Streit um das Erbe der Wendezeit: "Die Treuhand ist das Symbol für den Ausverkauf durch den Westen"
Linkspartei und AfD wollen einen Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt im Bundestag einrichten. Warum ist dieses Thema immer noch so heikel? Ein Interview.
Herr Böick, es ist fast 30 Jahre her, dass die Treuhand 1990 ihre Arbeit aufnahm. Warum polarisiert das Thema immer noch?
Man könnte sagen: Die Treuhand lebt. In Ostdeutschland ist das Thema Treuhand noch sehr präsent – vor allem bei Menschen über 40, die mit starken, abwertenden Gefühlen darauf reagieren. Das zeigen Umfragen, die ich mit anderen Historikern der Universität Bochum im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Studie zur Wahrnehmung und Bewertung zur Arbeit der Treuhand ausgewertet habe, die 2017 erschienen ist. Wir haben die Treuhandanstalt deshalb einen negativen Gründungsmythos der Ostdeutschen genannt, eine Art „bad bank“. Sie ist zum Symbol geworden für Vorwürfe wie Ausverkauf, Abwicklung, Übernahme oder gar Kolonialisierung des Ostens durch den Westen. Das Thema war bei älteren Ostdeutschen immer sehr präsent, es stand bloß nicht im Fokus der politischen und medialen Bearbeitung.
Hat die Treuhandanstalt sich diesen Ruf selbst erarbeitet – oder hätte sie auch anders handeln können?
Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR hat 1990 mit überwältigender Mehrheit für die schnelle Wiedervereinigung und damit für das westdeutsche Wirtschaftsmodell gestimmt – auch gegen warnende Stimmen. Die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen hat also nicht die Treuhand gestaltet, die wurden ihr vorgegeben. Sie hat dann allerdings nach der Währungsunion sehr rigoros auf eine schnelle Privatisierung der oft stark angeschlagenen Ost-Betriebe gesetzt und diese sehr konsequent, sehr betriebswirtschaftlich und sehr hierarchisch durchgesetzt. Die Überzeugung des 1991 von der RAF ermordeten Treuhand-Chefs Detlef Rohwedder und seiner Nachfolgerin Birgit Breuel war: Wir ziehen das kurz und schmerzhaft durch, ein langfristiger Wandlungsprozess wird viel teurer und ineffektiver.
Die politische Verantwortung wurde in der frühen Debatte um die Treuhand eher ausgeklammert?
Schon 1991/92 wurde die Treuhandanstalt mit Kritik überzogen, am Ende ihrer Arbeit, 1994, war sie unbeliebt wie nie. Trotzdem wurde die Regierung Kohl wiedergewählt, auch im Osten. Die Bundesregierung hielt sich nämlich im Hintergrund. Die Manager der Treuhand trafen wichtige Entscheidungen wie Betriebsschließungen, Privatisierungen oder Massenentlassungen. Der Unmut der von solchen Entscheidungen Betroffenen richtete sich gegen die Treuhand. Damals entstand der Mythos von der bösen Treuhand, der sich bis heute erhalten hat. Der Mythos hat sich verselbständigt und teilweise von dem gelöst, was damals tatsächlich passiert ist.
Aber gab es nicht auch eine zweite Phase, in der sich die Treuhand mehr um Akzeptanz bemüht hat?
Richtig. 1992/93 hat die Treuhand das Privatisierungstempo nach wachsenden Widerständen in Politik und Öffentlichkeit etwas gedrosselt und sich bemüht, einige industrielle Kerne zu erhalten, das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt zum Beispiel oder die Chemiefabrik in Leuna. Aber eben das ist – im Gegensatz zum Hungerstreik von Bischofferode im Sommer 1993 – nicht mehr Teil der Erinnerungskultur geworden. Nur der scharfe Privatisierungskurs der Anfangsphase wird noch erinnert, als ihre Manager die Arbeitsbiografien vieler Ostdeutscher scheinbar schlagartig wie bedingungslos entwerteten. Wirtschaftlich war das nachvollziehbar, aber es hat kulturell starke Verwundungen hinterlassen. Auch wegen dieser Erfahrungen der frühen neunziger Jahre stehen viele Ostdeutsche bis heute distanziert zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie.
Bestand die Transformation der Planwirtschaft und die Eingliederung ins politische System der Bundesrepublik nicht aus mehr als nur dem Wirken der Treuhand?
Allerdings. Diese Prozesse wurden durch die Politik sozialpolitisch und materiell abgefedert – durch Frühverrentungen, durch Arbeitslosen- oder Kurarbeitergeld. Es gab erhebliche Transferleistungen, Investitionen in die ostdeutsche Infrastruktur. Die ideelle Abfederung dieses Prozesses ist aber zu kurz gekommen. Kaum jemand hat in den hitzigen Debatten über die Planwirtschaft und das Erbe der SED-Diktatur darauf geachtet, die Lebensleistungen der Menschen nicht abzuwerten.
Könnte das eine neue Debatte nachholen?
Da bin ich skeptisch. Ich halte es aber für wichtig, dass in Deutschland eine neue, differenzierte Diskussion über die Treuhandanstalt und die Vorgänge Anfang der 90er Jahre geführt wird. Am besten wären Dialoge zwischen Ost und West, aber auch Diskussionen zwischen den Generationen. Wenn ich mein Buch auf Veranstaltungen vorstelle, spüre ich ein großes Bedürfnis, miteinander ins Gespräch zu kommen – im Osten und im Westen. Es gibt die Chance, neue Perspektiven auf diese Vorgänge zu entwickeln, die sich von Denkschablonen wie Besser-Wessi oder Jammer-Ossi abheben.
Ist ein Untersuchungsausschuss des Bundestages für eine so offene Diskussion wirklich der richtige Ort?
Da habe ich meine Zweifel. In allen Untersuchungsausschüssen geht es nicht nur um das Aufdecken von neuen Tatsachen und Zusammenhängen, sondern auch um wahltaktische Vorteile für die jeweiligen Parteien. Es wird nicht einfacher dadurch, dass nun auch die AfD sich für einen solchen Untersuchungsausschuss ausgesprochen hat. Dabei spielt natürlich auch Rolle, dass die AfD die Linke als Regionalpartei Ost ablösen will und deshalb Ost-West-Differenzen stark betont nach dem Motto: Der Osten als Opfer der vom Westen gesteuerten Treuhand. Das bettet sie dann ein in eine Grunderzählung, die lautet: Ihr wurdet immer von denen da oben betrogen, erst von den SED-Bonzen, dann von den West-Kapitalisten. Es dürfte ein brisanter Kampf um die Deutung zwischen Linkspartei und AfD entstehen, denn die Treuhand als Negativmythos war in den 90ern eine Art Überlebensversicherung für die PDS.
Die Transformation der Planwirtschaft in Polen und anderen postsozialistischen Ländern war für deren Bürger viel härter als für die Ostdeutschen, die Transferzahlungen aus dem Westen erhielten. Warum spielt das in der Wahrnehmung keine Rolle?
Die ostdeutsche Referenzgesellschaft war Westdeutschland. Die Erwartungen und Hoffnungen waren auf den Westen gerichtet, auch auf den westlichen Wohlstand und seine Konsumwelt. In den Wahlkämpfen dieser Zeit wurde dieses Bild ja auch gezielt angesprochen, denken Sie an Helmut Kohls Versprechen der „blühenden Landschaften“. Die Ostdeutschen haben sich bei der Wahl im März 1990 in Hoffnung darauf mit überwältigender Mehrheit für die schnelle Wiedervereinigung entschieden und sind dann im Frühjahr 1991 gleichsam verkatert in der Welt der Treuhand wieder aufgewacht. Man blickte eben nicht nach Polen, nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei, wo sich viel härtere Transformationsprozesse abspielten. Auch die Enttäuschung dieser großen Hoffnungen ist Teil der Geschichte.