Menschenrechtsaktivisten im Nahen Osten: Warum es lebensgefährlich ist, die Mächtigen herauszufordern
Im Nahen Osten kämpfen Frauen und Männer gegen Missstände und Willkür. Die Mächtigen wollen sie zum Schweigen bringen – auch mit tödlicher Gewalt.
Eine aktive Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Bestandteil jeder Demokratie. Doch in einigen Ländern des Nahen Ostens wird sie von den Mächtigen als Bedrohung empfunden. Mehrere Aktivisten, Anwälte und andere Kritiker an den Zuständen in Ländern von Libyen bis Iran sind in jüngster Zeit durch Mord oder Hinrichtung zum Schweigen gebracht worden.
Mit der Gewalt sollen Gegner der jeweiligen Regierungen oder einflussreicher Milizen eingeschüchtert werden. Oft sind es Frauen, die ihre Rechte einfordern und die Herrschenden zur Rechenschaft ziehen wollen – und dafür mit ihrem Leben bezahlen. Beispiele aus drei Ländern zeigen, wie gefährlich es sein kann, gegen Korruption und andere Missstände zu kämpfen.
Hanan al Barassi in Benghasi im Osten Libyens wusste, dass ihr Leben in Gefahr war. Sie werde bedroht, klagte die 46-jährige Anwältin vorige Woche in den sozialen Medien. Wenig später wurde sie von Angreifern in Benghasi auf offener Straße mit drei Kopfschüssen getötet.
Barassi hatte sich als Frauenrechtlerin und als Aktivistin gegen Korruption im Machtbereich des libyschen Rebellengenerals Chalifa Haftar einen Namen gemacht. Das wurde ihr offenbar zum Verhängnis. Am Tag vor ihrem Tod hatte sie nach Angaben von Amnesty International die Veröffentlichung eines Videos angekündigt, mit dem sie illegale Machenschaften von Haftars Sohn Saddam beweisen wollte.
Barassi war mit ihrer Kritik an Haftars Umgebung nicht allein. Die UN werfen Saddam Haftar vor, 2017 mit seinen Soldaten der „Brigade 106“ die Vertretung der libyschen Zentralbank in Benghasi ausgeraubt zu haben. Vor anderthalb Jahren soll die „Brigade 106“ an der Entführung einer anderen bekannten Kritikerin der Haftar-Herrschaft beteiligt gewesen sein.
So wurde die Frauenrechtlerin und Abgeordnete Seham Sergiwa im Juli 2019 von Unbekannten in ihrem Haus in Benghasi entführt. Presseberichten zufolge waren Soldaten der Brigade zur Zeit der Entführung in der Nähe des Hauses. Als sie die Gegend verließen, hatte jemand den Spruch „Die Armee ist die rote Linie“ an die Wand ihres Hauses gesprüht. Sergiwa bleibt bis heute verschwunden.
Reham Jakub starb am Steuer ihres Wagens in Basra im Süden des Irak, erschossen von Angreifern auf Motorrädern. Die 29-jährige Ärztin war eine prominente Anführerin der Protestbewegung, die in Basra und anderen Teilen de Landes ein Ende von Korruption, Machtmissbrauch und der iranischen Einmischung im Irak fordert.
Wie andere Mitglieder der Protestbewegung hatte Jakub seit Jahren Morddrohungen erhalten. Wegen eines Treffens mit einem amerikanischen Diplomaten wurde sie als Verräterin beschimpft.
Wenige Tage vor Jakubs Tod im August war ein anderer Aktivist in Basra, Tahsin Ossama, mit 20 Schüssen getötet worden. In weniger als einem Jahr wurden damit mehr als zwei Dutzend Mitglieder der Protestbewegung erschossen.
Die Sicherheitsbehörden können oder wollen die Anschläge nicht stoppen. Mitglieder der Protestbewegung machen pro-iranische Gruppen für die Gewalt verantwortlich. Die Teheraner Führung betrachtet die irakischen Proteste mit Sorge, weil sie um ihren Einfluss beim Nachbarn fürchtet.
Navid Afkari wurde von vielen Iranern als Held verehrt – ein erfolgreicher und beliebter Sportler, der sich für Schwache und Arme stark machte. Doch das Regime sah in dem Ringer einen Verräter, einen, der die Macht der Mullahs in aller Öffentlichkeit infrage stellte. Das hat Afkari das Leben gekostet.
Am 12. September wurde der 27-Jährige – ungeachtet heftiger internationaler Proteste – in einem Gefängnis hingerichtet. Die Behörden hatten ihn für schuldig befunden, 2018 bei einer Demonstration gegen die Regierung ein Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Milizen getötet zu haben.
Bis zuletzt hatte Afkari seine Unschuld beteuert. Zwar war ein Geständnis, auf das sich die Ermittler stützten, nach Überzeugung von Menschenrechtsgruppen und der Familie unter Folter erpresst worden. Doch die Justiz der Islamischen Republik hielt am Todesurteil fest. Es ging ihr darum, ein Exempel zu statuieren, deutlich zu machen, was Oppositionellen und Andersdenkenden droht.
Afkari gehörte zu den Anführern der Proteste in der südiranischen Stadt Schiras. Vor zwei Jahren gingen die Menschen zu Tausenden dort und im ganzen Land auf die Straße und machten ihrem Unmut über explodierende Preise und die grassierende Korruption im Staatsapparat Luft.
Die Sicherheitskräfte gingen mit großer Brutalität gegen die Demonstranten vor, mancherorts waren heftige Straßenschlachten die Folge. Danach gab es eine Repressionswelle, die bis heute anhält: Wer es wagt, eine abweichende Meinung zu äußern, wird von den Herrschenden mit aller Härte verfolgt und bestraft. Dazu gehören Willkürurteile ebenso wie extrem lange Haftstrafen, die vor allem eines sollen: abschrecken.
Die Wut der Mullahs trifft viele Oppositionelle. Eine von ihnen ist Nasrin Sotoudeh. Die Menschenrechtsanwältin und Sacharow-Preisträgerin wurde jahrelang gefangen gehalten. Ihr „Vergehen“: Sie verteidigte Frauen, die sich gegen den Kopftuchzwang auflehnen. Vor Kurzem wurde die 57-Jährige wegen ihres kritischen Gesundheitszustands aus der Haft entlassen – vorübergehend.