zum Hauptinhalt
Gern im Pulli. Albin Kurti bei Protesten 2015, heute trägt er auch Anzug.
© pa / dpa

Politische Krise in Kosovo: Vom Außenseiter zum Machthaber?

Eine neue Regierung in Kosovo gibt es auch Monate nach der Wahl nicht. Eine neue Abstimmung könnte der Linksnationalist Albin Kurti gewinnen – und die Region verändern.

Wenn am kommenden Dienstag, dem zwanzigsten Todestag Mutter Teresas, im kosovarischen Pristina eine Kathedrale nach der albanischen Ordensgründerin benannt wird, strömen die Eliten des Balkanstaates zur obligatorischen Zeremonie. Die Funktionäre des mehrheitlich muslimischen Landes werden dann den Gesandten des Papstes begrüßen und auch die Vertreter von EU, Vereinten Nationen und Nato, die seit Jahren im Land tätig sind. Und doch wird der Empfang nicht darüber hinweg täuschen, dass sie alle eine kleine Revolution fürchten.

Seit Monaten wählt Kosovos Parlament keine Regierung. Das als korrupt verschriene Parteienbündnis um Ramush Haradinaj, einen früheren Kommandeur der einstigen Untergrundarmee UCK, erhält anders als erwartet nicht die nötigen Stimmen – und Oppositionsführer Albin Kurti fordert das Establishment so schonungslos heraus, dass es bald Neuwahlen geben könnte. Dann hätte Kurti erstmals seit der Sezession der erst jugoslawischen und später serbischen Provinz eine Chance auf den Posten des Regierungschefs.

Allein die Aussicht darauf macht nicht nur kosovarisch-albanische Funktionäre nervös, die serbische Minderheit sowieso. Nun befassen sich auch deutsche und amerikanische Diplomaten intensiver mit Kurti, mit Vertretern beider Staaten hat der erst 42 Jahre alte Politiker zuletzt gesprochen. Der frühere Studentenführer Kurti steht für Kritik an allem, was viele bislang mit Kosovo verbinden: Ihm geht es um die Netzwerke der UCK-Elite genauso wie die Nato-Truppen oder die Oligarchen aus der Türkei und den Öl-Emiraten, die an der Privatisierung der Staatsbetriebe verdienten.

Die Fahne Kosovos von Paradesoldaten am Flughafen in Pristina.
Die Fahne Kosovos von Paradesoldaten am Flughafen in Pristina.
© Reuters

Kurti ist Chef der Vetevendosje, was „Selbstbestimmung“ auf Albanisch bedeutet. Die VV abgekürzte Partei junger Linksnationalisten gewann im Juni dieses Jahres fast 28 Prozent der Stimmen. Damit wurde die VV stärkste Einzelpartei. Die Wirtschaftsliberalen um Wahlsieger Haradinaj erhielten nur deshalb 34 Prozent, weil sie drei Parteien auf einer Liste vereinten. Und auch das reichte nicht, damit Haradinaj wie geplant zum Regierungschef gewählt wurde. Unklar ist zudem, ob sich der Ex-UCK- Milizionär Haradinaj nicht doch noch vor einem Sondertribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen wird verantworten müssen. Setzt sich nun Albin Kurti durch, finge für alle Nachbarstaaten, aber auch für die deutsche Regierung eine neue Zeit auf dem Balkan an.

Einst war das Kosovo eine serbische Provinz – in der neben der albanischen Mehrheit immer auch Serben, Roma, Türken und Mazedonier lebten. Nach dem von der Nato unterstützten Abspaltungskrieg 1999 erklärte sich das Kosovo 2008 für unabhängig. Die meisten Serben haben Kosovo verlassen. Bislang erkennen 110 Regierungen den neuen Staat an, darunter Deutschland.

Kurti organisierte schon in den letzten Jahren des alten Jugoslawiens proalbanische Proteste, saß dann in Haft und fordert seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos 2008 auch seine früheren UCK-Mitstreiter heraus. Kurti möchte, dass die Nato-Truppen abziehen und die lokalen Eliten entmachtet werden. Noch sind auch 600 Bundeswehrsoldaten im Kosovo stationiert. Der Oppositionsführer lehnt es außerdem in allerlei Fragen ab, den Serben und Montenegrinern entgegenzukommen.

Das ärgert die Bundesregierung, die nicht nur wegen der Flüchtlingspolitik gern einen ruhigen Balkan hätte. Im Mai hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einem Gipfel in Triest mit Frankreich und Italien auf einen Marschall-Plan für die Region geeinigt. Dabei wurde vereinbart, eine regionale Wirtschaftszone und eine Wissenschaftsstiftung zu gründen. Zudem soll ein IT-Gipfel mit den Westbalkan-Staaten die Potentiale der Region stärken.

Das wäre tatsächlich nötig: Die Arbeitslosenquote in Kosovo liegt bei 35 Prozent. Jeder zweite Einwohner ist jünger als 25 Jahre. Viele Kosovaren wollen nach Deutschland, Italien oder Österreich. Zuletzt hatten sich vor zwei, drei Jahren Zehntausende aus der Region als Asylsuchende auf den Weg gemacht. Kosovo wird inzwischen als sicherer Herkunftsstaat eingestuft. Auf Asyl in Deutschland zu hoffen, ist also aussichtslos. Die Bundesregierung hilft derzeit allerdings vor Ort: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Bundesagentur für Arbeit bieten in einem Beratungszentrum in Pristina legale Wege nach Deutschland an. Dabei werden arbeitssuchenden Kosovaren unterstützt, einen regulären Job in Deutschland zu finden. Außerdem hilft die GIZ örtlichen Netzwerken, um in der Heimat neue Jobs entstehen zu lassen.

Von einem „Staat in der Pubertät“ spricht Michael Sauer. Der Deutsche berät das Arbeitsministerium in Pristina. Vieles laufe schleppend, sagt er, aber die Kosovaren seien motiviert. Demnächst könnten 20 junge Männer an bayerische Baufirmen vermittelt werden. Die für die Ausbildung in Bayern nötigen Deutschkurse bezahlen GIZ, Bayerns Bauinnung und die Regierung in Pristina gemeinsam.

Inwiefern die Zusammenarbeit künftig läuft, hängt womöglich von Albin Kurti ab. Der Nationalist wird es mit dem albanischen Stolz nicht übertreiben. Dazu dürfte seine Biografie beitragen: Als er die Norwegerin Rita Augestad Knudsen heiratete, sollen nationalistische Kosovo- Albaner von „Vaterlandsverrat“ schwadroniert haben.

Zur Startseite