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Minderjährige Schüler wählen bei einer U 18-Wahl zum Deutschen Bundestag.
© Thilo Rückeis

Generation Turbo: Warum das Wahlalter ab 16 keine gute Idee ist

Junge Menschen wieder in den Fokus zu rücken, ist richtig. Doch statt das Wahlalter zu senken, sollte man ihnen mehr Zeit geben - für Bildung. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Aus dem Schwärmen kommt Robert Habeck kaum heraus, wenn er jetzt von der jungen Generation spricht. In der Coronakrise verhielte sie sich vorbildlich solidarisch, obwohl die Gesellschaft sie „als letzte gefragt“ habe. Junge Leute zeigten Reife, ihre Mündigkeit müsse belohnt werden. Sie hätten „mehr als bewiesen, dass sie über ihre Zukunft mitentscheiden“ können.

Daher der grüne Vorschlag: Bundesweit solle ab dem Alter von 16 gelten, was auf kommunaler Ebene bereits in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein gilt: Das Wahlrecht. Zuletzt wurde das Alter für das aktive Wahlrecht 1972 von 21 auf 18 Jahre gesenkt, seit 1975 dürfen wir ab 18 nicht nur wählen, sondern auch gewählt werden.

Ja, es stimmt, was Habeck den „eklatanten Widerspruch der erwachsenen Welt“ nennt. Vor wenigen Monaten noch wurden Jugendliche gerüffelt, gescholten und beargwöhnt als Schulschwänzer oder Arbeitsscheue, wenn sie an Freitagen für Klimaschutz auf die Straßen zogen.

Dann kam Corona, und die meisten wurden ausgesperrt aus Berufsausbildung und Schule. Die spinnen, die Erwachsenen! Könnten sie behaupten. Nicht nur riskieren Erwachsene chronisch den Klimakollaps, auch auf Pandemie-Warnungen hatten sie nicht gehört und hatten keine Katastrophenpläne in petto.

Dann, beim Krisenmanagement, dachten sie kaum an junge Leute, sondern vor allem an die im öffentlichen Diskurs neuformierten „Risikogruppen und „Systemrelevanten“. Auch in den Talkrunden sind junge Leute rar, die etwa beim Klimathema gern eingeladen wurden.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Tatsächlich kommt eine aktuelle Studie der Europäischen Union zu dem Ergebnis, dass sich junge EU-Bürger zwischen 18 und 34 während der Coronakrise häufiger depressiv, einsam und verängstigt fühlen als ältere Kohorten. 53 Prozent, so die Studie „Living, working and COVID-19” seien akut depressionsgefährdet. Sorgen um Schule, Studium, Praktika und Jobs sind groß, da die ökonomische Basis der Kohorten klein ist, denen Autonomie und Ressourcen fehlen.

Attraktive Angebote aus der Politik

Es ist also völlig legitim, junge Leute in den Blick zu nehmen, und ihnen, wie die derzeit übliche Werbesprache will, „Angebote“ zu machen. Wählen schon mit 16? Das wirkt attraktiv.

Und die Praxis der Demokratie kann gar nicht früh, nicht intensiv genug geübt werden. Jede Schule müsste ein Parlament haben, alle Heranwachsenden sollten vertraut sein mit politischen Prozessen und Argumenten, mit dem Beurteilen von Quellen und Fakten.

Doch so wenig der Digitalpakt im Bildungssystem Anker geworfen hat, so wenig hat das leider auch, vielerorts, die demokratische Bildung. Ist Stillhalten während des Lockdowns ein Zeichen von Reife?

Sind engagierte Gymnasiasten an den Fridays for Future wirklich typisch für das Gros der Jüngeren? Ganz ausgemacht scheint das nicht.      

Lebenstempo Breitbandgeschwindigkeit

In westlichen Industrienationen wachsen heute junge Leute auf, die länger leben werden als wohl sämtliche Generationen vor ihnen. Ein Großteil kann an die hundert Jahre alt werden. Zugleich ist die Welt komplexer als jemals zuvor, und Heranwachsende brauchen mehr Zeit für Wissenserwerb denn je, um sie zu meistern.

Das große Glück ist: Sie hätten diese Zeit! Paradoxerweise werden aber ausgerechnet diese Heranwachsenden nachgerade gehetzt. Auf ihre lange Lebensspanne sollen sie sich wie im Zeitraffer vorbereiten, passend zur digitalen Breitbandgeschwindigkeit.  

Schneller und hektischer werden sie durch die Institutionen gejagt als ihre Eltern und deren Eltern, abgesehen vom Notabitur beim Kriegseintritt. Obwohl aber weder Krieg noch Not herrschen, soll der Abiturstoff inzwischen meist mit einem Schuljahr weniger bewältigt werden, kündigt erst das „Turbo-Abi“ und danach eine durchmodularisierte Hochschule ein Turboleben an, Turbokarrieren. Wahlalter 16 - das wäre ein weiteres Stück Turbo.

Menschen sind keine Breitbandkabel, sondern soziale und emotionale Wesen, die langsam reifen und ununterbrochen lernen.

Mehr Vorbereitung für die Herausforderung names Zukunft

Und weil das Leben der meisten heute Jüngeren so wunderbar lang sein wird, wäre genügend Zeit da, zum Vertiefen von Wissen – etwa über Digitalität, Biochemie, Ökonomie, über Geschichte, Medien, Sozialpsychologie, Ästhetik. All das wird gebraucht, damit demokratisch und kritisch denkende Europäer die Herausforderung bestehen, die den Namen Zukunft hat.

Sie müssen mit Verantwortung Risiken und Chancen abschätzen können, sie sollten informiert, souverän und kreativ Entscheidungen treffen. Gebt ihnen fantastische Schulen, motivierte Lehrer, bestes Material. Und gebt ihnen Zeit.

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