Zukunftsszenarien nach Corona: Gesundheit wird nicht mehr nur eine individuelle Angelegenheit sein
Was kommt nach der Corona-Krise? Hält die Solidarität an oder schottet sich die Welt zunehmend ab? Unser Gastautor schaut auf die Zeit nach der Pandemie.
Daniel Dettling ist Politikwissenschaftler und leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts
Covid-19 ändert unsere Zukunft radikal. Die Welt, die wir bisher kannten, löst sich vor unseren Augen auf. Nach der Krise wird sie eine andere sein. Die Pandemie verändert die Art, wie wir arbeiten, lernen und leben. In der Debatte, was auf die Zeit nach Corona folgt, stehen sich aktuell zwei Szenarien fundamental gegenüber: „Die totale Isolation“ – eine Welt „Alle gegen Alle“ – sowie das Szenario einer neuen „Wir-Welt“, die gleichzeitig autonomer und vernetzter sein wird.
Schlimmstenfalls steht uns dauerhafte Abschottung vor
Das Negativ-Szenario bedeutet das Ende der Globalisierung. Jedes Land kämpft ums eigene Überleben. Europa scheitert endgültig. Weltweit wächst der Neo-Nationalismus. Die Abschottung nationaler Märkte, die Schließung von Grenzen und das Verhängen von Ausgangssperren werden vor allem aus Gesundheitsgründen betrieben.
Die Nachfrage nach Keim- und Virenfreiheit führt zu einem Verbot von Produkten, deren Herkunft sich nicht eindeutig nachvollziehen lässt. Lebensmittel werden vor dem Verkehr desinfiziert.
Das soziale, kulturelle und öffentliche Leben bricht ein und wird in den virtuellen Raum verlagert. Gesundheitsdaten werden zur Staatsangelegenheit.
Am Ende der Globalisierung steht eine neue Landflucht
Der Datenschutz wird abgeschafft. Kontakte und Bewegungen der Bürger werden rund um die Uhr überwacht, Verstöße werden mit weiterem Freiheitsentzug geahndet. Infizierten Personen werden vom Rest der Gesellschaft isoliert.
Die Welt treibt ökonomisch und sozial in eine Abwärtsspirale. Da Lebenserwartung und Wohlstand zusammenhängen, führt die anhaltende Wirtschaftskrise zu einem Massensterben in den ärmeren Ländern. Selbst in entwickelten Industrieländern konnten viele Patienten wegen schlecht ausgestatteter Gesundheitssysteme und unzureichendem Versicherungsschutz nicht mehr ausreichend behandelt werden.
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Das Ende der Globalisierung führt zu einer neuen Landflucht. Die Städte werden zu den nervösesten Plätzen der Welt. Der Trend zum Single-Leben und zu immer kleineren Wohnungen hat die Stadtbevölkerung unselbständig gemacht. Wer kann, zieht raus aufs Land und versorgt sich selbst. National wird eine rigorose staatliche Planwirtschaft eingeführt, auf lokaler Ebene erfahren Selbstversorgermodelle und Tauschmodelle eine neue Renaissance.
Der Bestfall führt zur Stärkung der Systeme und mehr Kooperation
Im Positiv-Szenario führt die Corona-Krise zu einer Stärkung der Systeme hin zu mehr Resilienz und Robustheit. Die Pandemie hat gezeigt: Nicht die Abschottung durch das Schließen von Grenzen bremst die Ausbreitung des Virus, sondern konsequente lokale Maßnahmen. Nationalismus und die Abkehr von Globalisierung und internationaler Kooperation haben sich als falsche Rezepte gegen Gesundheits- wie gegen Wirtschaftskrisen erwiesen.
Protektionistische Maßnahmen führten dazu, dass wichtige Medikamente und Schutzkleidung überall auf der Welt knapp und Wissenschaftler und Medizin-Unternehmen abgeworben wurden. Das Corona-Virus führt zu einer neuen Kooperation, einem neuen Gleichgewicht der Staaten und ihrer Bundesländer und Kommunen.
Kommt die Soziale Marktwirtschaft zurück?
Eine neue Synthese zwischen Staat und Markt, nationaler und lokaler Ebene entsteht. Die Soziale Marktwirtschaft erlebt ein Revival und erweitert sich zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Globalisierung wird zur Glokalisierung. Dieser aus den Worten „lokal“ und „Globalisierung“ zusammengesetzte Begriff meint die Verbindung von die Globalisierung von Arbeit, Wirtschaft und Lebensstil bei zunehmender Rückbesinnung auf regionale und lokale Traditionen, Werte und Eigenarten. Märkte und Wertschöpfungsketten werden autonomer und regionaler, gleichzeitig kooperieren die Staaten untereinander stärker in Fragen der Gesundheit und des Klimaschutzes. Saubere Luft und weniger Treibhausemissionen reduzieren Viren und Epidemien.
Tele-Medizin und digitale Schulen setzen sich durch
Die Corona-Krise beschleunigt die digitale Transformation. Ein digitaler Ruck geht durch die gesamte Gesellschaft. Versammlungen und Sitzungen im Internet, Home-Office, Tele-Medizin und neue Formen der Mobilität sind plötzlich möglich. Sprechstunden von Ärzten per Whatsapp und Video, E-Autos und digitale Schulen setzen sich durch.
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Die digitale Vernetzung hält auch die Verbindung der Bürgerinnen und Bürger weltweit aufrecht. Auf lokalen Plattformen organisieren sich Nutzer und Nachbarn für Einkaufsdienste. Menschen kommen sich näher, die sich noch nie gesehen haben. Dietmar Hopp, den viele Tausende vor der Krise noch als „Hurensohn“ in den Fußballstadien schmähten, wird zum nationalen Helden, weil eine seiner Firmen einen Impfstoff gegen das Virus entwickelt hat.
Nach Corona-Krise erlangt Weltgesundheit größeren Stellenwert
Die Corona-Krise führt zu einem neuen ganzheitlichen Gesundheitsverständnis. Gesundheit ist nicht nur eine individuelle, sondern auch eine öffentliche, gemeinsame Angelegenheit. Individuelle Gesundheit und Weltgesundheit werden als zwei Seiten einer Medaille betrachtet. Die Zahl der Corona-Opfer war auch deshalb so hoch, weil die Gesellschaften und Nationen nur analog miteinander kommunizieren und nur langsam reagieren konnten.
Mit Hilfe von Big Data und Künstlicher Intelligenz werden globale Frühwarnsysteme und neue Impfstoffe entwickelt. Ärzte, Virologen und Pharmaunternehmen arbeiten weltweit zusammen und teilen ihr Wissen.
Ein Zurück in die Zeit vor Corona wird es nicht geben. Das Virus kann unsere Zukunftsintelligenz und technologische und soziale Innovationen zum Durchbruch verhelfen. Innovationen, welche unser Leben insgesamt robuster machen. Auch nach Corona wird es weitere Seuchen und Epidemien geben, die wir als Nebenfolgen der real existierenden Globalisierung nicht hinnehmen müssen, sondern schneller erkennen und bekämpfen können.
Wir erleben nicht das Ende der Globalisierung, sondern etwas Neues. Auf die nervöse Hyperglobalisierung folgt die nachhaltige Glokalisierung. Ihre Wirtschaft und Gesellschaft werden resilienter und robuster sein als die heutige. Nicht „Alle gegen Alle“, sondern das neue „Wir“ hat gewonnen.
Daniel Dettling
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