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Politik als Geschlechterfrage: Warum der Rückfall ins Autoritäre männlich ist

Für Männer bedeutet der neoliberale Wandel einen Abstieg auf Positionen, die Frauen gewohnt sind. Was sie umso verbitterter dagegen ankämpfen lässt. Ein Essay.

- Susanne Kaiser ist Journalistin und Buchautorin. Der Text basiert auf ihrem neuen Buch „Politische Männlichkeit – Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“ (Suhrkamp Verlag, ab 16.November im Handel).

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie ging eine Fotomontage um die Welt. Sie zeigte die Gesichter der sieben Staats- und Regierungsoberhäupter, die ihre Länder am besten durch die Krise manövrierten und am souveränsten Führung demonstrierten. Die Länder hießen Taiwan, Neuseeland, Island, Finnland, Norwegen, Dänemark, Deutschland – und die Gesichter waren allesamt weiblich.

In der medialen Öffentlichkeit wurde diese neue weibliche Führungsstärke sehr positiv aufgenommen – und damit ganz anders als der Regierungsstil „starker Männer“ wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Wladimir Putin. Die autoritären Staatschefs reagierten mit trotzigem Leugnen auf die Pandemie, schoben die Schuld und die Verantwortung anderen in die Schuhe, instrumentalisierten Justiz und Sicherheitsbehörden, prangerten kritische Berichterstattung an und schränkten die Pressefreiheit ein.

Im globalen Corona-Diskurs geriet die männliche Herrschaft mehr und mehr in die Kritik. Sogar die Unternehmensberatung McKinsey konstatierte, der alte Führungsstil befinde sich in der Krise. Um globale Herausforderungen wie eine Pandemie zu bewältigen, seien Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Bedacht und Empathie gefragt.

Dass die tonangebenden Medien weibliche Führungspersonen priesen, blieb nicht ohne Folgen. In der Halböffentlichkeit der sozialen Medien, der Kommentarspalten und der Internetforen brach sich Frust Bahn, wie jedes Mal, wenn Frauen sich in Bereichen bewähren, die von vielen immer noch als Männerdomänen angesehen werden.

Beschäftigt man sich systematisch mit den Kommentarspalten zu Beiträgen von Frauen, wird deutlich, dass auf Begriffe wie „Feminismus“ oder „Patriarchat“ in der Überschrift, im Vorspann oder in den einleitenden Sätzen immer dasselbe folgt: Die Kommentarspalte wird mit polemischen bis hetzerischen Aussagen überschwemmt. Seitenweise werden sie von den Moderatorinnen gelöscht, und die Kommentare, die stehen bleiben, beziehen sich vor allem auf das Diskussionsgeschehen, indem sie beispielsweise die vielen Hasskommentare kommentieren. So würgen die Troll-Aktionen Diskussionen über weibliche Macht oder Errungenschaften, über Kritik an patriarchalen Strukturen ab – und erfüllen ihren Zweck.

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Die Misogynie ist sowohl Mittel politisierter Männlichkeit als auch ein Merkmal autoritärer Einstellungen. Und das ist kein Zufall. Denn der antifeministische Gegendiskurs entsteht aus der Spannung zwischen den realen sozialen Verhältnissen und Strukturen, die immer noch patriarchal geprägt sind, und einem öffentlichen progressiven Diskurs, dem Medienecho – schließlich gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Gleichberechtigung ein erstrebenswertes Ziel darstellt.

Diese Spannung ist ein wesentlicher Grund für die seit einigen Jahren anhaltende Schwemme herabwürdigender und oft geradezu hasserfüllter Rhetorik gegenüber Frauen. Die Polemiken in den sozialen Medien oder den Kommentarspalten sind nur ein kleiner Teil davon. Stimmungsmache gegen Frauen und Frauenrechte ist in vielen gesellschaftlichen und politischen Bereichen zu beobachten, und zwar weltweit. Herabwürdigende Rhetorik findet sich in den Äußerungen katholischer Geistlicher, radikaler Abtreibungsgegner, autoritärer Politiker.

Sie glauben, einen Anspruch auf ihre Privilegien zu haben

Sie kann als Reaktion auf die tiefen Erschütterungen männlichen Selbstverständnisses in den vergangenen Jahrzehnten und als erbitterte Verteidigung maskuliner Privilegien und männlicher Herrschaft verstanden werden, die de facto noch existieren, aber zunehmend infrage gestellt werden. Vor dem Hintergrund dieser Spannung hat sich die problematisch gewordene hegemoniale Männlichkeit politisiert. Forderungen nach einer Restauration „echter Männlichkeit“ und des Patriarchats fallen auf fruchtbaren Boden. Das wiederkehrende Motiv dabei ist der Gedanke, dass in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern eine natürliche Ordnung, eine Hierarchie, herrsche und die moderne Vorstellung von Gleichheit und Gender mit dieser natürlichen Ordnung breche.

Der US-amerikanische Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel hat in diesem Zusammenhang den Begriff des „gekränkten Anspruchs“ ins Spiel gebracht. Männer mit einem misogynen Weltbild, so Kimmel, glauben, sie hätten Anspruch auf eine Frau und auf eine männliche, das heißt herrschende Rolle in der Familie und der Gesellschaft. Diesen Anspruch leiten sie aus „der Tradition“ ab. Wird er nicht erfüllt, fühlen sie sich gedemütigt.

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Frauenfeindliche Agitation zieht sich wie ein roter Faden durch die verbalen Rüpeleien und Programme populistischer und autoritärer Parteien und Politiker. Kaum etwas eint die autoritären Bestrebungen jüngeren Datums so sehr wie der Kampf gegen den „Genderwahn“, gegen die als Herabsetzung empfundene Relativierung männlicher Macht. Politiker wie Trump, Bolsonaro oder auch Björn Höcke haben aus diesem gekränkten Anspruch ein politisches Programm der männlichen Souveränität geformt. Sie machen sich den Frust, die Enttäuschung und die Wut jener zunutze, die überzeugt sind, im Stich gelassen worden zu sein, und locken mit dem Versprechen, die ihnen zustehenden Privilegien wiederherzustellen.

Dass auf diese Weise auch in Europa Wahlen gewonnen werden, zeigt das Beispiel Polen. In Umfragen vor der Präsidentschaftswahl im Sommer 2020 stand es schlecht um die Wiederwahl von Andrzej Duda. Mit seiner nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hatte er fünf Jahre lang beinahe widerstandslos durchregiert und den demokratischen Rechtsstaat immer weiter ausgehöhlt. Zum ersten Mal wurde dieses Vorgehen jetzt ernsthaft infrage gestellt. Dudas Herausforderer konnte in fast jeder Hinsicht als dessen Gegenteil gelten: Rafal Trzaskowski, Warschaus Bürgermeister, steht für eine weltoffene, liberale und europafreundliche Politik.

Mit Anti-LGBTQ-Parolen hat er die Wahl gewonnen

Weil Prognosen und Umfragen einen knappen Wahlausgang vorhergesagt hatten, bediente sich Duda im letzten Moment eines Mittels, das schon vorher in Polen und in anderen Teilen der Welt bei Wahlen geholfen hatte: Er mobilisierte gegen die LGBTQ-Bewegung. Zwei Wochen vor der Abstimmung bezeichnete Duda diese bei einem Wahlkampfauftritt als „Ideologie“, die „destruktiver ist als der Kommunismus“ und „Kinder sexualisiert“. Am Ende ging sein Kalkül, wenn auch knapp, auf. Er wurde wiedergewählt, und hat damit gezeigt, dass man mit der Politisierung von Männlichkeit Stimmen gewinnen kann.

Die erste Amtshandlung, mit der die Regierung nach der Wahl international von sich reden machte, war die Ankündigung, aus der Istanbul- Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auszutreten. Die Begründung lautete, der völkerrechtliche Vertrag sei „reine Gender-Ideologie“, die polnischen Frauen und Familien letztlich schaden würde. Mitte Oktober ebnete dann das Verfassungsgericht den Weg für ein verschärftes Abtreibungsrecht, das einen Schwangerschaftsabbruch nur noch erlaubt, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist oder sie infolge einer Vergewaltigung oder Inzest schwanger wurde.

Beide Vorhaben sollen das Patriarchat und männliche Privilegien verteidigen.

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Woher kommt diese Lust der Bevölkerung an solch rückwärtsgewandter, restaurativer Politik? Politikwissenschaftlerinnen und Soziologinnen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Erklärungsansätze für den „autoritären Backlash“ vorgelegt, für die Umwälzungen, den Aufruhr, die Erschütterungen in den demokratischen Systemen auf der ganzen Welt. Prominent ist vor allem eine ökonomische Erklärung: Arbeitsformen verändern sich radikal, die Bedeutung von Gewerkschaften nimmt ab, Beschäftigungsverhältnisse werden zunehmend prekär. Diese entsicherten Lebensverhältnisse unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft würden als Kontrollverlust wahrgenommen und daraus erwachse eine neue Lust an autoritärer Politik.

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer nennt die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts „entsicherte Jahrzehnte“, weil sich „unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem einmal mehr als strukturell krisenanfällig erwiesen hat“. Die wiedererwachte Sehnsucht nach Autorität und Ordnung führt Heitmeyer auf die starke Verunsicherung als Folge der Krisen zurück, die der „autoritäre Kapitalismus“ verursacht habe.

Der radikale ökonomische Wandel betrifft in erster Linie Männer

Andere sehen die Ursache für die neue globale Wende zum Autoritarismus darin, dass immer breitere Teile der Gesellschaft als Folge der Globalisierung von einer fatalen Mischung aus Neid, Erniedrigung und Machtlosigkeit vergiftet würden und darauf mit Zorn reagierten, den Demagogen wie Trump oder Bolsonaro politisch zu nutzen und für die eigene Popularität immer neu aufzupeitschen verstünden.

Diese Deutungsangebote übersehen indes die Geschlechterdimension der Ursachen, die sie benennen. Diese besteht zum einen darin, dass der radikale ökonomische Wandel in erster Linie Männer betrifft. Die „Normalbeschäftigungsverhältnisse“, wie es sie bis Mitte der 1990er Jahre gab, galten überwiegend für Männer. Sie waren die Leidtragenden der Umstrukturierungen hin zu einer Dienstleistungswirtschaft, die eine Prekarisierung der gewohnten Lebensverhältnisse zur Folge hatten. Darüber hinaus zielt die neue autoritäre Politik darauf ab, die Kontrolle über die unsicher gewordenen Lebensverhältnisse zurückzugewinnen („Take back control“, „Make America great again").

Es geht um eine Gewohnheit, die ins Wanken geriet

Propagiert werden damit auch bestimmte Vorstellungen von den Geschlechterverhältnissen. Es geht nicht nur um Landesgrenzen, sondern auch um Grenzen in der Hierarchie der Geschlechter. Der autoritäre Backlash zielt deshalb ganz wesentlich darauf ab, die traditionellen Geschlechterrollen zu restaurieren und dem Feminismus sowie dem Konzept von Gender den Kampf anzusagen. Dazu passt, dass in der Statistik des Soziologen Heitmeyer rechtspopulistisch eingestellte Menschen vier Mal häufiger sexistisch sind als nicht rechtspopulistisch eingestellte.

Das Gefühl, in der modernen Welt keine Kontrolle mehr zu haben, ist selbst ein gegendertes Gefühl. Natürlich sind auch Frauen von unsicheren Arbeitsverhältnissen betroffen, aber für sie ist das Gefühl nicht neu. Es geht eben nicht darum, dass Männer ihre Jobs verlieren, sondern darum, dass Männer gewohnt sind, sichere Jobs zu haben, und glauben, sie hätten einen Anspruch darauf. Für diese Männer bedeutet der neoliberale Wandel einen Abstieg auf die Positionen, die Frauen gewohnt sind. Das wollen sie verhindern. Und das ist einer der wichtigen Beweggründe für den autoritären Backlash der Männer.

Susanne Kaiser

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