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Der ehemalige Piratenpolitiker Christopher Lauer ist heute Mitglied der SPD
© dpa/Paul Zinken

Gastbeitrag von SPD-Mitglied Christopher Lauer: Warum ich meine, es besser zu können

Die Krise der SPD hat sich unter Andrea Nahles verschärft. Parteimitglied Christopher Lauer fordert einen personellen und strukturellen Neuanfang. Ein Gastbeitrag.

Während in der Partei der Unmut wächst, geht SPD-Chefin Andrea Nahles in einem Interview gegen ihre Kritiker in die Offensive: Wer meine, die Partei besser und schneller führen und erneuern zu können, solle sich melden. Parteimitglied Christopher Lauer, der von 2011 bis 2016 Mitglied der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus war, antwortet ihr in einem offenen Brief.

Liebe Andrea Nahles,

in der Süddeutschen Zeitung wirst Du heute wie folgt zitiert:

Sie führe die Partei mit all ihrer „Kraft, Leidenschaft und Zuversicht“, sagte Nahles, „wenn jemand meint, es schneller oder besser zu können, soll er sich melden.“

Dann melde ich mich mal, denn ich meine es besser zu können und vielleicht sogar schneller, wobei ich nicht weiß, warum schneller machen gut sein soll. Wenn ich mit etwas Erfahrung habe, dann mit dysfunktionalen Parteien und oh boy, unsere Partei macht auf mich grade einen extrem dysfunktionalen Eindruck. Und genau wie bei den Piraten findet keine tatsächliche Analyse oder Behebung der Probleme statt. Das wird durch magisches Denken ersetzt, die nächste Wahl werde schon wieder gewonnen werden und dann ist alles wieder gut.

Aber schaut man sich die SPD seit Gerhard Schröder an, so gewinnen wir im Grunde genommen seit 1998, also seit 20 Jahren keine Wahlen mehr.

Der SZ sagst Du weiter:

„Ich möchte wissen, was es bringen soll, wenn man einen Parteitag vorzieht oder das Personal austauscht. Ich möchte auch, dass die Motive und Anliegen der Leute offen auf den Tisch gepackt werden. Das ist es, worum ich bitte.“ Es sei eine Situation entstanden, in der „in dieser Klarheit miteinander“ geredet werden müsse.

Was fanden die Leute denn an Martin Schulz geil?

Was es bringt, den Parteitag vorzuziehen, kann ich Dir tatsächlich nicht sagen, vielleicht herrscht bei einigen die Stimmung „lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende“. Was es aber bringt, das Personal auszutauschen kann ich Dir sagen: Der berühmt berüchtigte frische Wind™.

Was finden die Leute denn an Robert Habeck und Anna Baerbock geil? Dass sie die nicht schon mit 11 Jahren in der Tageschau gesehen haben, so wie ich Dich in den 1990ern, als Du Juso-Chefin warst. Was fanden die Leute denn an Martin Schulz geil? Dass da jemand von außen kam, der nicht mit dem assoziiert wurde, wofür die SPD heute steht: Kuddelmuddel und am Ende machen die doch eh jeden Scheiß der CDU mit.

Und was fanden die Leute an den Piraten geil? Dass da endlich junge (!!!) Menschen unverstellt Politik gemacht haben, sich den Spielregeln des Mediendiskurses entzogen und etablierte Politiker, so wie ich damals bei Kurt Beck, zum Platzen brachten.

All das hat die SPD heute nicht. Die SPD ist im Bund in einer "abusive relationship" mit der CDU/CSU, weil man sich noch immer nicht klar zu einem rot/rot/grünen Projekt bekennen konnte. Mir erzählen Genoss*innen, vollkommen im Stockholm-Syndrom gefangen, „Ja ohne uns würde die CDU/CSU ja noch schlimmere Sachen machen …“, aber die Frage ist doch mit wem? Fakt ist doch, dass von den 13 Jahren Angela Merkel, die wir jetzt haben, neun von uns ermöglicht wurden. Obwohl Peer Steinbrück 2013 die Möglichkeit gehabt hätte das alles zu beenden, wenn wir das Wagnis eines rot/rot/grünen Projektes eingegangen wären. Mir kann doch niemand sagen, dass Peer Steinbrück ein schlechterer Kanzler als Angela Merkel gewesen wäre und die letzten fünf Jahre schlechter bewältigt hätte als sie.

Langer Rede kurzer Sinn: Politik ist eben nicht nur Inhalte und das Berufen auf die berühmt berüchtigte Sacharbeit, Politik ist auch glaubwürdiges Personal, das dann auch den Teppich verkauft bekommt. Im Moment geht die Schallplatte so: Ja wir machen gute Politik, aber keiner kriegt es mit. Ja bitte, dann mach was, dass es die Leute mitkriegen. So wird es zur weinerlichen "self fulfilling prophecy".

Und darüber hinaus ist dem sogenannten kleinen Menschen auf der Straße das sozialdemokratische Mikromanagement ziemlich egal. Klar können wir uns selbst für Rente oder Gute-Kita-Gesetz von hier bis Bishkek abfeiern, aber meine Güte, wenn man Steuern in einer G8-Nation wie Deutschland entrichtet, dann kann man auch erwarten, dass grundlegende Institutionen des Sozialstaats einfach funktionieren. Wir führen uns auf wie ein Typ, der sich nicht an der Hausarbeit beteiligt und von seiner Frau überschwänglich gelobt werden will, wenn er einmal im Monat die Spülmaschine ausgeräumt hat.

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Die SPD muss eine Partei sein, die sich auf ihre historischen Wurzeln beruft und die sind: Die Folgen des technologischen und gesellschaftlichen Wandels zu demokratisieren. Alle am Fortschritt, der stattfindet, zu beteiligen und insbesondere den Entrechteten sowohl eine Stimme, als auch die Möglichkeit für gesellschaftlichen Aufstieg zu geben. Dazu kommt noch, angesichts der von Menschen verursachten Klimakatastrophe, die Notwendigkeit einer radikalen Hinwendung zur Ökologie. Klar können wir Seit an Seit mit Braunkohlearbeitern stehen, aber was für eine kurzsichtige Politik machen wir, wenn die Kinder dieser Braunkohlearbeiter in einer Welt aufwachsen müssen, die wie eine Freilichttheateraufführung von Mad Max aussieht?

Du willst Motive und Anliegen der Leute wissen, die meinen, es besser zu können. Ich bin der Meinung, dass eine Partei wie die SPD notwendig ist. Allerdings haben wir kein Recht darauf, dass Menschen uns wählen, nur weil wir die älteste Partei Deutschlands sind und in der Vergangenheit geil abgeliefert haben. Es kann gut sein, dass die SPD wie in anderen Ländern Europas verschwindet, es wäre schade drum, aber mit Sicherheit nicht unerklärlich.

Machen wir uns nichts vor, am Ende des Tages werde ich nicht SPD-Vorsitzender. Deine Offensive in der SZ ist eine rhetorische Figur, die Teile der Partei hinter Dir zu versammeln, die den jetzigen Kurs noch geil finden.

Aber hier mal konkrete Veränderungen an der Struktur der Partei:

1. Verbindliche Online-Beteiligung der gesamten SPD-Basis an der programmatischen Ausrichtung der Partei durch Internet-Abstimmungen. Damit meine ich nicht nur Abstimmen, sondern auch das gemeinsame Erarbeiten von Inhalten.

2. Harte Quotierung auf allen Listen und in allen Gremien: mindestens 50% Frauen, mindestens 25% Leute unter 35, mindestens 25% Neue, mindestens 25% Migrationshintergrund.

3. Standardmäßige Urwahl der Spitzenkandidat*innen und des Parteivorsitzes.

4. Innerparteiliche Nominierung von Kandidat*innen muss so geöffnet werden, dass die interessierte Öffentlichkeit daran beteiligt wird. Wer bei einer öffentlichen Vorwahl nicht besteht, der/die holt auch nicht den Wahlkreis.

5. Personelle Entkernung und Neuanfang des Willy-Brandt-Hauses: Ob Nils Minkmars „Der Zirkus“ oder Markus Feldenkirchens „Die Schulz Story“, es wird deutlich, dass die Parteizentrale wohl nicht mehr richtig funktioniert. Da helfen wahrscheinlich auch keine Reformen, da hilft nur ein kompletter Neuanfang. Eine solche interne Verkrustung war im übrigen auch nicht ganz unerheblich am Niedergang der Piratenpartei.

Was die Koalition mit CDU/CSU angeht, so hätte ich vor allem einen Punkt: Kündigung des Koalitionsvertrages bei Beibehaltung der Koalition. Bis 1998 hat die Bundespolitik in Deutschland auch sehr gut ohne Koalitionsverträge funktioniert. Grundlage unserer Politik im Bund muss das ganze Parteiprogramm sein und wir sollten auch versuchen es durchzusetzen. Und wenn die CDU/CSU nicht mitzieht, müssen wir halt verhandeln. Aber themenbezogen und nicht anhand eines Korsetts, das der Koalitionsvertrag darstellt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (r) mit Andrea Nahles und Martin Schulz
Bundeskanzlerin Angela Merkel (r) mit Andrea Nahles und Martin Schulz
© dpa/Bernd Von Jutrczenka

Zu oft werden auch sinnvolle Anliegen der Opposition mit der Begründung abgetan, der Koalitionsvertrag würde das nicht hergeben. Zu oft wird die Zustimmung zu Anliegen, die nicht sozialdemokratisch sind damit begründet, dass man das ja so im Koalitionsvertrag vereinbart habe. Das muss ein Ende haben. Die CDU/CSU muss sich über eines klar werden: Sie regiert nicht mit uns, sondern sie regiert wegen uns. Und wenn die CDU/CSU das nicht will, dann kann sie ja nochmal Jamaika probieren oder es gibt halt Neuwahlen. Aber besser kämpfen als vor Angst sterben.

So, liebe Andrea Nahles, ich war mal führendes Mitglied einer Partei, die bundesweit in den Umfragen bei 13 Prozent stand, Du bist Vorsitzende einer Partei, die Bundesweit in den Umfragen bei 14 Prozent steht. Ich hab Dir erklärt, warum ich der Meinung bin, es besser und vielleicht sogar schneller zu können. Ich freue mich, von Dir zu hören.

Christopher Lauer war von 2011 bis 2016 Mitglied der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, anschließend trat er der SPD bei. In seinem Podcast "Lauer informiert" bespricht er "Politik und das Weltgeschehen". Dieser Text ist zuerst in seinem Blog erschienen.

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