Terrorismus-Experte erschossen: Mord am neuen Irak
Der irakische Politikanalyst Hisham al-Hashemi wird in Bagdad getötet. Er war eine der wichtigsten Stimmen der Reformbewegung. Ein Nachruf.
Spätestens mit dem Oktober vergangenen Jahres beginnt sich im Irak etwas zu verändern. Wut über die Regierung, über die weit verzweigte Korruption in der undurchschaubaren Machtriege des Landes und nicht zuletzt der große Einfluss iranischer paramilitärische Kräfte im Irak treibt die Menschen zu Tausenden auf die Barrikaden. Vor allem der Frust der Jugend bricht sich auf den Straßen des Landes Bahn. Eine junge, perspektivlose Generation begehrt auf gegen die Machtelite ihres Landes und spült nach blutigen Protesten und vielen Toten den ehemaligen Premierminister al-Mahdi aus dem Amt.
Doch der Irak wäre nicht der Irak, würde sich das traditionelle kurdische Sprichwort “eine Hand baut und die andere zerstört” nicht immer wieder bewahrheiten. Gerade als das Land beginnt über Reformen zu diskutieren, die Massen auf den Straßen von der Politik nach Jahren erstmals ernst genommen werden, wird die Nation von einer Welle der Gewalt überrollt.
Angriff auf die US-Botschaft in Bagdad
Proiranische Kräfte der “Kataib Hizbollah” greifen als Reaktion auf amerikanische Luftschläge gegen Stellungen ihrer Miliz in Syrien und dem Irak das Areal um die amerikanische Botschaft in Bagdad an. Und weil sich Amerikaner in der Regel einen Angriff auf eine ihrer Botschaften in der jüngeren Geschichte nie gefallen ließen, folgt die prompte Reaktion. In den ersten Januartagen dieses Jahres kommt es zur amerikanischen Antwort. Der iranische Offizier Quasem Soleimani, Kommandeur der Außenabteilung der iranischen Revolutionsgarde wird einige Minuten nach seiner Ankunft am Flughafen Bagdad von einer amerikanischen Drohne getötet. Mit ihm sterben auch der irakische Brigadegeneral der “Kataib Hizbollah” al-Muhandis sowie mindestens fünf weitere Mitglieder der angegriffenen Fahrzeugkolonne.
Europa vergisst den Protest der Jungen
Der Irak wird zum Stellvertreter-Schauplatz eines amerikanisch-iranischen Konflikts und die regierungskritischen Massendemonstrationen der Jungen geraten in Europa schnell in Vergessenheit. Einer der dafür sorgte, dass der im Oktober 2019 begonnene Wandel des Iraks zumindest nicht aus dem kollektiven Gedächtnis des Nahens Ostens verschwindet war der Politikanalyst Hisham al-Hashemi.
Wenn man den gegenwärtigen politische Wandel im Irak mit der Sanierung eines Hauses vergleichen würde, dann wäre Hisham al-Hashemi einer der Architekten. Architekt eines neuen, eines anderen Iraks. Der “Umbau” seines Heimatlandes zu einem demokratischeren und - vor allem - von ausländischen Kräften unabhängigeren Iraks wird nun ohne ihn auskommen müssen.
Überwachungsvideos zeigen den Mord
Am Montagabend gibt der Journalist und Terrorismus-Experte einem nationalen Sender ein TV-Interview. Hashemi ist ein gefragter Mann in der irakischen Medienlandschaft, seine Meinung hat Gewicht. Selbst der frisch gekürte Premierminister Mustafa al-Kadhimi lässt sich nach Informationen arabischer Medien von ihm in sicherheitspolitischen Angelegenheiten beraten. Nach dem Fernsehinterview kehrt Hashemi in den noblen Bagdader Stadtteil Zeyuna zurück. Hier wohnt er mit seiner Frau und seinen Kindern.
Überwachungsvideos zeigen, wie er mit einem weißen SUV in seine Einfahrt vorfährt, als sich ein Unbekannter von der gegenüberliegenden Seite nähert. Hashemis Mörder eröffnet das Feuer, zielt mehrmals auf das Fahrerfenster. Nach wenigen Sekunden entfernt sich der Attentäter mit einem wartenden Komplizen auf einem Motorrad.
Sofort stürmen Verwandte und Nachbarn Hashemis aus dem nahen Gebäude und ziehen den schwer verletzten 47-jährigen aus dem Auto. Wenig später erliegt Hisham al-Hashemi im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.
Das Land verliert seine wichtigste alternative Stimme
So furchtbar der Mord an Hashemi für seine Verwandten und Freunde ist, so tragisch ist das Attentat für den Irak. Am Montagabend wurde dem Land einer seiner wichtigsten, alternativen Stimmen genommen.
Am 9. Mai 1973 in Bagdad geboren, begann Hashemi schon früh sich mit strategischen Fragen der Sicherheitspolitik zu beschäftigen. Gleichzeitig arbeitete und forschte er als Historiker an der Universität Bagdad. Unter dem Regime Saddam Husseins wurde er als Oppositioneller verhaftet und erst 2003 aus dem Gefängnis entlassen. Kurz darauf begann er als Journalist und Analyst für irakische und ausländische Medien zu arbeiten.
Als einer der ersten erkannte er die von den Dschihadisten des Islamischen Staates ausgehende Gefahr. Unter anderem fertigte er umfangreiche Analysen zu der internen Struktur der Terrorgruppe an. Hashemis Arbeit drückte sich jedoch gerade dadurch aus, dass er sich nie nur auf ein Gebiet fokussierte. So umfangreich sein Wissen zum IS war, so intensiv beschäftigte er sich mit den proiranischen Milizen im Irak.
Dabei war er niemals leise, seine Arbeit war immer auch politisch motiviert. Hashemi galt als ein Reformator, das Gesicht eines möglichen neuen Iraks ohne den seit Jahrzehnten währenden iranischen Einfluss. Eben dieser Mut, auch jene anzugreifen und zu kritisieren, die sonst keine Gegenrede gewöhnt sind, könnte ihm nun zum Verhängnis geworden sein.
So berichtete er nach Angaben irakischer Medien noch wenige Tage vor seinem Tod einem engen Freund, dass er von der iranischen “Kateib Hizbollah” bedroht werden würde. In seinem letzten, wenige Stunden vor seiner Ermordung abgesetzten Tweet prangert er wie oft zuvor das irakische Sektierertum und die Instrumentalisierung der Politik durch religiöse Gruppen an.
Die Ermordung Hashemis sorgt derweil auch im Irak für Entsetzen. Der als liberal geltende Premierminister Mustafa al-Kadhimi teilte über Facebook mit “man werde niemals Chaos und Mafia-Politik zulassen”.
Der britische Politikwissenschaftler und ehemalige Berater der US-Streitkräfte im Irak Toby Dodge äußerte sich tief bestürzt über den Tod seines Freundes. “Der Mord kann als tödlicher Schlag gegen die irakische Nation angesehen werden. Jene die ihn getötet haben, haben dies getan, weil sich Hashemi intensiv für politische Reformen und ein Irak ohne Korruption und Gewalt eingesetzt hat. Er musste für dieses Engagement mit seinem Leben bezahlen”, so Dodge in einem Blog-Eintrag.
Hashemi kämpfte für einen erneuerten Irak. Wenn sein Land ihm etwas zurückgeben möchte, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.
Die Mörder Hisham al-Hashemis müssen zur Verantwortung gezogen werden. Das ist der Irak ihm schuldig.
Julius Geiler