Ajatollah Schahrudi: Warum durfte Irans Ex-Justizchef Deutschland verlassen?
Am Mittwoch beschäftigt der Fall Schahrudi den Bundestag. Der Ajatollah verantwortete auch Todesurteile gegen Kinder. Bei einem Besuch in Deutschland blieb er unbehelligt.
Der Fall des ehemaligen iranischen Justizchefs, Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi, wirft weiter Fragen auf. Am vergangenen Donnerstag war er überstürzt aus einer Hannoveraner Privatklinik über Hamburg in den Iran zurückgekehrt. Während das Landeskriminalamt Niedersachsen auf dem Weg zum Hamburger Flughafen Geleitschutz leistete, ermittelte in Karlsruhe die Bundesanwaltschaft gegen Schahrudi. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am Mittwoch könnte der Fragestunde des Bundestages behandelt werden.
Am 21. Dezember reiste Schahrudi, der als enger Vertrauter und möglicher Nachfolger des religiösen Führers Ali Chamenei gilt, zur medizinischen Behandlung nach Deutschland. Das für die Einreise benötigte Visum erhielt er zuvor bei der deutschen Botschaft in Teheran, wie das Auswärtige Amt bestätigte. Nach Bekanntwerden seines Aufenthalts in Hannover kam es zu Protesten von Exil-Iranern und Iranerinnen vor dem „International Neuroscience Institute“, wo Schahrudi behandelt wurde. Mehrere Anzeigen gingen beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe gegen ihn ein – unter anderem vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen).
Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird gemäß Paragraf 7 des Völkerstrafrechts als ausgedehnter oder systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung definiert. „Der Umgang mit Kurden, Bahai, Frauen und Homosexuellen kann als systematischer Angriff bewertet werden. Wenn nicht, würde der Paragraf seinen eigenständigen Regelungsgehalt verlieren“, so Volker Beck. Zusätzlich verbietet der UN-Zivilpakt, den der Iran anders als zum Beispiel Saudi-Arabien unterzeichnet hat, Todesurteile gegen Jugendliche unter 18 Jahren und Schwangere.
Mehr als 2000 Todesurteile
Als oberster Richter der islamischen Republik Iran zwischen 1999 und 2009 soll Ajatollah Schahrudi mehr als 2000 Todesurteile bestätigt und unterzeichnet haben – unter anderem gegen Drogendealer, Homosexuelle und Kinder. In seine Amtszeit fällt beispielsweise die Hinrichtung der 16-jährigen Atefah Sahaaleh 2004. Unter Folter „gestand“ sie, mehrfach vergewaltigt worden zu sein. Wegen Ehebruchs und „unkeuschen Verhaltens“ wurde die Schülerin zum Tode verurteilt und eine Woche später öffentlich gehängt.
Makwan Moloudzadeh, der am 4. Dezember 2007 im Alter von 21 Jahren hingerichtet wurde, war zum Tatzeitpunkt erst 13. Ihm wurde Vergewaltigung und die sexuelle Beziehung zu einem Jungen vorgeworfen. Amnesty International berichtete über diesen Fall und forderte Schahrudi in einem Schreiben 2007 persönlich auf, die Hinrichtung Minderjähriger zu stoppen – vergebens. 73 Hinrichtungen von jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern zwischen 2005 bis 2015 sprechen für sich. Die Dunkelziffer könnte noch höher liegen.
Nach iranischem Recht treten Mädchen ab neun und Jungen ab 15 Jahren ins Pubertätsalter ein, ab dem sie strafmündig sind. Bei Verstoß gegen die „göttlichen Regeln“ (zum Beispiel Ehebruch, Homosexualität und Verunglimpfung des Propheten Mohammed) droht auch ihnen die Todesstrafe. „Das iranische Rechtssystem ist ein verbrecherisches System. Wenn Kinder zu Tode verurteilt werden, dürfen wir das nicht akzeptieren“, betont Mehmet Tanriverdi.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland hatte selbst Strafanzeige gegen Schahrudi gestellt, woraufhin sich viele Betroffene bei ihm meldeten. „Wir sind erschrocken, dass Leute wie Schahrudi ein Visum bekommen und sich hier behandeln lassen können. Er ist kein Unbekannter. Wieso wurden die Staatsanwälte nicht sofort aktiv?“
Nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip wäre bei einem Verdacht des Verbrechens gegen die Menschlichkeit auch der deutsche Generalbundesanwalt für den Fall zuständig gewesen. Für einen internationalen Haftbefehl gegen den als „Todesrichter“ bekannten 69-Jährigen lagen der Bundesanwaltschaft laut eigener Aussage vor Schahrudis Abreise jedoch nicht genügend Informationen vor. Dies sei eine komplexe Prüfung und dauere eine gewisse Zeit, wie die Bundesanwaltschaft mitteilte. Derzeit werde weiterermittelt. Dass es so lange dauerte, trifft auf Unverständnis.
Volker Beck: "Eine Woche Zeit für Ermittlungen"
„Eine Woche hatten sie Zeit, die Tatsachen für einen dringenden Tatverdacht zu ermitteln. Viele Leute haben Aussagen angeboten. Es ist zweifelsfrei, dass Schahrudi an Urteilen auch gegen Minderjährige und bei Taten, die keine schweren Verbrechen sind, mitgewirkt hat“, beschwert sich Volker Beck. „Es sieht aus, als habe man nicht vorgehabt, ihn in Deutschland zu verhaften.“ Auch zum behandelnden Arzt treten Fragen auf.
Madjid Samii, selbst in Teheran geboren, gilt als einer der besten Gehirnchirurgen weltweit. Auch Schahrudi ließ sich bei ihm angeblich wegen eines Hirntumors behandeln. Vom politischen Hintergrund seines Patienten will Samii im Vorfeld nichts gewusst haben. Seine Kontakte in den Iran reichen jedoch bis in die höchsten politischen Kreise. 2015 kam Samii als Brückenbauer mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf eine Iranreise.
Um Antworten in dem Fall zu erhalten, hat der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt. „Der Fall Schahrudi ist noch längst nicht vorbei. Das gehört gründlich aufgearbeitet. Es gibt viele offene Fragen. Wer war in der Bundesregierung davon informiert und hat bei der Visumsvergabe geholfen, dass ein Menschenrechtsverbrecher wie Schahrudi nach Deutschland einreisen kann? Was wusste Außenminister Sigmar Gabriel? Warum hat die Bundesregierung nicht selbst Anzeige nach dem Völkerstrafgesetzbuch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gestellt?“
Eine Antwort der Bundesregierung wird am Mittwoch erwartet. Dann wird es zusätzlich eine Fragestunde im Bundestag geben, zu der Niema Movassat (Die Linke) und Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) Fragen zum Fall Schahrudi angekündigt haben.
Ferdinand Moeck