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Barcelona: Polizisten halten einen Demonstranten fest
© AFP/LLUIS GENE
Update

Katalonien-Konflikt: Fast 100 Verletzte bei Protest gegen Puigdemont-Festnahme

Der Separatistenführer, der am Sonntagnachmittag in Schleswig-Holstein festgenommen wurde, wird am Montag dem Amtsrichter vorgeführt. In Barcelona eskalieren Proteste gegen die Festnahme.

Tausende Menschen haben am Sonntag in Barcelona und anderen Orten Kataloniens gegen die Festnahme ihres Ex-Regionalpräsidenten Carles Puigdemont in Deutschland protestiert. Dutzende Menschen wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei verletzt. Am Montag soll der Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung einem Amtsrichter vorgeführt werden. Ob er in Auslieferungshaft genommen wird, entscheidet dann das Oberlandesgericht in Schleswig.

Die Demonstranten schleuderten Eier, Flaschen und Eisengitter gegen die Polizisten und versuchten, sie mit Müllcontainern zu bedrängen. Diese setzen Schlagstöcke ein und gaben Warnschüsse in die Luft ab. Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und der Unabhängigkeitsbewegung und der Polizei wurden auch aus Lleida, 150 Kilometer westlich von Barcelona, und Tarragona im Süden der Region gemeldet. Insgesamt 87 Menschen wurden laut den Rettungsdiensten verletzt, darunter 79 in Barcelona. Unter ihnen waren auch 13 Polizisten.

Puigdemont war am Sonntag aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bei der Einreise aus Dänemark in Schleswig-Holstein festgenommen worden. Seine Festnahme und mögliche Auslieferung an Spanien ist die jüngste Wendung in dem Konflikt um Kataloniens Abspaltung von Spanien, der nach dem Referendum und der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit der Region im Oktober eskaliert war.

"Rache und Unterdrückung"

Die Nachricht von der Festnahme Puigdemonts sorgte in Spaniens Politik für Aufruhr. „Spanien sorgt nicht für einen fairen Prozess, sondern nur für Rache und Unterdrückung“, twitterte Elsa Artadi, Sprecherin von JxCat (Gemeinsam für Katalonien), der Liste, der auch Puigdemont angehört. Sie schloss sich auch dem Protestmarsch in Barcelona an.

Eine ehemalige Abgeordnete der radikalsten separatistischen Partei CUP, Mireia Boya, schrieb: „Jetzt werden wir sehen, ob die Europäische Union die Verletzung der Grundrechte durch den spanischen Staat unterstützt.“

„Die Flucht des Putschisten Puigdemont ist beendet“, twitterte hingegen Albert Rivera, Vorsitzender der Anti-Unabhängigkeitspartei Ciudadanos. Der Versuch, eine europäische Demokratie zu zerstören, demokratische Gesetze zu brechen, das Zusammenleben zu stören oder öffentliche Gelder zu veruntreuen, könne nicht ungestraft bleiben. Die liberale Ciudadanos war aus den Regionalparlamentswahlen im Dezember als stärkste Partei hervorgegangen, die drei separatistischen Parteien vereinigen aber zusammen mehr Stimmen auf sich.

Festnahme kurz nach der Einreise in Deutschland

Dem voran gegangen war ein schneller Erfolg der am Wochenende eingeleiteten europaweiten Fahndung nach dem flüchtigen Puigdemont: Am Sonntagmittag stoppten deutsche Polizisten den 55-Jährigen kurz nach der Einreise per Pkw aus Dänemark. Die spanischen Behörden hatten am Freitagabend, als sich Puigdemont in Finnland befand, einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Daraufhin war Puigdemont überstürzt abreist.

Puigdemonts Anwalt Jaume Alonso-Cuevillas bestätigte der spanischen Nachrichtenagentur EFE die Angaben. Puigdemont habe offenbar Richtung Hamburg und dann weiter in die belgische Hauptstadt Brüssel fahren wollen, wo er in den letzten Monaten lebte. Puigdemont war Sonntagmittag auf einer Autobahnraststätte an der A7 bei Schleswig gestoppt und auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls festgenommen worden. Der katalanische Separatist befand sich auf dem Weg nach Belgien, wo er im Exil lebte.

Er wird am Montag einem Amtsrichter vorgeführt. Das Gericht werde zunächst lediglich die Identität Puigdemonts prüfen, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig am späten Sonntagnachmittag. Ob er in Auslieferungshaft genommen wird, werde dann das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in Schleswig entscheiden. Das Gericht werde zudem prüfen, ob eine Übergabe von Puigdemont an die spanischen Behörden "rechtlich zulässig ist".

Puigdemont drohen bis zu 25 Jahren Haft

Spaniens Oberster Gerichtshof hatte am Freitag Anklage gegen Puigdemont erhoben und angekündigt, ihm wegen Rebellion den Prozess zu machen. Den Anführern einer Rebellion drohen 15 bis 25 Jahre Haft. Die spanische Justiz wirft dem früheren Ministerpräsidenten Kataloniens vor, mit gesetzeswidrigen Methoden die Abspaltung der Region von Spanien angestrebt und damit gegen die Verfassung verstoßen zu haben. Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit einer Region nicht vor.

Am Freitagabend hatte der Gerichtshof in Madrid den internationalen Haftbefehl nach Finnland geschickt, wo sich Puigdemont in den letzten Tagen aufhielt. Doch das Haft- und Auslieferungsgesuch kam zu spät: Puigdemont gelang es, kurz vorher das Land zu verlassen. Sein finnischer Gastgeber, der Abgeordnete Mikko Kärnä, teilte mit, dass der Gesuchte „auf unbekanntem Wege“ abgereist sei.

Für Samstagabend hatte Puigdemont einen Flug von Helsinki gebucht. Am Flughafen hätte ihn die finnische Polizei erwartet, die die Flughäfen überwachte. Es wird deswegen vermutet, dass sich der Gesuchte mit Fähre und Pkw auf die Rückreise gemacht hat. Der Separatistenchef hatte sich dann am Samstag von einem unbekannten Ort per Twitter mit einer Durchhalteparole gemeldet: „Wir werden bis zum Ende kämpfen.“

Prozess soll im Herbst beginnen

Mit dem internationalen Haftbefehl, mit dem Puigdemont europaweit zur Fahndung ausgeschrieben wurde, hatte Spaniens Gerichtshof einen neuen Anlauf unternommen, um den Separatistenführer festzusetzen. Bereits nach seiner Flucht aus Spanien im Herbst war ein Auslieferungsgesuch nach Belgien geschickt worden. Damals standen die Ermittlungen am Anfang. Angesichts der Sorge, dass die belgischen Behörden die Überstellung verweigern könnten, wurde das Gesuch später zurückgezogen. Inzwischen sind die Ermittlungen abgeschlossen, und es scheint weiteres Belastungsmaterial gegen Puigdemont vorzuliegen.

Insgesamt stellte das Gericht am Freitag sechs internationale Haftbefehle aus: Gegen Puigdemont und gegen fünf seiner Mitstreiter, die sich derzeit in Belgien, der Schweiz oder Schottland aufhalten. Zu den Gesuchten gehören vier Minister der im Herbst abgesetzten katalanischen Regierung und zudem die in die Schweiz geflohene Vize-Chefin der Separatistenpartei Esquerra, Marta Rovira. Gegen die ebenfalls in der Schweiz aufgetauchte Separatistin Anna Gabriel wurde kein internationaler Haftbefehl erlassen.

Am Freitag hatte der Oberste Gerichtshof Anklage gegen 25 führende Separatisten erhoben, denen vorgeworfen wird, im Zuge ihrer Unabhängigkeitspolitik Gesetze gebrochen und Gerichtsentscheidungen ignoriert zu haben. Puigdemont und 12 weiteren Politikern, die zu seinem strategischen Planungsstab gehörten, soll wegen Rebellion und Veruntreuung von Steuergeldern der Prozess gemacht werden. Die übrigen Beschuldigten müssen sich wegen vor allem wegen Ungehorsams verantworten. Der Prozess soll im Herbst beginnen.

Zudem hatte der zuständige Untersuchungsrichter Pablo Llarena am Freitagabend fünf angeklagte Separatistenführer, die sich unter Auflagen auf freiem Fuß befanden, in Untersuchungshaft geschickt. Darunter befand sich auch der Puigdemont-Vertraute Jordi Turull, dessen Wahl zum katalanischen Regionalpräsidenten kurz zuvor am Streit des Unabhängigkeitslagers gescheitert war. Damit geht der politische Stillstand in Katalonien, wo die Separatisten in der Regionalwahl im Dezember eine knappe Mehrheit der Sitze eroberten, weiter. Wenn bis zum 22. Mai keine Regierung zustande kommt, müssen Neuwahlen angesetzt werden. (mit dpa, AFP)

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