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Mittelsmann der EU: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan.
© Jack Chan/imago/Xinhua

Türkische Außenpolitik: Vorsichtige Wiederannäherung an Europa

Die türkische Führung will auf einmal wieder gute Beziehungen zu Europa. Doch die Zweifel am Rechtsstaat machen das schwierig. Neues altes Ziel ist eine Zollunion.

Im Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß: „Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei. Verbündete zur Erreichung des endgültigen Abbruchs der EU-Beitrittsverhandlungen zu Gunsten eines Europäisch-Türkischen Nachbarschaftskonzeptes werden gesucht.“ Und dennoch läuft der Antrittsbesuch der österreichischen Außenministerin in Istanbul Ende Januar ausgezeichnet. „Wir haben aufrichtig miteinander gesprochen“, sagt ihr Amtskollege Mevlüt Çavusoglu und grinst. „Zentrum des Rassismus und der Islamophobie in Europa“ hatte er Österreich noch vor kurzem genannt. Jetzt ist Europa wieder prima für die Türkei.

Selbst eine von der rechtsgerichteten österreichischen FPÖ nominierte Ministerin stört die Türken nicht mehr. Während das Verhältnis zu den USA jeden Tag schlechter wird, ist die türkische Führung um Entspannung mit den Europäern bemüht. Das gilt besonders für jene drei Staaten, mit denen Ankara im Ton bis dahin beispiellos harte Auseinandersetzungen geführt hatte: Deutschland, Österreich und die Niederlande. Auch Belgien und Dänemark gerieten im vergangenen Jahr ins Visier des autoritär herrschenden türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan.

Seit rund zwei Monaten herrscht nun Tauwetter. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der mittlerweile als eine Art politischer Verbindungskanal zwischen Europäern und der Türkei fungiert, hatte Ankara ein ums andere Mal nahegelegt, sie könne in Brüssel keine Bewegung bei wichtigen Themen erwarten, ohne vorher ein gutes Verhältnis zu den einzelnen EU-Staaten wiederherzustellen.

Einen Beitritt zur EU wird es nicht so schnell geben

Das große Ziel der Türkei in der Europapolitik in diesem Jahr ist der Beginn von Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion mit der EU. Die Visa-Liberalisierung für Reisen nach Europa ist nach Einschätzung von Beobachtern eher zweitrangig. Die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen aber haben die Türken abgehakt, auch wenn EU-Minister Ömer Çelik unverdrossen das Gegenteil behauptet. Spätestens nach dem Besuch Erdogans in Paris im Januar und den nüchternen Worten Macrons ist klar: Das Projekt EU-Beitritt der Türkei ist derzeit für beide Seiten politisch unproduktiv. Den Europäern erschwert es nur die Zusammenarbeit mit der Türkei in zwei essenziellen Fragen: Terrorismusbekämpfung und Flüchtlingskrise.

Ein EU-Türkei-Gipfel noch im ersten Halbjahr oder danach während der österreichischen Ratspräsidentschaft könnte einen Deal mit Ankara bringen: neue Zollunion gegen Ausbau des Flüchtlingspaktes und der Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit. Ein Mandat für die Modernisierung der mehr als 20 Jahre alten Zollunion hat Brüssel seit Ende 2016 in der Schublade. Aber vor allem Deutschland legt sich quer. Berlin will Erdogan kein „politisches Geschenk“ machen, solange deutsche Staatsbürger inhaftiert sind. Sieben bis acht solcher Fälle, die die deutsche Regierung als politisch motiviert einschätzt, gibt es derzeit noch in türkischen Gefängnissen. Ganz oben auf der Liste der Prioritäten steht die Freilassung des Journalisten Deniz Yüzel.

Die Zollunion brächte der Türkei Wachstum: 12,5 Milliarden Euro

Die Ausweitung der Zollunion auf Landwirtschaftsprodukte, Dienstleistungen und öffentliche Ausschreibungen könnte der Türkei einen Zuwachs von 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung oder 12,5 Milliarden Euro bringen; auf Seiten der EU wird der Gewinn auf 5,4 Milliarden Euro geschätzt. Befürworter einer Modernisierung der Zollunion machen geltend, dass eine solche Reform zwangsläufig neue Verpflichtungen für die türkische Führung mit sich brächte und den Rechtsstaat wieder stärke.

Die Zeitungen im Land, die der türkischen Regierung zugerechnet werden, fahren auf ihren Titelseiten nun keine Kampagnen mehr gegen Europa als angeblichem Schutzhafen für türkische Staatsfeinde und Terroristen. Doch die neue Freundlichkeit könnte jeden Tag wieder kippen. Die jüngsten Friktionen zwischen Berlin und Ankara wegen der türkischen Militärintervention in der syrischen Provinz Afrin und der Modernisierung deutscher Leopard-Panzer, die dort eingesetzt werden, bestätigen diese vorsichtige Einschätzung. Die Deutschen verschoben eine Entscheidung über die technische Aufrüstung der Panzer auf die Zeit nach der Bildung einer neuen Regierung.

Die gegenseitigen Besuche in ihren Heimatstädten Antalya und Goslar der Außenminister Sigmar Gabriel und Çavusoglu haben zumindest Hafterleichterungen für Yüzel gebracht und die Freilassung der deutschen Journalistin Mesale Tolu aus der Untersuchungshaft. Die türkische Regierung das Gesicht wahren lassen, ist zu einer pragmatischen Linie in der EU geworden. So tun die Europäer nach außen hin, als sei die türkische Justiz unabhängig. Gleichzeitig sind sie sich bewusst, dass in politisch wichtigen Strafverfahren mittlerweile keine Richterentscheidung ohne Weisung aus dem Präsidentenpalast fällt. Zweifel am Rechtsstaat und die Erosion der Demokratie in der Türkei bleiben ein Hindernis für eine Normalisierung der Beziehungen mit Europa.

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