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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
© Vincenzo Pinto / AFP

Der Fluch der Klimapionierin: Von der Leyens Plan wird Arbeitsplätze kosten

Der EU mangelt es an tragbaren Klimaschutz-Instrumenten. Eine CO2-Grenzsteuer ist schwer umsetzbar und führt zum Konflikt mit dem Freihandel. Ein Gastbeitrag.

Jean Pisani-Ferry ist Professor an der Hertie School of Governance (Berlin) und der Sciences Po (Paris).

Die designierte Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat eine äußerst ehrgeizige Klima-Agenda vorgestellt. In ihren ersten 100 Tagen im Amt plant sie, einen „Green Deal für Europa“ vorzulegen, und sie hat ein Gesetz angekündigt, das die Europäische Union verpflichten würde, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Ihre unmittelbare Priorität wird in einer Forcierung der Bemühungen zur Reduzierung der EU-Treibhausgasemissionen bestehen, mit dem aggressiven neuen Ziel, diese (gegenüber dem Niveau von 1990) bis 2030 zu halbieren. Die Frage ist, wie sich eine solch enorme Umstellung politisch und wirtschaftlich bewältigen lässt.

Von der Leyens Programm spiegelt die wachsende Besorgnis über den Klimawandel wider. Viele betrachten den Klimaschutz inzwischen nicht mehr nur als Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, sondern auch als Verpflichtung gegenüber den Jugendlichen von heute. Zudem fürchten die politischen Parteien, dass ein Zaudern sie die Unterstützung einer großen Anzahl der Wählerinnen und Wähler unter 40 Jahren kosten könnte. In Wahrheit jedoch trägt die EU (einschließlich des Vereinigten Königreichs) heute nur in geringem Umfang zum Klimawandel bei. Der gemeinsame Anteil der Mitgliedstaaten an den weltweiten CO2-Emissionen ist von 99 Prozent vor zwei Jahrhunderten auf heute unter zehn Prozent (jährlich, nicht kumulativ) gesunken. Bis 2030 könnte dieser Wert auf fünf Prozent fallen, falls die EU Leyens Emissionsziel erreicht.

Während die EU die schmerzhafte Aufgabe auf sich nehmen wird, ihre jährlichen Emissionen um 1,5 Milliarden Tonnen zu reduzieren, wird die übrige Welt die ihren 2030 vermutlich um 8,5 Milliarden Tonnen gesteigert haben. Die weltweiten Durchschnittstemperaturen werden daher weiter steigen, und zwar womöglich um 3°C oder mehr bis 2100. Was auch immer Europa tut: Es wird den Planeten nicht retten.

Klimabündnisse sind per se instabil

Entscheidend wird sein, wie Europa mit diesem Fluch des Spitzenreiters umgeht. Der Leyen-Plan wird zumindest anfänglich unweigerlich Arbeitsplätze kosten, den Wohlstand schmälern und das Einkommen und die wirtschaftlichen Chancen verringern. Er wird nicht haltbar sein ohne eine EU-Strategie, wie der moralische Imperativ des Klimaschutzes in eine Trumpfkarte verwandelt werden kann. Es wird eine Gegenreaktion mit hässlichen politischen Folgen geben.

Natürlich werden Umstrukturierungen erforderlich werden. Aber neue Wege und neue Technologien schaffen immer auch neue Chancen und nicht zuletzt viele neue Arbeitsplätze.

schreibt NutzerIn heiko61

Was für eine Strategie könnte Europa also verfolgen? Eine Option besteht darin, auf seine Vorbildfunktion zu setzen. Mit einem umweltfreundlichen Entwicklungsmodell würden Europa und andere Klimapioniere einen Weg bahnen, dem andere folgen könnten. Und rechtlich unverbindliche internationale Übereinkommen wie das Paris-Abkommen von 2015 würden helfen, die Fortschritte zu überwachen, und so säumige Regierungen zum Handeln drängen. Doch weil der Klimaschutz ein klassisches öffentliches Gut ist, sind Klimabündnisse per se instabil – und größere derartige Bündnisse schaffen sogar noch größere Anreize für ihre Mitglieder, zu desertieren und trittbrettfahrerisch von den Bemühungen anderer zu profitieren. Mit gutem Beispiel voranzugehen dürfte daher nicht ausreichen.

Alternativ könnte Europa auf seinem Vorteil als Vorreiter aufbauen, um sich einen Wettbewerbsvorsprung bei neuen umweltfreundlichen Technologien, Produkten und Dienstleistungen zu erwerben. Innovationen können dazu beitragen, das Potenzial derartiger Technologien zu erschließen und die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung zu ändern.

Größe des Marktes als Trumpfkarte

Es gibt ermutigende Anzeichen: Die Kosten für Solarmodule fallen schneller als gedacht, und erneuerbare Energien sind heute konkurrenzfähiger. Doch Europa hat es versäumt, seine Klimaschutzbemühungen in eine industrielle Führungsrolle umzumünzen. Die meisten Solarmodule und Akkus werden heute in China gefertigt.

Europas verbleibende Trumpfkarte ist die Größe seines Marktes, auf den noch immer rund 25 Prozent des weltweiten Konsums entfallen. Weil es sich kein globales Unternehmen leisten kann, diesen Markt zu ignorieren, ist die EU eine wichtige Regulierungsmacht in Bereichen wie der Verbrauchersicherheit und dem Datenschutz. Zudem erreichen europäische Normen häufig eine weite Verbreitung, weil Hersteller und Dienstleister, die sich den anspruchsvollen Vorgaben der EU angepasst haben, dazu neigen, diese auch auf anderen Märkten einzuhalten.

Die EU setzt darauf, dass die Kombination aus ihrem eigenen starken Bekenntnis zur Dekarbonisierung und dem viel weicheren, aber globalen Paris-Abkommen die Unternehmen bewegen wird, Forschung und Investitionen auf umweltfreundliche Technologien auszurichten. Selbst wenn andere Länder sich keine ehrgeizigen Ziele setzen, so wird argumentiert, könnten Investitionen in eine neue Richtung umgelenkt werden, um die grüne Entwicklung für alle Länder bezahlbarer zu machen.

CO2-Grenzsteuer nicht so leicht umsetzbar

Die aktuellen Fortschritte in dieser Hinsicht reichen jedoch eindeutig nicht aus, um die globalen Emissionen zu beschränken und den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert deutlich unter 2°C über vorindustriellem Niveau zu halten. So steigen die weltweiten Kapazitäten zur Erzeugung von Strom aus Kohle, weil China und Indien Kraftwerke schneller bauen, als die USA und Europa sie abbauen.

Es mangelt Europa daher an Instrumenten, die seinen Übergang zur Klimaneutralität wirtschaftlich und politisch tragbar machen würden. In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament ließ von der Leyen daher eine Bombe platzen: Sie versprach die Einführung einer Grenzsteuer, die darauf zielt, die Verlagerung CO2-intensiver Produktionsbereiche in Länder außerhalb der EU zu verhindern.

Eine derartige Steuer wird auf Beifall bei Umweltschützern stoßen, die (oft fälschlich) glauben, dass Handel schädlich für das Weltklima ist. Wichtiger ist, dass die Maßnahme sowohl Wettbewerbsverzerrungen korrigieren als auch diejenigen abschrecken würde, die versucht sind, sich nicht an der globalen Klimakoalition zu beteiligen. Solange es kein verbindliches Klimaabkommen gibt, ist eine Grenzsteuer auf Kohlenstoff wirtschaftlich sinnvoll.

Doch ist eine derartige Steuer nicht so leicht umsetzbar. Überzeugte Befürworter des Freihandels werden Zeter und Mordio schreien. Die Importeure werden protestieren. Die Entwicklungsländer und (sofern sie nicht den Kurs ändern) die USA werden die Maßnahme als protektionistische Aggression darstellen. Und das bröckelnde Welthandelssystem wird eine neue Erschütterung erleiden.

Es ist eine Ironie, dass die neue Führung der bisher unnachgiebig für offene Märkte eingetretenen EU vermutlich einen Konflikt zwischen Klimaschutz und Freihandel auslösen wird. Doch dieser Konflikt ist unvermeidlich. Wie er geführt wird, wird sowohl das Schicksal der Globalisierung als auch des Klimas bestimmen.

Copyright: Project Syndicate

Jean Pisani-Ferry

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