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Trotz guter Wirtschaftslage droht immer mehr Menschen Altersarmut.
© dpa

Sozialverband warnt: "Wachsende Ungleichheit wird zur Bedrohung"

Der Paritätische Gesamtverband schlägt Alarm: Trotz anhaltend guter Wirtschaftsentwicklung schaffen es die Regierenden nicht, die Armutsquote spürbar zu senken. Das stärkt auch die Rechtspopulisten.

Den Rahmenbedingungen zufolge müsste es hierzulande auch sozialpolitisch zum Besten stehen. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um nahezu 600 000. Der neu eingeführte Mindestlohn hat die Zahl der auf zusätzliche Sicherung angewiesenen Aufstocker um runde 60 000 verringert. Und der beständige Anstieg der Armutsquote seit 2006 wurde 2014 erstmals unterbrochen. Die Rate sank, aufs ganze Land bezogen, von 15,5 auf 15,4 Prozent.

Der Paritätische Gesamtverband jedoch macht in seinem Jahresgutachten zur sozialen Lage eine andere Rechnung auf. Selbst in der aktuellen wirtschaftlichen Hochphase, so Verbandschef Rolf Rosenbrock am Dienstag bei der Präsentation der Studie, gelinge es den Regierenden nicht, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft Herr zu werden.

Die Gesamtbilanz sei „alarmierend“. Für nahezu eine Million Langzeitarbeitslose gebe es auch weiterhin „keine Perspektive“. Die Armut verharre auf hohem Niveau, die Schere bei der Vermögensverteilung öffne sich weiter. Und die wachsende Ungleichheit werde „immer mehr zur Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“.

Zwei Drittel der Arbeitslosen erhalten keine Versicherungsleistungen

Als besonders beunruhigend wertete Rosenbrock die „fortschreitende Erosion der Schutzfunktion der Sozialversicherungen“. Nicht mal ein Drittel der Arbeitslosen habe noch Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Der große Rest sei auf Hartz IV oder Hilfe von Angehörigen angewiesen. „Eine Versicherung, die im Versicherungsfall nur jedes dritte Mal auch greift“, so der Verbandschef, „droht ihre Legitimation zu verlieren.“ Die Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld müssten dringend gesenkt werden.

Bei der Rentenversicherung das gleiche Problem. Seit 1990 sei das Nettorentenniveau von 55 auf 47,5 Prozent reduziert worden. Bis 2030 sei eine weitere Absenkung auf 43 Prozent möglich. Der „rapide beschleunigte Sinkflug" des Rentenniveaus drohe auch die Legitimation dieser Pflichtversicherung zu gefährden und die soziale Ungleichheit weiter zu verschärfen, heißt es in dem Gutachten.

Durchschnittsrente liegt schon jetzt unter der Grundsicherung

Schon jetzt reiche die gesetzliche Rente vielen im Alter nicht mehr, bilanzierte Rosenbrock. Die Durchschnittsrente liege bereits unter dem Grundsicherungsniveau, jeder zweite Rentner komme auf weniger als 750 Euro. Und weder Riester- noch Betriebsrente seien geeignet, die sinkende gesetzliche Rente zu kompensieren.

Derzeit bezögen gerade einmal 21 Prozent der Westdeutschen und ein Prozent der Ostdeutschen zusätzliche Leistungen aus betrieblicher Altersversorgung. „Das Alterssicherungsniveau in Deutschland steht und fällt vor allem mit der Gesetzlichen Rentenversicherung“, heißt es in der Studie. Die Leistungsfähigkeit des gesetzlichen Systems werde von den Regierenden „aber nicht gestärkt, sondern weiter geschwächt“.

"Keine Staatsförderung mehr für Riester- und Betriebsrenten"

Entsprechend konsequent fällt das Petitum des Sozialverbandes aus: „Die staatliche Förderung der Riesterrente und der Entgeltumwandlung sind einzustellen.“ Stattdessen müsse das Rentenniveau „umgehend angehoben und stabilisiert werden, um ein verlässliches Fundament für die individuelle Vorsorge zu schaffen“.

Ergänzende Vorsorge bleibe angesichts der alternden Gesellschaft zwar sinnvoll, betonte Studienautor Joachim Rock. Doch die bisherige Förderung lasse sich „wesentlich effektiver zur Armutsvermeidung einsetzen“, wenn man das Geld zielgerichtet den besonders Betroffenen zukommen lasse. Die Altersgrundsicherung beispielsweise müsse um mehr als 200 Euro auf mindestens 971 Euro im Monat steigen.

Lebensleistungsrente hilft nur wenigen

Armutspolitisch sei die Bilanz der Bundesregierung für das Berichtsjahr "absolut ungenügend", meinte Rosenbrock. Und viele der Gesetzesinitiativen und Reformideen drohten die Situation noch zu verschärfen.

Von der geplanten Lebensleistungsrente beispielsweise hält der Verband gar nichts. Da jahrzehntelange Beitragszahlung und zusätzliche Privatvorsorge Bedingung sein sollen, trage sie kaum zur Armutsvermeidung bei, heißt es in dem Gutachten. Selbst das Sozialministerium gehe in der Anfangsphase ja nur von 66 000 Anspruchsberechtigten aus.

Auch die von der SPD durchgeboxte Rente mit 63 wird darin als „kontraproduktiv“ abgelehnt. Es handle sich um nichts anderes als „Klientelpolitik“ für langjährig Versicherte mit ohnehin hohen Renten, urteilt der Autor. Frauen beispielsweise hätten wegen ihrer kürzeren Beitragszeiten kaum eine Chance auf solchen vorgezogenen Renteneintritt. Mehr noch: Sie hätten die Privilegierung einer kleinen Gruppe von Rentnern aus ihren Beiträgen mitzubezahlen.

Warnung vor noch mehr Pegida und AfD

Die Verwerfungen seien "kein Naturereignis", sondern das "Ergebnis verfehlter politischer Weichenstellungen", betonte Rosenbrock. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Bundesregierung sehenden Auges in Kauf nehme, "dass immer mehr Menschen durch das soziale Netz fallen". Schließlich berge die wachsende Ungleichheit auch politische Risiken. Rechtspopulistische Bewegungen beispielsweise stünden „in direktem Zusammenhang“ dazu. "Je schwächer der soziale Zusammenhalt", warnte der Verbandsvorsitzende, "desto stärker Pegida und AFD."

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