zum Hauptinhalt
Kampf um die öffentliche Meinung. Wer für Trumps Impeachment ist, soll hupen, hier im Swing States Michigan.
© Scott Olson/Getty Images/AFP

Aufbruch ins Ungewisse: Warum das Trump-Impeachment für die USA ein Wendepunkt ist

Das Amtsenthebungsverfahren wird scheitern. Dennoch kann die Anklage Präsident Trump das Amt kosten – und könnte noch weitere Folgen haben. Eine Analyse.

Das Verfahren steckt voller Widersprüche und Unwägbarkeiten. Das gibt ihm seine besondere Bedeutung. Der Ablauf und der Ausgang des Impeachments scheinen zwar vorhersehbar. Seine praktischen Folgen sind aber ungewiss. 

Die USA sind gespalten, wenige Stimmen entscheiden die Wahl

Das US-Repräsentantenhaus hat Präsident Trump mit klarer Mehrheit angeklagt, mit 230 zu 197 Stimmen wegen Amtsmissbrauch und 229 zu 198 wegen Behinderung des Kongresses. Das verdankt sich der Dominanz der Demokraten in der ersten Kongresskammer. Die Republikaner haben jedoch die Mehrheit im Senat, der anderen Kammer. Dort findet der eigentliche Prozess statt. Sie werden seine Amtsenthebung verhindern. 

Gleichwohl kann die Anklage Trump 2020 sein Amt kosten. Das Verfahren gegen ihn wird den Beginn des Wahljahrs dominieren. Sie hat das Potenzial, mehr Wähler der Demokraten zur Stimmabgabe zu bewegen als ohne Impeachment. So parteipolitisch gespalten wie das Land mit seinen rund 320 Millionen Einwohnern ist, können ein paar zehntausend Stimmen mehr für die Demokraten in drei "Swing States" (Michigan, Pennsylvania, Wisconsin) entscheiden, ob Trump die Wahl im November gewinnt oder verliert.

Ob es so kommt, wer kann das heute wissen? Möglich ist auch, dass Trump seine Anhänger mit der Behauptung, er sei Opfer einer Hexenjagd, noch mehr mobilisiert als die Demokraten ihre Unterstützer mit der Anklage.

Impeachment: Wird die Ausnahme zum Alltag?

In vielerlei Hinsicht ist das Trump-Impeachment ein Wendepunkt für die USA. Ein Aufbruch ins Ungewisse. Auch in historischer Dimension. Es ist ja überhaupt erst die dritte Anklage eines US-Präsidenten in 232 Jahren US-Verfassungsgeschichte. Noch nie hat ein Präsident sein Amt auf diesem Weg verloren. Beide Befunde - Seltenheit und Erfolglosigkeit - sprächen eigentlich dafür, dass Impeachment die große Ausnahme im parteipolitischen Kampf bleibt.

Doch in den USA mehren sich die Stimmen, die befürchten, dass aus der Ausnahme Alltag wird. Auch andere lange geheiligte Traditionen in der Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten sind der zunehmenden Verhärtung, Intoleranz und Rücksichtslosigkeit der letzten Jahre geopfert worden. Zum Beispiel der Respekt vor den Parlamentsrechten der Minderheitspartei, sichtbar in der faktischen Abschaffung des "Filibuster" 2017: des ewigen Redens im Parlament, mit dem die Minderheit die Abstimmung über ein unliebsames Gesetzesprojekt mit 41 von 100 Stimmen verhindern konnte.

Die Voten über Trump folgen blinder Parteiloyalität

Solche - im Extremfall systemsprengenden - Tendenzen zur blinden Parteiloyalität sind auch im Trump-Impeachment sichtbar geworden. Eigentlich soll jeder Abgeordnete und Senator nach seinem Gewissen entscheiden, ob der Präsident Rechtsbrüche begangen hat, die seine Amtsenthebung rechtfertigen. Doch das Abstimmungsverhalten im Kongress folgt fast ausnahmslos den Parteigräben: Demokraten für die Anklage, Republikaner dagegen.

Trump ist nun mal der Präsident und die Demokraten sollten dem Wähler andere Angebote machen. Da scheint es aber Pelosi eher an Phantasie zu fehlen. Die Attacke der Demokraten offenbart eher deren Verzweiflung.

schreibt NutzerIn riegel

Zwei Demokraten votierten im Anklagepunkt Machtmissbrauch zwar mit den Republikanern und drei im Anklagepunkt Behinderung des Kongresses. Sie stammen aus Wahlbezirken, die Trump 2016 gewonnen hatte, die sie 2018 erobert haben und die sie 2020 verteidigen müssen. Aber gemessen daran, dass mehr als 30 demokratische Abgeordnete vor diesem Dilemma standen, ist die Abweichung von der Parteilinie gering.

[Was waren die wichtigsten News des Tages? Was soll ich in der Flut an Texten heute Abend auf der Couch lesen? Was kann man abends in Berlin unternehmen? Und gibt es eine gute Zahl, mit der ich beim Kneipentalk glänzen kann? All diese Fragen beantwortet unser neuer Tagesspiegel-Newsletter. Neugierig? Dann können Sie sich hier kostenfrei anmelden.]

In der mehrstündigen Debatte äußerten sich fast alle Demokraten so, als sei Trump des Landesverrats überführt und "eine Gefahr für die Nation" - und fast alle Republikaner so, als sei der Präsident eine zu Unrecht verfolgte Unschuld und das Verfahren "ein Putsch" gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten.

Warum ist das so? Reiner Opportunismus? Parteitreue aus Prinzip, ohne Ansehen von Person und Sachlage?

Ja, so kann man es sehen. Wahr ist aber auch: Der Fall Trump liegt nicht so eindeutig wie Richard Nixons "Watergate"-Skandal. Der Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten auf US-Boden war für jeden Bürger ein klares Verbrechen. Das Delikt war leicht zu verstehen. Deshalb trat Nixon zurück, ehe er impeacht wurde.

Bei Nixon war das Vergehen greifbarer: Ein Einbruch in den USA

Bei Trump ist oberflächlich erst mal nur viel Nebel zu sehen: Er soll seine Macht missbraucht haben, um den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu drängen, eine Untersuchung wegen angeblicher Korruption gegen die Familie des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden einzuleiten. Er soll Militärhilfe für die Ukraine und eine Einladung Selenskyjs ins Weiße Haus davon abhängig gemacht haben. Das sind bei genauem Hinsehen impeachbare Vergehen - Einforderung von ausländischer Hilfe zum Vorteil des eigenen Wahlkampfs und Behinderung der Aufklärung. Aber es sind für US-Bürger, die sich nicht täglich mit Wahlkampfrecht befassen, nicht so greifbare Verbrechen wie ein Einbruch in die Zentrale des politischen Gegners in den USA.

Dennoch: Die Demokraten hatten keine andere Wahl als Impeachment. Hätten sie auf diesen Rechtsbruch nicht juristisch reagiert, welche Dehnung des Rechts würde Trump als nächstes versuchen?

Die Anklage wird wohl nicht zur Amtsenthebung führen. Die öffentliche Debatte über die Vorwürfe hat die öffentliche Meinung aber beeinflusst - wenn auch nicht in so großem Ausmaß wie die Demokraten hoffen. Generell unterstützen im Dezember 2019 deutlich mehr US-Bürger eine Anklage Trumps (rund 47 Prozent) als im Jahr 2018 (36 Prozent). Zugleich sagen 80 Prozent, ein Präsident dürfe nur bei klarem Rechtsbruch impeached werden, nicht aber wegen unethischen Handelns. Sich Vorteile im Wahlkampf mit unlauteren Methoden verschaffen - tun das nicht die meisten Politiker? Über 60 Prozent sagen, der Kongress habe Wichtigeres zu tun als das Impeachment. Zum Beispiel das Gesundheitswesen zu verbessern.

Warum Trumps Impeachment Neuland ist

Das eigentliche Urteil über Trump werden die Wähler sprechen, am 3. November 2020. Darin zeigt sich erneut: Die USA betreten Neuland. Das drohende Amtsenthebungsverfahren gegen Richard Nixon, dem er durch Rücktritt zuvorkam, wie auch das Impeachment Bill Clintons war ein Instrument gegen einen gerade wiedergewählten Präsidenten, der sich angeblich rechtswidrig verhält und nicht erneut dem Votum der Bürger stellen muss. In Trumps Fall wird die Wahl zum wagemutigen Experiment: Bewerten die US-Bürger sein Vorgehen, das nach den Buchstaben des Wahlrechts Rechtsbruch war, als so schwerwiegend, dass sie ihn nach einer Amtszeit des Amts entheben?

Zur Startseite