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Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (CDU).
© imago/Müller-Stauffenberg

Jens Spahn: „Heutiges Rentenniveau auf Dauer zu teuer“

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn über Riester und Rente, Flüchtlingspolitik und warum es durchaus berechtigte Fragen an den Islam zu stellen gilt.

CDU und CSU wollen sich versöhnen. Wie das, wenn Horst Seehofer weiter Angela Merkel vorwirft, sie sei schuld an der AfD?

Die letzten Monate haben gezeigt, dass es Redebedarf gibt. Wie es sich für Schwesterparteien gehört, werden wir bei vielen Themen eine gemeinsame Haltung finden. Und selbst in der Flüchtlingsfrage haben wir doch vieles zusammen erreicht: Wir haben das Asylrecht mehrfach verschärft, erst letzte Woche hat der Bundestag weitere sichere Herkunftsstaaten beschlossen. Zudem ist die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschland erreichen, derzeit fast bei null. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht einen Streit um des Kaisers Bart kultivieren, bei dem es um nichts mehr geht – außer vielleicht ums Rechthaben.

Unsere Politiker sind auf Dauer zu teuer! Es sind ja nicht nur überzogene Pensionen - Leute, die eine Elbphilharmonie mit 1000% Kostensteigerung, eine BER-Ruine, halbmilliardenschwere Quatschprojekte am Nürburgring, die Euro- und Banken"rettung", den EU-Subventionszirkus oder Schrott21 durchwinken - die kann sich Deutschland echt nicht mehr erlauben.

schreibt NutzerIn StolzwieBolle

Aber wenn Seehofer nun recht hätte – müsste das nicht Folgen haben?

In sehr kurzer Zeit sind hunderttausende Menschen aus anderen Kulturen neu in unser Land gekommen. Das hat die Gesellschaft enorm politisiert und polarisiert. Viele der Krisen zuvor, ob Griechenland oder Ukraine, waren für die Deutschen eher Fernsehkrisen, weit weg. Das ist hier anders. Wir haben zudem alle die Verunsicherung unterschätzt, die durch den Eindruck, wir könnten unsere Grenze nicht schützen, entstanden ist. Wir können Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn CDU und CSU gemeinsam nach vorne diskutieren und Lösungen für konkrete Probleme finden – von der europäischen Grenzsicherung bis zur Frage, wie wir die Flüchtlinge vor Ort integrieren. Den Streit zu kultivieren und zu personalisieren, bringt nix.

… sondern treibt der AfD Wähler zu?

Wer den Erfolg der AfD nur mit dem Streit zwischen CDU und CSU begründet, macht es sich entschieden zu einfach. Ein produktiver Streit in der Sache ist nichts Schlechtes und kann eine Partei sogar attraktiv machen. Gefährlich wird es, wenn es ins Persönliche geht. Der Erfolg der Populisten von rechts und links fußt in einer tief sitzenden Verunsicherung. Da geht’s um mehr als um Flüchtlinge. Wir finden dieses Phänomen ja in Europa und den USA insgesamt. Überall stehen Fragen der Identität, die zu oft gescheiterte Integration muslimischer Zuwanderer und ein allgemeines Unbehagen an einer immer unübersichtlicheren Welt im Zentrum.

Hat die CDU auf ihrem Weg in „die Mitte“ rechts zu viel Platz gelassen?

Ach, rechts, links, oben, unten – das ist am Ende wurscht. Entscheidend ist, ob wir uns genug um die Themen gekümmert haben, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Es gibt zum Beispiel viele berechtigte Fragen an den Islam. Warum werden so viele Moscheen und Imame hierzulande von der türkischen oder ägyptischen Regierung finanziert? Warum gibt es so wenige in Deutschland ausgebildete Religionslehrer? Was geschieht im Umfeld mancher Moscheen? Diese Fragen aufzuwerfen ist unsere Aufgabe – ohne Muslime pauschal zu verunglimpfen, ohne ressentimentgeladene Grenzüberschreitungen.

Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Mitglied des CDU-Präsidiums.
Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Mitglied des CDU-Präsidiums.
© Doris Spiekermann-Klaas

Lassen Sie sich damit nicht die Themen von der AfD diktieren?

Im Gegenteil. Nur weil die AfD auch über den Islam redet und dabei weit übers Ziel hinausschießt, können wir nicht sagen, das ist uns jetzt zu heiß. Zudem diskutieren wir das schon seit Jahren, aber offensichtlich nicht wahrnehmbar genug. Sich bei den Themen wegducken und ansonsten pauschal zu moralisieren und zu belehren – das stärkt am Ende die Falschen.

Wieso sind so viele Deutsche unzufrieden ausgerechnet in einer Zeit, in der es ihnen so gut geht wie nie zuvor?

Das ist ja das Spannende. Für viele sind Wirtschaft, Arbeit und Soziales derzeit gar nicht mehr das Hauptthema, sondern zum Beispiel der persönliche Schutz vor Einbruch oder Überfall, das Gefühl von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum. Vielleicht sollten wir alle mal öfter in Berlin oder Köln mit der U-Bahn fahren, um zu erleben, was viele Bürger so beunruhigt – besonders übrigens die Jüngeren. Ordnung, Sicherheit, Heimat – dafür steht die Union. Das sollten wir uns von niemandem streitig machen lassen.

Die Union bietet manchen Wählern nicht mehr genug Behausung, Behütung?

Deutschland ist heute liberaler und offener als je zuvor. Das verändert natürlich auch politische Positionen. Es zeichnet uns als Christdemokraten aus, dass wir nicht ideologisch sind, sondern mitten im Leben stehen. Aber man muss sich nur mal ausmalen, wie wir als Opposition reagiert hätten, wenn eine rot-grüne Bundesregierung die Grenzen so geöffnet hätte. Das war – aus einer Notlage heraus – eine Politik, die man nicht unbedingt mit uns als CDU verbunden hätte. Und da haben eben einige unserer Wähler Zweifel.

Also doch ein Fehler?

Wir müssen immer wieder erklären, aus welcher konkreten Situation heraus wir zu den damaligen Entscheidungen gekommen sind. Und wir müssen deutlich machen, wie es weitergeht. Unser System war an vielen Stellen auf Schönwetterzeiten ausgerichtet. Das haben wir nun in kürzester Zeit sehr viel sturmfester gemacht – mit mehr Polizei, schärferem Asylrecht, schnelleren Verfahren, mehr Verbindlichkeit bei der Integration und mit Sanktionen für Verweigerer. Aber wir müssen noch etwas anderes erreichen. Es gibt ein tief sitzendes Bedürfnis nach Sicherheit, nach Heimat, nach einem Standpunkt in der Welt, gerade jetzt, wo sie sich so rasant wandelt. Das schaffen Sie nicht mit Gesetzen, sondern nur in einer engagierten Diskussion.

Apropos Sicherheit: CSU-Chef Seehofer erklärt die Riester-Rente für gescheitert.

Ich fand die Wortwahl falsch und fatal. 16 Millionen Menschen haben einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Die haben etwas richtig gemacht: Sie verzichten heute und sparen für später. Wir können die Riester-Rente sicher noch verbessern. Aber in einigen Jahren werden in Deutschland Jahr für Jahr doppelt so viel Menschen in Rente gehen, wie junge aus den zehnten Klassen nachkommen. Wir brauchen deutlich mehr private Vorsorge, nicht weniger.

War es falsch, die Riesterrente nicht zur Pflicht gemacht zu haben?

Ja, im Nachhinein gesehen war es ein Fehler. Zwei Drittel der Arbeitnehmer haben eine zusätzliche Vorsorge, aber zu wenige von denen, die sie besonders bräuchten. Umso mehr sollten wir jetzt bei der betrieblichen Altersvorsorge zu mehr Verbindlichkeit kommen: Wer beim Unterschreiben des Arbeitsvertrags nicht ausdrücklich ablehnt, ist automatisch drin. Vielleicht sollten wir sogar noch weiter gehen. Freiwilligkeit ist gut und schön, aber nicht, wenn dann später andere zahlen müssen für diejenigen, die nichts für ihr Alter zurückgelegt haben.

Die SPD will die Absenkung des Rentenniveaus stoppen ...

Das Rentenniveau auf heutigem Stand zu halten, wäre ziemlich teuer und hilft denen kaum, die es wirklich brauchen. Ich wundere mich ja, dass eine Partei, die für die Arbeiter da sein will, nur über höhere Renten redet und nicht über die Beschäftigten, die das mit ihren Beiträgen teuer bezahlen müssten.

Brauchen wir überhaupt eine große Rentenreform?

Es gibt immer was zu verbessern. Wer sich mit Mitte 50 kaputtgearbeitet hat, etwa auf dem Bau, der kriegt beschämend wenig. Gezielte Nachbesserungen bei der Erwerbsunfähigkeit – da wäre ich sofort dabei. Aber über viele Jahre hat sich ein Grundkonsens herausgebildet über die Notwendigkeit, die Rente für eine älter werdende Gesellschaft fit zu machen. Den sollten wir nicht kurzfristiger Schlagzeilen wegen über Bord werfen. Gerade als Volksparteien sollten wir ein gemeinsames Interesse daran haben, den Menschen nicht Dinge zu versprechen, die man gegen die Mathematik nicht halten kann.

Guter Plan für den Wahlkampf. Aber für was genau? Die nächste große Koalition?

Das kann kein Ziel sein, für beide nicht. Wenn die großen Parteien koalieren, stärkt das die Ränder, und die große Koalition wird immer kleiner. In aktuellen Umfragen liegen Union und SPD ja nur noch knapp über 50 Prozent. Und im Bundestag fällt mir immer auf, wie sehr eine wirkliche Opposition fehlt, eine Alternative mit dem Anspruch, Regierung im Wartestand zu sein.

Bleibt der Union nur, auf das Pferd Grüne zu setzen?

Erst mal setzen wir auf unser eigenes Pferd und darauf, dass CDU und CSU es in die gleiche Richtung reiten. Wir wollen so stark werden, dass gegen uns keine Regierung gebildet werden kann. Aber klar, wir brauchen auch Koalitionsoptionen. Das bedeutet: Wir müssen gesprächsfähig sein – mit der FDP wie mit den Grünen.

Die CSU hält nichts von Schwarz-Grün ...

Natürlich muss es am Ende inhaltlich passen. Die Grünen müssen sich entscheiden, was sie sein wollen. Eine Melone, außen grün und innen dunkelrot? Oder eher eine bürgerliche Partei?

Müsste sich die Union nicht auch bewegen?

Da ist, auch wenn wir in der Rhetorik oft noch sehr weit auseinander sind, in letzter Zeit viel geschehen. Nehmen Sie noch einmal die Flüchtlingspolitik. Wir als Union tun uns heute viel leichter, Flüchtlinge zu integrieren, ihnen Arbeit und eine Gesundheitsversorgung zu geben – weil viele länger bleiben werden. Und die Grünen haben eingesehen, dass es uns überfordert, wenn einfach jeder zu uns käme. Für die war das ein Riesenschritt.

Jens Spahn ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Mitglied des CDU-Präsidiums. Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Rainer Woratschka.

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