Naher Osten: Warum die Türkei und der Iran jetzt kooperieren
Gestern Rivalen, heute Partner: Die Türkei und der Iran haben ein neues Bündnis im Nahen Osten geschlossen. Eine Analyse.
Es ist noch nicht lange her, da hatten Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung fast nur Schlechtes über den Nachbarn Iran zu sagen. Teheran betreibe „persischen Nationalismus“ im Nahen Osten, der nicht hingenommen werden könne, sagte der türkische Präsident im Februar.
Sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf der iranischen Regierung vor, sie wollten den Irak und Syrien zu schiitischen Staaten machen. Doch das Blatt hat sich gewendet. Erdogan sieht im Iran jetzt einen wichtigen Partner im Kampf gegen einen möglichen Kurdenstaat im Norden Iraks. An diesem Mittwoch will der Präsident in Teheran über eine engere Zusammenarbeit sprechen.
In gegnerischen Lagern
Unkompliziert waren die Beziehungen zwischen Ankara und Teheran noch nie. Der sunnitische Nato-Staat Türkei und die schiitische Regionalmacht Iran befinden sich in vielen Konflikten des Nahen Ostens in gegnerischen Lagern.
In Syrien etwa hilft Teheran Staatschef Baschar al Assad, einem Erzfeind Erdogans. Im Jemen unterstützt die Türkei die saudisch geführte Intervention gegen die aufständischen Huthi, die von Teheran unterstützt werden.
Gleichzeitig aber erhält die Türkei rund ein Fünftel ihres Bedarfs an Öl und Gas aus dem Iran. Die türkische Wirtschaft hofft, von der Aufhebung westlicher Sanktionen gegen den Nachbarn profitieren zu können. Im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar stehen Ankara und Teheran gemeinsam zu der Regierung in Doha.
Furcht vor einem Kurden-Staat
Und: Das kurdische Referendum im Nordirak hat die beiden Länder noch enger zusammengebracht. Sowohl die Türkei als auch der Iran haben kurdische Minderheiten und befürchten, dass ein Kurdenstaat im Irak zu neuen Unruhen führen und militante Separatisten anspornen könnte. Eine Unterorganisation der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit 1984 gegen Ankara kämpft, ist im iranischen Kurdengebiet aktiv.
So ist plötzlich der große iranische Einfluss auf die irakische Zentralregierung in Bagdad für das Nato-Land Türkei kein Ärgernis mehr, sondern ein Segen. Ministerpräsident Binali Yildirim spricht von einem Bündnis seines Landes mit dem Iran und dem Irak, die gemeinsam das gegen sie gerichtete „Spiel“ in der Region vereiteln wollten.
Erdogan hat angedeutet, dass er das kurdische Unabhängigkeitsstreben im Irak als Teil eines Plans des Westens betrachtet, um den Nahen Osten nach dessen Interessen zu lenken. „Die neuen Lawrences werden keinen Erfolg haben“, sagte er vor einigen Tagen, eine Anspielung auf den britischen Offizier T.E. Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, der im Ersten Weltkrieg beim Aufstand der Araber gegen die Osmanen half.
Israel ist besorgt
Seine Kritik am Westen verbindet Erdogan zudem mit rhetorischen Attacken auf Irans Feind Israel, das den kurdischen Wunsch nach Unabhängigkeit unterstützt. Die Israelis betrachten die Kurden als Verbündete gegen den Iran. Die Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran sei für Israel besorgniserregend, analysierte die „Jerusalem Post“.
Tatsächlich geht es bei der neuen türkisch-iranischen Zusammenarbeit rasch voran. Im August reiste der iranische Generalstabschef Mohamed Bagheri in die Türkei – die erste Visite dieser Art seit Jahrzehnten.
Gemeinsame Militäraktionen gegen die PKK?
Der Besuch wurde in der regierungsnahen Presse der Türkei als „Meilenstein“ gefeiert. Erdogan erklärte damals, gemeinsame türkisch-iranische Militäraktionen gegen die PKK und deren iranischen Ableger PJAK seien möglich.
Wie tragfähig die neue türkisch-iranische Allianz sein wird, ist offen. Die diversen Interessensgegensätze außerhalb des irakischen Kurdengebietes treten zwar in den Hintergrund, bleiben jedoch ungelöst.
Wie der türkische Journalist Fehim Tastekin in einem Beitrag für das Online-Portal Al Monitor anmerkte, ringen Ankara und Teheran außerdem weiterhin auch im Norden Iraks um Einfluss. Das könnte schon sehr bald neue Spannungen hervorrufen.
Susanne Güsten