zum Hauptinhalt
"Freiheit für die politischen Gefangenen" fordern diese Demonstranten in Barcelona.
© REUTERS/Enrique Calvo

„Kein König, keine Angst!“: Warum die Wahl in Spanien das Land nicht befrieden wird

Alfred Bosch ist Kataloniens De-facto-Außenminister – und fordert Verhandlungen: Doch die Wahl könnte den Graben zwischen Separatisten und Regierung vertiefen.

Als Alfred Bosch das Büro in der Berliner Friedrichstraße betritt, ist sie sofort zu spüren: die katalanische Entschlossenheit, die Energie. Bosch, ein kleiner, wacher Mann, grüßt in Deutschland gern auf Deutsch. Fließend spricht Bosch neben seiner Muttersprache – dem romanischen Katalanisch – Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Englisch: In seinem Job hilft das. Bosch, 58 Jahre, Vater zweier Kinder, ist Außenminister.

Nun ja, den Staat gibt es nicht, den er als Minister für Außenbeziehungen vertritt. Aber ginge es nach Bosch, wird aus der Region Katalonien ein von Spanien unabhängiges Land. „Ich hoffe jeden Tag, dass sie sich in Madrid besinnen“, sagt Bosch. „Und endlich mit uns, der Regionalregierung in Barcelona, sprechen.“

Vielleicht ist es nächste Woche so weit, wenn die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter an den Wahlurnen zugelegt haben sollten. Vielleicht erzwingen sie doch noch eine Verhandlung mit Spaniens Zentralregierung, auch wenn diese das als ausgeschlossen bezeichnet.

Am Sonntag wird in Spanien ein neues Parlament gewählt, es ist die zweite Wahl in diesem Jahr, die vierte seit 2015. Wieder sind 37 Millionen Bürger im ganzen Land zur Stimmabgabe aufgerufen – die öffentliche Debatte aber dominiert die renitente Region um Barcelona.

Tausende Polizisten sollen die Wahl sichern

Seit Wochen liefern sich aufgebrachte Katalanen dort Straßenschlachten mit Polizisten, wird der politische Graben zwischen Unabhängigkeitsanhängern und ihren Gegnern tiefer. Allen Umfragen zufolge dürften der Ministerpräsident Pedro Sánchez und seine sozialdemokratische PSOE eine stabile Mehrheit verfehlen – ausgerechnet Sánchez, der als Versöhner, als souveräner Macher in einem gespaltenen Land galt, wird auch nach Sonntag zwischen verhärteten Fronten stehen: einer erstarkten spanischen Rechten – und einer womöglich ebenfalls erstarkten katalanischen Linken.

Seine Regierung wird zur Wahl massenhaft Polizisten in Katalonien einsetzen – neben 8000 Regionalpolizisten der Mossos d’Esquadra sollen 4000 Männer der Nationalpolizei und der hochgerüsteten Guardia Civil die Wahllokale, Plätze, Amtsgebäude sichern.

Der katalanische De-facto-Außenminister Alfred Bosch zu Besuch in Berlin.
Der katalanische De-facto-Außenminister Alfred Bosch zu Besuch in Berlin.
© Hannes Heine

„Madrid hat Justiz und Sicherheitskräfte zu Werkzeugen der Politik gemacht“, sagt Bosch und wird ein bisschen lauter. „Statt sich mit uns an einen Tisch zu setzen.“

Alfred Bosch trägt am Revers seines Sakkos eine Miniaturblume in sattem Gelb. Es ist die Farbe der Katalanen. Die Senyera, die offizielle Fahne der nordspanischen Region, führt gelbe Streifen. Auch die Estelada, die Flagge der Separatisten, hat gelben Grund, dazu noch einen Stern. Hunderttausende Katalanen tragen gelbe Schleifen als Symbol der Unterstützung für die in Spanien inhaftierten Separatisten.

Spanische Nationalflaggen wiederum brennen auf Barcelonas Straßen dieser Tage. Öfter sind auch Graffiti zu sehen: „Ni Rei, ni Por!“ - „Kein König, keine Angst!“ Spaniens König Felipe VI. hatte Barcelona vor einigen Tagen besucht. Das Kongresszentrum, in dem der König an einer Preisverleihung teilnahm, sicherten Hunderte Polizisten.

De-facto-Botschafter eines Noch-lange-nicht-Staates

Alfred Bosch besucht nun nicht nur in Berlin die Vertretung seiner Regionalregierung, sondern auch in Paris, Wien, Brüssel. Er lotet die Stimmung unter europäischen Politikern aus, spricht mit Journalisten, will seinen Traum von einer katalanischen Republik erklären. „Ja, der Kampf um Katalonien polarisiert“, sagt Bosch in der De-facto-Botschaft seines Noch-lange-nicht-Staates. „Aber viele sehen, dass in Spanien etwas falsch läuft.“ In Berlin hat er mit Politikern von CDU bis Linke gesprochen, sie alle wollen darum kein Aufhebens machen: Spanien ist ein treuer Partner Berlins, EU- und Nato-Mitglied.

Spaniens Regierungschef Sánchez und Bosch kennen sich seit Jahren persönlich. Die beiden saßen im Nationalparlament in Madrid einst fast nebeneinander: Sánchez für Spaniens Mitte-Links-PSOE, eine stolze Partei, die anders als die SPD stets mehr als 25 Prozent der Stimmen bekommt. Und Bosch für Kataloniens Linkspartei ERC, die anders als Sánchez mit König, Kirche und Spaniens Konservatismus brechen möchte – davonrennen könnte man es auch nennen.

Katalanische Linksnationalisten: "Wir haben Sánchez geholfen"

Spaniens politische Lage ist schon seit Herbst 2015 instabil. Damals zerbrach das klassische Zwei-Parteien-System aus den Sozialdemokraten der PSOE und der konservativen Volkspartei PP. Zugleich gewannen bürgerliche, sozialdemokratische und linksradikale Separatisten in Katalonien die Wahl und bildeten unter der Führung des zögerlichen Carles Puigdemont eine Regierung. Die organisierte eine Abstimmung, die das Verfassungsgericht in Madrid schnell verbot. Die katalanische Führung aber blieb hart: Am Tag des Unabhängigkeitsreferendums, dem 1. Oktober 2017, besetzten separatistische Bürgerinitiativen Schulen und funktionierten sie zu Wahllokalen um.

Die damalige Zentralregierung unter dem PP-Konservativen Mariano Rajoy nahm die katalanischen Aspirationen so ernst, dass sie die Guardia Civil entsandte. Ausgerechnet. Die paramilitärische Polizei sehen viele Spanier noch als Instrument des Diktators Francisco Franco. Rajoy ließ nach Artikel 155 der spanischen Verfassung die Region im Herbst 2017 von Madrid aus unter Zwangsverwaltung stellen – nun allerdings wuchs der Druck aus der EU, wo man Kataloniens Nationalisten sonst gern blindes Abenteurertum vorwarf.

Kataloniens Regionalpräsident Puigdemont war inzwischen ins Exil geflohen – im März 2018 wurde er auf Spaniens Druck hin von deutschen Beamten in Schleswig-Holstein verhaftet. Vorwurf: „Rebellion“, 20 Jahre Haft sind möglich. Das zuständige Oberlandesgericht entschied jedoch, dass Puigdemonts Vergehen gewaltlos abgelaufen seien, sie rechtfertigten keine Auslieferungshaft an Spanien.

Im Juni 2018 löste Pedro Sánchez den verbohrten Rajoy als Regierungschef ab – mithilfe der katalanischen Parteien, auch Boschs ERC. „Wir haben Sánchez geholfen“, sagt Bosch. „Ja, wir sahen in ihm einen Vermittler, einen Modernisierer.“ Sánchez bildete eine PSOE-Minderheitsregierung – und wirkte zunächst wie ein Versöhner, als Mann der nötigen, also großen Geste. Er kündigte Gespräche mit den Separatisten an, wenn denn nur Spanien als Ganzes erhalten bliebe.

Spaniens politische Justiz?

Madrids Justiz aber blieb hart: Im Februar 2019 begann der Strafprozess gegen zwölf katalanische Spitzenpolitiker, die sich für das Referendum über die Unabhängigkeit eingesetzt hatten. Im spanischen Parlament verbündeten sich katalanische Separatisten nun indirekt mit der zentralspanischen Opposition – und stimmten gegen den Haushalt der von ihnen zuvor geduldeten Minderheitsregierung Sánchez’. Also wieder Neuwahlen: Sánchez’ PSOE wird im April 2019 erneut stärkste Kraft, findet nun aber keinen Koalitionspartner.

Ein halbes Jahr später, im Oktober der Schock für Alfred Bosch: Spaniens höchstes Gericht verhängt Haftstrafen gegen die zwölf Angeklagten der Unabhängigkeitsbewegung. Der katalanische Vizepräsident erhielt mit 13 Jahren Haft die höchste Strafe – wegen Aufruhrs in Verbindung mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Es war sogar ein Jahr mehr, als einige Ankläger gefordert hatten. Bosch spricht auch in Berlin von Madrids „politischer Justiz“, mit der die Zentralregierung die Proteste zerstören wolle.

Unabhängig davon, ob diese Einschätzung zutrifft: Die Urteile haben die Lage eskaliert, es gab Massenproteste, brennende Barrikaden, Wutreden auf beiden Seiten. Immer noch befinden sich sieben katalanische Politiker im Exil. „Das Urteil ist ein monumentaler Fehler“, sagt Bosch, dessen Regionalregierung davon möglicherweise profitiert? „Selbst in Frankreich, wo sie für Separatisten wenig übrig haben, gibt es nun Sympathien.“

Pedro Sánchez steht unter Druck von rechts

Nicht nur die Wut in Katalonien ist größer geworden. In Zentralspanien werfen viele Sánchez zu viel Nachsicht vor – trotz der harten Urteile gegen die katalanische Führung. Und auch Bosch sagt: Pedro Sánchez, 47, sei ein vertrauenswürdiger Politiker. „Er steht unter enormem Druck – vom nationalistischen Flügel seiner eigenen Partei! Und von der radikalen Rechten.“

Schon bieten sich die Rechtspopulisten der Vox den Empörten in Zentralspanien an, eine vergleichsweise neue Partei: Bei der Wahl im April erhielt sie 10,3 Prozent – Umfragen zufolge könnte sie am Sonntag 14 Prozent der Stimmen bekommen. Vox-Chef Santiago Abascal sagte, Kataloniens aktueller Regionalpräsident Quim Torra müsse „festgenommen, in Handschellen abgeführt und vor Gericht gestellt“ werden.

Katalanische Unabhängigkeitsbefürworter demonstrieren gegen Spaniens König in Barcelona.
Katalanische Unabhängigkeitsbefürworter demonstrieren gegen Spaniens König in Barcelona.
© REUTERS/Enrique Calvo

Und so ist aus dem Versöhner Sánchez der Durchregierer Sánchez geworden: Der Ministerpräsident droht der Regionalregierung in Barcelona erneut mit Zwangsverwaltung und sagt, man müsse Referenden über die Unabhängigkeit der Regionen „ein für allemal verbieten“. Kein Referendum zuzulassen, ist von Spaniens Verfassung gedeckt – von der deutschen übrigens auch. Allerdings, darauf setzt Bosch und das fürchtet Ministerpräsident Sánchez, sind immer noch 2,1 Millionen ziemlich entschlossene Wähler für die Unabhängigkeit.

„Alles, was wir derzeit wollen, ist die Möglichkeit, ein legales Referendum abzuhalten – so wie in Schottland.“ Aber, Minister Bosch, eine freie Abstimmung könnten Sie verlieren? „Als Volk wollen wir die Möglichkeit haben.“ Auch Schottlands Separatisten stellen die Provinzregierung. Beim Referendum 2014 stimmten 55 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung von London. Und auch in Katalonien blieben die Separatisten stets unter der 50-Prozent-Marke.

Sánchez weiß um die Polarisierung. Am Donnerstag lobte er in internationalen Medien die spanische Verfassung und machte vorsichtig ein Verhandlungsangebot: „Kein Staat würde jemals die einseitige Abspaltung eines Gebietes erlauben, das Teil seiner verfassungsmäßigen Ordnung ist.“ Dass „es offene Wunden sowie Schmerz und Frustration“ gebe, sei ihm jedoch bewusst. Noch bestehe die Möglichkeit, darüber nachzudenken, „was wir gemeinsam tun können, um das Wohl aller unserer Bürger zu verbessern“.

In Madrid eine stabile Regierung in Sicht? Eher nicht!

In der sozialliberalen „El País“ hieß es mit Verweis auf Umfragen, dass die PSOE leicht verlieren dürfte. Weder das linke noch das rechte Lager werden so genug Stimmen für eine absolute Mehrheit erhalten. Nur gemeinsam hätten die großen Parteien, die PSOE und die konservative PP, eine stabile Mehrheit – doch eine große Koalition, die es in Spanien noch nie gab, schließt Sánchez aus.

Er hofft auf eine einfache Mehrheit, unterstützt von den Parteien der Mitte, die so eine dritte Wahl innerhalb eines Jahres vermeiden wollen.

In der in „El País“ veröffentlichten Umfrage heißt es übrigens auch: Nur zwölf Prozent der Befragten erwarten, dass die nächste Regierung stabil sein wird – mehr als 76 Prozent prognostizieren: baldige Neuwahlen.

Zur Startseite