Ostdeutsches Trauma: Warum die Treuhand jetzt zum Thema wird
Linke und AfD wollen einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand – warum gerade jetzt? Die Antwort hat mit der Parteienkonkurrenz in den neuen Ländern zu tun.
Es ist seltsam: Ausgerechnet im Jubiläumsjahr, in dem Gedenkfeiern an den Fall der Mauer im Herbst 1989 erinnern, scheinen die Gräben zwischen Ost und West größer zu sein als je. Noch immer gibt es große Wohlstandsunterschiede, auch Unterschiede etwa im Rentenrecht.
Die politischen Parteien wetteifern in einem Jahr mit drei ostdeutschen Landtagswahlen darum, das spezifische Lebensgefühl der Ostdeutschen zu würdigen.
Eine zentrale Rolle in der Erinnerung der Ostdeutschen an die Wendezeit spielt die Treuhandanstalt. Sie sollte von 1990 bis 1994 die Umwandlung der DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft bewerkstelligen und wurde wegen ihrer Rationalisierungs- und Privatisierungspraxis mit Massenentlassungen von Gegnern als „größtes Schlachthaus Europas“ diffamiert. Linkspartei und AfD wollen die Arbeit der „Treuhand“ nun in einem neuen Untersuchungsausschuss im Bundestag aufarbeiten.
Was sind die Argumente, was die Hintergründe?
„Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden“, sagt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Verheerende politische Fehler, die in der Nachwendezeit gemacht worden seien, müssten ans Tageslicht und aufgearbeitet werden. Der Schaden, den die Treuhand angerichtet habe, sei „bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Osten und für politischen Frust vielerorts“.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland meint, die Arbeit der Treuhand wirke bis heute nach und beeinflusse die wirtschaftliche Lage im Osten. „Mögliche Fehler“ müssten deshalb klar benannt werden. AfD-Politiker aus dem Osten haben angekündigt, auch in Landtagen Untersuchungsausschüsse zu beantragen.
Es ist kein Zufall, dass zwei Parteien hier an einem Strang ziehen, die sonst viel trennt: Linkspartei und AfD ringen darum, wer in Zukunft die Regionalpartei der neuen Länder ist. Vor den Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wollen sie als Hüter ostdeutscher Befindlichkeiten und Interessen wahrgenommen werden.
Wie stehen die anderen Parteien zu einem U-Ausschuss?
Union, FDP und SPD lehnen ein solches Gremium ab. „Ich kann nicht erkennen, was ein neuer Untersuchungsausschuss leisten soll", sagt Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider. Er will die Debatte außerhalb eines Untersuchungsausschusses führen. Die bevorstehenden Jahrestage zur Wende und zur Deutschen Einheit sollten genutzt werden, um Erfolge und Niederlagen im Prozess der Einheit nebeneinanderzustellen, „um daraus für die Zukunft zu lernen“.
Die Menschen aus Ostdeutschland könnten „stolz sein auf ihre Leistung“. Die Chancen aus ihren Beiträgen für das wiedervereinigte Land seien aber „in vielerlei Hinsicht nicht ausreichend genutzt worden“. Auch der Ostbeauftragte der SPD, Martin Dulig, warnt: Er sieht die Gefahr, „dass man dort nur alte Feindbilder pflegen und sich Schuldzuweisungen um die Ohren hauen würde“.
Die Grünen sehen Aufklärungsbedarf im Hinblick auf die Treuhand. Die Probleme und Fehler bei den Verkäufen der Treuhand seien „ein Hindernis auf dem Weg hin zu gleichwertigen Lebensverhältnissen“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Ihr Urteil macht sie von den Gesprächen abhängig, die Bartsch dazu angeboten hat.
AfD und Linksfraktion alleine erreichen nicht das Quorum von einem Viertel der Abgeordneten, das zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nötig ist, sind also auf Unterstützung anderer Fraktionen oder Abgeordneter angewiesen.
Warum reicht die Arbeit der bisherigen U-Ausschüsse angeblich nicht aus?
In den neunziger Jahren befassten sich U-Ausschüsse mit der Arbeit der Treuhand und dem Volksvermögen der DDR. Die Mehrheit von Union und FDP kam damals zu dem Urteil: „Die Treuhand hat gute Arbeit geleistet.“ Die Oppositionsparteien SPD und PDS sowie die Abgeordneten von Bündnis 90 (die Grünen waren nicht im Bundestag vertreten) sahen das völlig anders.
Im Jahr 1998 schätzte der Untersuchungsausschuss zum DDR-Vermögen den Schaden, der durch Veruntreuung, Betrug und andere kriminelle Handlungen im Zusammenhang mit Privatisierungen verursacht wurde, auf drei bis zehn Milliarden D-Mark.
Die U-Ausschüsse der 90er seien unzureichend gewesen, argumentiert die Linke. Die Akten seien nicht öffentlich gewesen oder gar nicht vorgelegt worden. Zudem sei es hinderlich gewesen, dass die Privatisierungsprozesse noch liefen. Tatsächlich verbot damals Finanzminister Theo Waigel (CSU) der zweiten Chefin der Treuhand, Birgit Breuel, einen Auftritt vor dem Gremium. Sie wäre gern gekommen, um sich zu verteidigen. Die Linke würde nun gern auch Waigel laden.
Was spricht gegen einen U-Ausschuss?
Richard Schröder, der ehemalige Fraktionschef der DDR-Sozialdemokraten in der Volkskammer, hat die Geschichte der Privatisierungen eng begleitet und ist heute Vorsitzender des Beirats des Projekts „Geschichte der Treuhand“ des Instituts für Zeitgeschichte.
Kritiker hätten behauptet, die Treuhand habe die westdeutsche Wirtschaft durch Plattmachen vor ostdeutscher Konkurrenz schützen sollen, sagt er.
Zur Prüfung solcher Thesen brauche es aber keinen U-Ausschuss: Sie seien „längst widerlegt“, meint der Theologe. „Der Golf musste nicht vor dem Trabbi geschützt werden.“ Schröder verweist darauf, dass elf IfZ-Historiker seit zwei Jahren im Bundesarchiv an Treuhandakten forschen. Zwischenergebnisse würden noch 2019 veröffentlicht. „Da kommen viele interessante Details zum Vorschein, aber kaum zukunftsrelevante Einsichten, denn die Situation, vor der die Treuhand stand, wiederholt sich nicht“, meint Schröder und fügt hinzu: „Dasselbe dürfte für einen Untersuchungsausschuss gelten.“