Parteitag der US-Demokraten: Wahlkampf in Zeiten von Corona – wie begeistert man seine Wähler?
Mit Kamala Harris hat Joe Biden sich einen Vorteil im US-Wahljahr verschafft. Aber gewonnen hat er noch nicht. Worauf es jetzt ankommt. Ein Kommentar.
Gelingt Joe Biden und Kamala Harris in der US-Politik, was Bayern München gerade im europäischen Fußball geschafft hat: ein alterndes Team, das die vergangenen Jahre dominiert hat – hier Barcelona, dort Präsident Donald Trump und sein Vize Mike Pence –, mit einem Quantum mehr an Energie, Frische und moderner Anmutung zu besiegen? Unter ungewohnten Bedingungen, ohne die Unterstützung durch begeisterte, laut jubelnde Fans im Stadion?
Ob Sport, Kunst, öffentliche Rede oder politische Massenveranstaltung: Sie leben zum Gutteil von den Energieströmen zwischen der Bühne und dem Publikum. Im Idealfall fließt die Energie in beiden Richtungen. Die Akteure und ihr Publikum laden sich gegenseitig auf. Das bewirkt eine Leistungssteigerung.
An diesem Montag beginnt der Parteitag der US-Demokraten, in der Woche darauf folgt der der Republikaner.
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In Zeiten vor Corona waren das jeweils vier Tage, deren Inszenierung darauf abzielte, die Energieflüsse zu optimieren und Millionen Wählerinnen und Wähler mitzureißen, die das Spektakel nur in den Nachrichten mitbekamen. Mehr als 20.000 Sitze haben die Mehrzweckarenen, in denen die Conventions 2016 stattfanden.
Die jeweilige Partei verbreitete ihre Siegesgewissheit. Und wenn am Donnerstagabend der Kandidat die Nominierung in einer fulminanten Rede annahm, Luftballons in den Nationalfarben blau, rot, weiß und Konfetti aus der Decke regneten und Feuerwerk über die Monitore glitzert, waren die wichtigsten Frage: Wie ansteckend ist die Begeisterung? Wie groß wird der „Bounce“ in den Umfragen, der Trump 2016 die Führung bescherte? Und wird der Gegner diese Verbesserung mit seinem Parteitag egalisieren?
Wie steckt man die Wähler rein virtuell mit Begeisterung an?
Die Pandemie hat die üblichen Abläufe durchkreuzt. Die Parteitage werden fast ausschließlich virtuell abgehalten. Ohne Massenpublikum, das in echtem oder gespieltem Enthusiasmus von den Sitzen aufspringt und ohrenbetäubend klatscht. So wird das US-Wahljahr auch zu einem Experiment für das demokratische System. Wie verändern sich grundlegende Mechanismen wie Partizipation und Dialog, Rückversicherung an der Basis und Meinungsbildung der breiteren Öffentlichkeit durch Corona?
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Die Pandemie und ihre Folgen sind die überragenden Themen 2020. Bisher mit Schaden für Trump. Aus Sicht der Mehrheit hat er Corona schlecht gemanagt. Vielleicht haben die Demokraten mit ihrer Kritik am Gesundheitswesen recht. Zudem kratzt die Rezession an Trumps Image, der bessere Präsident für die Wirtschaft zu sein.
Doch Corona ist nicht alles. Ein Gutteil der gewohnten Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert wie früher. Mit der Nominierung von Kamala Harris als Vize hat Biden sie genutzt. Erst lenkte die Neugier, für wen er sich entscheidet, den Fokus von Trump zu den Demokraten. Nun zeigen erste Umfragen: Harris, Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien, macht es für viele Wählerinnen und Wähler attraktiver, für Biden zu stimmen.
Entscheidend ist: Wer mobilisiert seine Fans besser, zur Wahl zu gehen
Das gilt zwar nicht für die Weißen insgesamt, die weiterhin rund Zweidrittel der Gesellschaft stellen. Unter ihnen halten sich positive und negative Reaktionen die Waage. Harris motiviert aber Gruppen, zur Wahl zu gehen, die Biden für einen Sieg braucht: schwarze Frauen und moderate Demokraten. Der Rückschlag, den Biden auf dem linken Parteiflügel befürchten musste, weil er keine Progressive als Vize nahm, ist bisher ausgeblieben.
Zur Kernfrage für die verbleibenden 78 Tage bis zur Wahl wird nun, welches Lager seine potenziellen Wähler besser mobilisiert – und was die beiden virtuellen Parteitage dazu beitragen. Trump wird weiter provozieren und polarisieren, um seine Fans an die Urne zu bringen.
Biden führt in den nationalen Umfragen und auch in den entscheidenden „Swing States“. Er setzt bisher darauf, dass ihm der Sieg zufällt, wenn es Trump nicht gelingt, die Dynamik zu drehen. Passives Abwarten bis November wird nicht reichen. Biden und Harris müssen das Quäntchen mehr an Frische und Modernität, das mit ihr ins Rennen kam, dauerhaft sichtbar machen.