sich eine neue Richtungsentscheidung anbahnen: Sultan Haitham bin Tarik al Said ernannte diese Woche einen neuen Außenminister, Badr al Busaidi. Möglicherweise ist das ein Signal einer Abkehr von der bisherigen Neutralität Omans zwischen den Golf-Arabern und Teheran. Wie Bahrain hat auch Oman den israelisch-emiratischen Vertrag offiziell begrüßt.
Ganz so weit will Katar nicht gehen, doch der Golfstaat steht Israel eben auch nicht feindselig gegenüber. Die Regierung in Doha hat inoffiziell bereits gute Beziehungen zum jüdischen Staat. So versorgt das Emirat mit Genehmigung Israels den von der radikal-islamischen Hamas regierten Gazastreifen mit Geld für die Stromerzeugung und Beamtengehälter, um die Situation dort zu beruhigen.
Deshalb gilt Katar ein Kandidat für eine offizielle Normalisierung der Beziehungen mit Israel.
Die Verlierer
Am heftigsten tritt diese Entwicklung den schiitischen Iran. Das Regime steht nach der Vereinbarung zwischen seinen Rivalen noch isolierter ist als zuvor. Teheran wird sich im Dauerstreit mit dem sunnitischen Saudi-Arabien um die Führungsrolle in der islamischen Welt nun noch mehr als aufrechter Kämpfer für die palästinensische Sache präsentieren.
Dennoch bleibt die Einigung ein schwerer Rückschlag für die Mullahs. Jetzt stehen ihnen – neben den USA und Israel – auch noch mehrere arabische Staaten gegenüber, die den Iran als Bedrohung empfinden.
Die Palästinenser werden durch das neue Bündnis ebenfalls stark geschwächt. Denn die Golfstaaten haben jetzt ganz offiziell den Grundsatz über Bord geworfen, die Anerkennung Israels von Zugeständnissen an die Palästinenser abhängig zu machen. Damit verlieren die Palästinenser ein wichtiges Druckmittel.
Das sieht auch Netanjahu so. Nach der Einigung mit den Emiraten sagte er, was seit Langem zu seinem Mantra gehört: Frieden entstehe durch Stärke. Auch für die Türkei wird es ungemütlicher. Ankara hat außer Katar keinen staatlichen Partner in Nahost. Israel, die Emirate und Saudi-Arabien werden nicht nur durch ihre Feindschaft mit dem Iran geeint, sondern auch durch ihre Abneigung gegenüber der Türkei.
Die Folgen
Die Gräben zwischen den verfeindeten Lagern im Nahen Osten werden tiefer. Daraus könnte sich eine neue Eskalation etwa in Syrien entwickeln, wo Israel regelmäßig mit Luftangriffen gegen iranische Einheiten vorgeht. Der syrische Staatschef Baschar al Assad ist zwar ein Partner des Iran, bemüht sich aber auch um eine Normalisierung seiner Beziehungen zu den Golfstaaten. Syrien könnte deshalb zu einem Schauplatz des Machtkampfes zwischen dem neuen Nahost-Bündnis und dem Iran werden.