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In der Hand gelbe Tulpen - die Farbe der Separatisten: Carles Puigdemont am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg.
© Kappeler/dpa

Kataloniens Ex-Regierungschef Puigdemont: Über Kreuzberg zurück in die Normalität

Carles Puigdemont spricht nicht von Revolte, sondern von Dialog. Der ehemalige katalanische Regierungschef wird in Berlin gefeiert wie ein Popstar. Sein Wunsch: Normalität. Noch ist Puigdemont davon weit entfernt.

Als wären ihm der Applaus, die Rufe, all die Blumen, die sie ihm entgegenstrecken, peinlich. Als rechnete er gar nicht damit, dass ihm, wo immer er auftritt, gerade junge Katalanen zujubeln: „Es lebe unser Präsident!“ Fast scheint es so, als sei Carles Puigdemont an diesem Samstag in Berlin ein wenig überfordert damit, der Exilpräsident jener europäischen Region zu sein, die derzeit wie keine zweite die Mächtigen in Madrid, Brüssel und Berlin beschäftigt.

Und so lächelt Puigdemont etwas verlegen, als er in einem Vereinslokal am Kottbusser Tor, „Aquarium“ genannt, eine kleine Bühne betritt. Kamerateams aus ganz Europa sind da, allerlei Nachrichtenagenturen, dazu Sympathisanten, katalanische Exilpolitiker, ein paar frühere Hausbesetzer auch. Sie alle schwitzen.

Erst am Freitag wurde Carles Puigdemont aus der Justizvollzugsanstalt Neumünster entlassen, am 25. März war er in Schleswig-Holstein festgenommen worden. Das zuständige Oberlandesgericht hat entschieden, dass der Auslieferungshaftbefehl gegen ihn unter Auflagen ausgesetzt wird: Eine Kaution von 75 000 Euro – und Puigdemont muss sich wöchentlich bei der Polizei melden. Das Land verlassen darf er nicht. Will er auch nicht, jedenfalls vorerst. Auf absehbare Zeit, sagt er, bleibe er in Berlin.

In Kreuzberg blitzen die Lichter der Kameras noch, da setzt Carles Puigdemont zu einer Rede in Katalanisch an, die er anschließend in Englisch und Spanisch wiederholt. Nicht von Revolte, nicht von Sieg, nicht von einem eigenen Staat spricht er da, sondern von Dialog, vom Abwarten, von der Liebe zu Europa. Erst wenn sein Auslieferungsverfahren abgeschlossen sei, wolle er nach Brüssel zurück, wo er seit seiner Flucht im vergangenen Oktober im Exil lebte. Von Barcelona, der katalanischen Hauptstadt, spricht Puigdemont nicht.

Carles Puigdemont, ehemaliger Präsident Kataloniens, in Berlin-Kreuzberg. Der Veranstaltungsraum ist voll, vor der Tür warten jubelnde Anhänger.
Carles Puigdemont, ehemaliger Präsident Kataloniens, in Berlin-Kreuzberg. Der Veranstaltungsraum ist voll, vor der Tür warten jubelnde Anhänger.
© Kappeler/dpa

Dort im Palau de la Generalitat de Catalunya, dem Regierungssitz, hatte Puigdemont vorangetrieben, was ihn schließlich dazu zwang, sein Land verlassen zu müssen. Obwohl das spanische Verfassungsgericht im fernen Madrid ein Referendum über Kataloniens Unabhängigkeit untersagt hatte, ließ Puigdemont am 1. Oktober 2017 Wahlurnen aufstellen. Fast zwei Millionen Katalanen stimmten für die Unabhängigkeit. Vergeblich hoffte Puigdemont auf Verhandlungen mit Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Doch der stellte die Region unter Zwangsverwaltung. Katalanische Politiker wurden festgenommen, Puigdemont floh nach Belgien. Spaniens Justiz erwirkte einen europäischen Haftbefehl wegen Verdachts der Untreue und der Rebellion.

„Ich bin mir vollkommen bewusst, dass wir einen Prozess starten, der weder einfach noch komfortabel sein wird“, hatte Puigdemont zu Beginn seiner Amtszeit 2016 gesagt. „Dies ist nicht die Zeit für Feiglinge.“ In Kreuzberg, das wird an diesem Samstag deutlich, hält ihn niemand für einen Feigling. Eher für einen Helden. Vielleicht sogar einen Kämpfer – wenn auch einen sanften. Jemanden, den in den turbulenten Wochen des vergangenen Herbstes ein separatistischer Abgeordneter so beschrieb: „Komisch, er ist nicht der Revolutionär, für den ihn nun alle halten. Er ist ein Schreiber, ein Träumer, ein netter Kollege.“

Einer, so lässt sich heute ergänzen, der durch Madrids Justiz zum Politstar wurde. Erst als Spaniens Behörden den Druck erhöhten und sich die deutsche Polizei zur Festnahme entschloss, wurde aus dem abgesetzten Provinzpolitiker ein von den Mächtigen gejagter Freiheitskämpfer. Nur Stunden nach seiner Festnahme gingen in Barcelona Massen auf die Straßen. Ausschreitungen drohten, deutsche Oppositionspolitiker kritisierten die Bundesregierung.

Vor der Pressekonferenz von Carles Puigdemont fordern Katalanen die Freilassung der in Spanien inhaftierten Politiker Jordi Sanchez und Jordi Cuixart.
Vor der Pressekonferenz von Carles Puigdemont fordern Katalanen die Freilassung der in Spanien inhaftierten Politiker Jordi Sanchez und Jordi Cuixart.
© Pedersen/dpa

Carles Puigdemont ist noch immer kein Revolutionär, kein Machtmensch. So sagt er, trotz der Hitze im „Aquarium“ weiterhin im Jackett: „Die Unabhängigkeit ist für uns nicht die einzige Lösung. Wir sind bereit, zuzuhören.“
Wie seine Anhänger trägt Carles Puigdemont an diesem Samstag eine gelbe Schleife am Revers. War – in Kreuzberg zumal – einst Rot die Farbe, die mit Rebellion verbunden wurde, dominiert nun das satte Gelb der Katalanen. Die Senyera, die offizielle Fahne der nordspanischen Region, führt fünf gelbe Streifen. Auch die Estelada, die Flagge der Separatisten aus Puigdemonts Koalition, hat mehrheitlich gelben Grund, dazu noch einen Stern. Hunderttausende Katalanen tragen die gelbe Schleife, als Symbol der Unterstützung für die inhaftierten Separatisten. Auch vor dem „Aquarium“ wehen am Samstag die gelb-gestreiften Fahnen.

Drinnen wirkt der Exilpolitiker inzwischen entspannter. Er ist wieder derjenige, den sie in Barcelona einen Träumer nannten, den bloß die wechselnden Koalitionen des dynamischen Politikbetriebes an die Macht hievten. Herr Puigdemont, wie geht es Ihnen in Deutschland?

In Berlin werde er versuchen, zur Normalität zurückzukehren, sagt er. Und dass er sich auf die Stadt freue, sich auskenne und sogar Freunde hier habe. Er lächelt. Kurze Pause. „Natürlich werde ich mich nicht in die deutsche Politik einmischen“ sagt Puigdemont. Er plane nicht einmal Treffen mit deutschen Politikern – obwohl die offenbar Interesse daran hätten. Denn die Unabhängigkeitsbewegung ist größer, besser verankert, hartnäckiger als viele Kommentatoren dachten. Dass Puigdemont nach der Absetzung durch die Zentralregierung, schon im belgischen Exil, ausreichend Stimmen bekam, um erneut Kataloniens legitimer Präsident hätte werden können, entsetzte einige in Madrid, Brüssel, Berlin.

Gegen ihn bleibt, selbst wenn der Vorwurf der Rebellion vom Oberlandesgericht verworfen wurde, noch der Untreueverdacht. Um das Referendum zur Unabhängigkeit abhalten zu können, soll Puigdemont 1,6 Millionen Euro aus Kataloniens Staatskasse verwendet haben.

Nach der Pressekonferenz spricht Puigdemont vor der Tür zu seinen Anhängern, die meisten junge Katalanen, einige aus anderen Städten angereist. Dann will er los, es gebe viel zu tun. Dutzende folgen ihm zum Auto, rufen, jubeln, werfen gelbe Tulpen. Sie drängen ihn in den Hof eines Wohnblocks am Kottbusser Tor. Von den Balkonen mit ihren Satellitenschüsseln betrachten Frauen mit Kopftüchern den Pulk, ein Mann mit einem Wochenendvorrat an Red-Bull-Dosen unter einem Arm fragt verblüfft: „Wer issn’ ditt?“ Und nickt nach kurzer Erklärung: „’N Präsident?! Auf jeden Fall fame.“ Ja, fame – berühmt – ist Carles Puigdemont inzwischen. Im Oktober 2017, als er in Brüssel seine erste Pressekonferenz im Exil gab, war er das auch schon. Doch damals wirkte er abgekämpft und traurig. Carles Puigdemont hatte damals gesagt, er werde den Kampf um die Unabhängigkeit keinesfalls aufgeben. Aber er werde ihn „verlangsamen“.

Die Estelada, die Flagge katalanischer Unabhängigkeitsbefürworter, in Berlin. Dahinter der Reichstag
Die Estelada, die Flagge katalanischer Unabhängigkeitsbefürworter, in Berlin. Dahinter der Reichstag
© Hanschke/REUTERS

Dass er an diesem Tag im „Aquarium“ auftritt, während in anderen Hauptstädten die Säle von Luxushotels und Amtsgebäuden für ihn geöffnet wurden, sagt viel darüber aus, wie Deutschlands Spitzenpolitiker zum Kampf um Katalonien stehen: Sie sprechen verschämt von einer innerspanischen Angelegenheit. Doch das ist sie wohl kaum noch.

Während Puigdemont in Kreuzberg spricht, ärgert sich in Madrid sein Gegenspieler Mariano Rajoy – und zwar nicht nur über den Auftritt des Katalanen. Spaniens Oppositionsführer Pedro Sánchez, eigentlich Anhänger des Zentralstaats, fordert den Ministerpräsidenten auf, sich nicht länger „hinter den Richtern“ zu verstecken. Sánchez will eine politische, keine juristische Antwort auf Puigdemont: Rajoy müsse mit den Katalanen reden. Pablo Echenique von der linken Podemos-Partei, ebenfalls Freund der spanischen Einheit, sagt: Rajoy selbst habe Puigdemont in einen Helden verwandelt. Carles Puigdemont wird 1962 in einem kleinen Dorf im katalanischen Kernland geboren, seit jeher Hochburg der Feinde Madrids. Als Kind erlebt er noch die Epoche des Diktators Francisco Franco, neben dem nur noch Kirche, Armee und König gelten sollen. Puigdemonts Vater ist Bäcker, der noch sieben weitere Kinder ernähren muss. Zu Hause spricht man Katalanisch – eine eigene, romanische Sprache.

Als junger Mann studiert Carles Puigdemont katalanische Philologie, macht aber keinen Abschluss. Stattdessen reist er viel, auf dem Balkan möchte er die dort um Eigenstaatlichkeit kämpfenden Nationen des zerfallenden Jugoslawiens kennenlernen. Er wird Journalist und beklagt 1994 in einem Buch, dass internationale Medien kaum über Katalonien berichten. Unter den Nationalisten ist er zwar der Weltgewandte, er spricht Katalanisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Rumänisch; mit der rumänischen Anglistin Marcela Topor bekommt er zwei Töchter. Doch bis nach Brüssel oder Berlin dringen die katalanischen Separatisten nicht durch. Erst als nach der Wirtschaftskrise 2008 die linksnationalistische Bewegung aus Parteien, Gewerkschaften und Nachbarschaftsvereinen in Katalonien stärker wird, wird auch der Liberale Puigdemont ehrgeiziger.

Am Kottbusser Tor hallen die „Unser Präsident!“–Rufe zwischen den Wohnblöcken, Korrespondenten machen sich Notizen, und auf den Balkonen sammeln sich mittlerweile ganze Familien, um einen Blick auf den Tumult um den katalanischen Anführer werfen zu können. An diesem Samstag ist zu ahnen: Ambitionen hat er noch immer. Doch auch Spaniens Justiz gibt nicht auf. Das Justizministerium in Madrid erwägt, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anzurufen. Auch könnte der Haftbefehl gegen Puigdemont womöglich zurückgezogen werden.

Würde er Deutschland dann verlassen, könnte er in einem anderen Land mit neuem Befehl festgenommen werden. Wo er in der Stadt wohnen werde, lautete eine Frage im „Aquarium“? Carles Puigdemont hatte daraufhin versöhnlich gelächelt. Antworten, sagte er, werde er darauf selbstverständlich nicht.

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