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Ein großer Satz oder ein kleiner Sprung? Eine Teilnehmerin vor dem Logo "COP24", dem Kürzel der Klimakonferenz in Kattowitz.
© Janek SKARZYNSKI/AFP
Update

UN-Gipfel in Kattowitz: Das sind die neuen Regeln für den weltweiten Klimaschutz

Die Staaten der Welt haben sich in Kattowitz auf ein Regelwerk zum Klimaschutz geeinigt. Reicht das aus, um die Erwärmung der Erde zu bremsen? Ein Überblick.

Was wurde beschlossen?

Die Klimakonferenz in Kattowitz hat im Wesentlichen das erreicht, was sie sich vorgenommen hat: Regeln für die Umsetzung des Paris-Abkommens aufzustellen. Es schwer vermittelbar, was daran so schwierig war. Doch auch mit den Regeln sind handfeste politische und wirtschaftliche Interessen verbunden. Darum wurde darüber so hart verhandelt.

Für alle Staaten wird es in Zukunft einheitliche Richtlinien für ihre Berichte zum Klimaschutz geben. Für Entwicklungsländer, denen bislang die Kapazitäten für die kleinteiligen Berichte fehlen, gibt es Übergangsregelungen. Doch insgesamt ist das Regelwerk eine gute Grundlage, um zu überprüfen, ob sich alle an ihre freiwilligen Verpflichtungen halten. Das Paris-Abkommen kam ja nur deshalb zustande, weil kein Land zu bestimmten Zielen gezwungen wurde.

Ein Detail der Beschlüsse dazu: Die abgegebenen Daten dürfen nicht älter als drei Jahre sein. China beispielsweise hatte lange dafür gekämpft, wesentlich ältere Informationen mitteilen zu dürfen. Nun muss sich auch der größte CO2-Emittent der Welt genau in die Karten schauen lassen. Ein Wermutstropfen: Die Transparenzberichte müssen erst ab 2024 abgegeben werden. Im Gespräch war auch das Datum 2022 gewesen.

Mehrere Beschlüsse betreffen die Finanzierung von Klimaschutz in Entwicklungsländern. Deren Forderung nach Unterstützung ist seit Anbeginn der Klimaverhandlungen anerkannt, weil sie zum Klimawandel kaum etwas beigetragen haben, aber sich gegen die Folgen kaum wappnen können. Das Regelbuch beschreibt nun, wie die Mittel in verschiedenen Fonds aufgefüllt werden. Auch nach 2025 wird die Finanzierung weitergehen, was bisher noch unklar war.

Eine Einigung auf finanzielle Unterstützung für nicht mehr wiedergutzumachende Schäden in besonders armen und verletzlichen Staaten aber gab es nicht. Die zugesagten Mittel fließen weiterhin nur für die Anpassung an den Klimawandel und die Minderung von Treibhausgasen.

Ein anderes Ergebnis beim Thema Finanzierung: 2023, bei der ersten großen Inventur zum Paris-Abkommen, werden auch die globalen Finanzströme angeschaut, nicht nur die Einzelbeiträge der Geberländer. Denn insgesamt müssen sich die Investitionen weg von den fossilen Energien hin zu mehr Erneuerbaren bewegen.

Viele weitere Einzelbeschlüsse gab es zum Transfer von Klimaschutztechnologien aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer. Eher schwach sind die Regeln für den Fall, dass Staaten ihre Verpflichtungen nicht einhalten. Die dafür gegründete Kommission wird keine Sanktionsmöglichkeiten haben.

Was wurde vertagt?

Keine Entscheidung gab es bei den sogenannten Marktmechanismen. Gemeint ist der Handel mit Verschmutzungsrechten für Klimagase. Brasilien hatte bis zuletzt für eine Doppelzählung gekämpft: Einmal sollten Emissionsminderungen auf das eigene Klimaziel angerechnet werden können, dann sollten sie noch als Verschmutzungsrechte handelbar sein.

Die Entscheidungen dazu wurden nun auf die nächste Klimakonferenz 2019 vertagt. Sie wird in Chile stattfinden, wobei es eine Doppelpräsidentschaft aus Chile und Costa Rica geben wird. Die Vertagung wurde positiv aufgenommen, denn für einen faulen Kompromiss sind die Marktmechanismen zu wichtig.

Reichen die Beschlüsse für wirksamen Klimaschutz aus?

Bei weitem nicht. Es war aber schon 2015 in Paris klar, dass die freiwilligen Klimaschutzverpflichtungen der einzelnen Länder zu einer Erderwärmung von rund drei Grad führen werden. Ziel sind dagegen nicht mehr als zwei Grad und möglichst nur 1,5 Grad.

Viele Nationen, darunter auch Deutschland, sind noch nicht auf dem Weg, selbst diese zu geringen Zusagen zu erfüllen. Deshalb wird die Erderwärmung sogar mehr als drei Grad betragen, wenn nicht gegengesteuert wird.

Allerdings standen neue Verpflichtungen auch nicht auf der Tagesordnung der Konferenz in Kattowitz. Das Paris-Abkommen sieht dafür erst das Jahr 2020 vor. Es wird nun darum gehen, politischen Druck aufzubauen, damit es 2020 auch wirklich zu höheren Klimaschutzzielen kommt. Laut dem Paris-Abkommen hätte es theoretisch ausgereicht, die gleichen, ungenügenden Zusagen noch einmal abzugeben. Nun werden alle aufgefordert, 2020 höhere Ziele für 2030 abzugeben.

Welche Bewegung gibt es für besseren Klimaschutz?

An Aufforderungen für mehr Ehrgeiz mangelte es in Kattowitz nicht. Nicht nur Umweltorganisationen machten Druck, auch Staaten der Klimarahmenkonvention kündigten bereits während der Konferenz an, ihre Klimaziele für 2020 zu erhöhen. Die High Ambition Coalition, die in Paris erfolgreich für die Aufnahme des 1,5-Grad-Ziels ins Abkommen gekämpft hatte, sagte bereits neue, bessere Selbstverpflichtungen für 2020 zu. Zu der Koalition gehören besonders verletzliche Länder wie die Inselstaaten im Pazifik, aber auch die EU und Deutschland.

Ein wichtiges Signal war der Talanoa-Aufruf für mehr Klimaschutz, der am Ende eines einjährigen Prozesses für mehr Ambitionen stand. In dem Gesprächsformat haben sich alle Länder ausgetauscht, wo sie beim Klimaschutz stehen und was sie erreichen wollen.

Mehr als nur Worte, sondern konkrete Aktionen, gab es von vielen nicht-staatlichen Akteuren. Die Weltbank wird 200 Milliarden Euro zusätzlich für den Klimaschutz bereitstellen. Neun internationale Entwicklungsbanken verpflichteten sich, ihre Kreditpolitik mit dem Paris-Abkommen auf eine Linie zu bringen. Auch die Wirtschaft steuert um: Weltweit wird bei neuen Anlagen zur Stromerzeugung schon seit mehreren Jahren mehr in erneuerbare Energien als in fossile investiert. Und Städte- und Unternehmensbündnisse verpflichten sich, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Wer bremst, wer geht voran?

Bremser war neben Brasilien auch Saudi-Arabien. Das Land führte eine kleine Koalition aus Russland, Kuwait und den USA an, die den kürzlich erschienen Bericht des Weltklimarats zum 1,5- Grad-Ziel nur „zur Kenntnis nehmen“, aber nicht „begrüßen“ wollte. Das hört sich nach einem sinnlosen Streit um Worte an, der aber symptomatisch für die Haltung der vier Staaten ist. Letztlich hat die Konferenz zwar die Arbeit der Wissenschaftler anerkannt, aber ihren Empfehlungen, die Emissionen bis 2030 zu halbieren, um das 1,5-Grad- Ziel zu schaffen, nicht in den Abschlusstext aufgenommen.

Ein Knackpunkt war auch die Forderung der Türkei, Zugang zu den finanziellen Mitteln aus dem Green Climate Fund bekommen. Der ist aber den Entwicklungsländern vorbehalten, und die Türkei zählt seit dem Klimaabkommen von Kyoto zu den Industrienationen. Am Ende kam es im Hintergrund zu einer Lösung, an der Deutschland, Frankreich und Polen beteiligt waren. Sie wollen mit Türkei besprechen, was alternativ möglich wäre.

Was bedeuten die neuen Regeln aus Kattowitz für Deutschland?

Deutschland berichtet bereits jährlich transparent darüber, wie viel Klimagase die Industrie oder der Verkehrssektor ausstoßen. In der Regel erstellt das Umweltbundesamt den Report für die Bundesregierung. Es gibt aber auch eine Fülle anderer Beratungsunternehmen und Thinktanks, die den Emissionsausstoß überwachen. Sie sprechen auch Empfehlungen an die Bundesregierung aus, welche Maßnahmen geeignet sind, zum Beispiel der Abschaltung von Kohlemeilern oder die Einführung eines CO2-Preises, damit der Ausstoß von CO2 teurer wird.

Einzig: Die Bundesregierung muss das dann aber auch umsetzen. Das Umweltministerium sammelt derzeit aus allen Ministerien Vorschläge ein, wie sie ihre Klimaziele bis 2030 erreichen wollen. Geht es nach dem Koalitionsvertrag, wird es im kommenden Jahr ein Klimaschutzgesetz geben, was Ausflüchte unmöglich macht.

Ein wichtiges Signal wäre gewesen, wenn Deutschland bei der Klimakonferenz schon einen Plan für den Kohleausstieg hätte bekanntgeben können. Das war aber nicht möglich, weil sich die dafür eingesetzte Kommission noch nicht einigen konnte.

Warum hat die Europäische Union ihr Klimaziel in Kattowitz nicht nachgeschärft?

EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete wollte eigentlich mit einem verschärften Klimaziel nach Kattowitz fahren. Bis 2030 sollte die EU demnach ihre Treibhausgasemissionen um 45 Prozent senken, nicht nur um 40 Prozent, in Einklang mit den jüngst ohnehin beschlossenen Zielerhöhungen beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Energieeffizienz in der EU.

Deutschland intervenierte jedoch zusammen mit einigen osteuropäischen Ländern. Deshalb hat Cañete die Diskussion um die Erhöhung des Klimaziels auf das Jahr 2019 verschoben. Die Kommission hat aber schon einen detailliertes Konzept vorgelegt, wie die EU bis 2050 klimaneutral werden kann. Der Vorschlag wird von den Staats- und Regierungschefs im Mai 2019 bei ihrem Treffen im rumänischen Sibiu beraten werden.

Wie geht es international weiter?

UN-Generalsekretär Antonio Guterres lädt für September 2019 zu einem Sondergipfel ein, auf dem die verbesserten Klimaziele vorgelegt werden sollen. Wie immer bei den Klimaverhandlungen geht es darum, politischen Druck für mehr Ambitionen aufzubauen, der einen Dominoeffekt auslösen soll.

Welche Reaktionen gab es?

Die Klimakonferenz von Kattowitz wird in Zeiten eines weltweit erstarkenden Nationalismus als Erfolg für die internationale Zusammenarbeit gewertet. „Einmal mehr haben Regierungen aus aller Welt bewiesen, dass sie fähig und willens sind, zum Schutz ihrer Bürger vor Klimarisiken zusammen zu arbeiten“, sagte Ottmar Edenhofer, Direktor Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die Welt brauche nun aber mehr als nur klimapolitische Ziele und Prozesse. „Sie braucht konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgase; und sie braucht diese Maßnahmen nicht irgendwann, sondern jetzt“, sagte Edenhofer.

Als „Erleichterung“ für Klimaschutz und -politik lobte der designierte Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, das ausgehandelte Regelbuch: „Die Staaten der Welt erkennen an, dass sie zusammenarbeiten müssen, um die Klimakrise anzupacken.“ Das Paris-Abkommen erweise sich damit „trotz einer Zunahme von Nationalismus und Populismus“ als „quicklebendig“. Seine Sorge sei aber, dass dem Gipfel keine Beschlüsse zur Begrenzung der Klimarisiken gelungen seien: „Das ist ein Problem. Wir folgen weiterhin einem Weg, der uns noch innerhalb dieses Jahrhundert in eine sehr gefährliche, drei bis vier Grad wärmere Welt führen wird.“

Greenpeace nannte das Regelwerk den „einzigen Lichtschimmer“ der Konferenz, die ansonsten „versagt“ habe. Die deutschen Grünen sprachen von einer „herben Enttäuschung“. Die zentrale Frage, was die einzelnen Staaten zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels beitragen, blieb „vollkommen unbeantwortet“, erklärten Fraktionschef Anton Hofreiter und die klimapolitische Sprecherin Lisa Badum. „Mit einem technischen Regelbuch allein spart man noch keine einzige Tonne CO2“, kritisierte auch Parteichefin Annalena Baerbock. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag begrüßte die Einigung: „Wichtig für die Unternehmen ist, dass alle Staaten ähnlichen Verpflichtungen unterliegen“, erklärte dessen Präsident Eric Schweitzer. Besonders Schwellenländer würden nun „auch stärker in die Pflicht genommen“. Der Maschinenbauverband VDMA bezeichnet das Ergebnis hingegen als „zu zögerlich“. Viele Technologien stünden schon bereit und stärkere Regeln wären „ein wichtiges Zeichen gewesen für die Unternehmen, dass Investitionen in klimafreundliche Technologien sich langfristig lohnen“, sagte VDMA-Geschäftsführungsmitglied Naemi Denz.

Die Hilfsorganisation Misereor forderte „Unterstützung bei der Bewältigung der Schäden und Verluste durch den Klimawandel“ für die ärmsten Länder. Edenhofer betonte, das jetzt beschlossene Abkommen sei „ein Sieg des Multilateralismus“, der Zusammenarbeit von Staaten. Auch der Linken-Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin sagte, der Gipfel habe „gezeigt, dass der weltweite Rechtsruck eine handfeste Gefahr für das Klima ist“. Als „internationaler Minimalkonsens“ werde das Pariser Abkommen von 2015 von Rechten torpediert. Die Bundesregierung müsse einem „drohenden Klima-Rollback“ Taten entgegensetzen – Kohleausstieg und Verkehrswende gehörten nach Kattowitz jetzt „ganz oben auf die Agenda“.

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