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Die Fahne Kosovos von Paradesoldaten am Flughafen in Pristina.
© Reuters

Kosovo und Serbien: Zwei Nationen ringen um Anerkennung

Der Balkan ist multiethnisch und gibt vielen Konfessionen ein Zuhause. Ein Treffen der Balkanstaaten in Mazedonien wurde nun abgesagt – weil Belgrad die Teilnahme des Kosovo ein Dorn im Auge war.

Die Sonne strahlt, lauer Wind weht durch Gracanica. In den Cafés des Ortes sitzen Hünen mit hochgewachsenen Begleiterinnen. Sie trinken aus Serbien importiertes Bier, sprechen Serbisch, zeigen sich mit serbisch-orthodoxen Heiligenbildern und zahlen mit serbischem Dinar – mitten im Kosovo.

Gracanica ist eine serbische Enklave bei Pristina, der Hauptstadt des mehrheitlich von Albanern bewohnten Kosovo. Obwohl die Kosovaren alles andere als zimperlich sind, wenn es um ihren Staat geht, weht in Gracanica die serbische Flagge. Seit dem Krieg 1999, den die albanische Untergrundmiliz UCK und die Nato gegen die jugoslawische Armee führten, ist die Lage durchgehend angespannt. Anders als im Westen halten auf dem Balkan nur einige Staaten zum Kosovo: Ein Treffen der Präsidenten der Balkanländer in Mazedonien, wo Albaner inzwischen 25 Prozent der Bewohner ausmachen, ist am Donnerstag abgesagt worden. Neben Serbien hatten Bosnien und Rumänien wegen der gleichberechtigten Teilnahme des Kosovo mit Boykott gedroht, im Gegenzug zogen sich Albanien und Kroatien zurück.

Viele Slawen erkennen das Kosovo nicht an, sie sehen in dem Staat eine abtrünnige Provinz in der Hand islamisch- albanischer Fanatiker. Die meisten Kosovaren sind muslimischen Glaubens, in nahezu allen Städten sind Minarette zu sehen. Nach wie vor gibt es Anschläge von Albanern, aber auch von Serben. Viele Serben haben aus Angst vor Rache das Kosovo verlassen. Noch harren bis zu 150 000 Serben unter 1,8 Millionen Albanern in einer Parallelgesellschaft aus. Im Norden stellen sie die Mehrheit, dort werden Lehrer, Polizisten und Ärzte aus Belgrad bezahlt. Nato-Soldaten bewachen kosovarische Zöllner an der Grenze zu Serbien. Die Serben im Norden des Kosovo wollen sich nun für unabhängig erklären.

„So haben es die Albaner doch auch gemacht“, sagt eine Frau in hübscher Blässe, die sie mit einer riesigen Sonnenbrille verdeckt. „Ich fürchte die Albaner, sie hängen in riesigen Gruppen rum, Männer und Frauen getrennt.“ Um das Kloster von Gracanica patrouillieren UN-Polizisten, Nato-Hubschrauber kreisen über der Stätte, die serbisch-orthodoxen Christen als heilig gilt. Albanische Nationalisten hatten auf dem Weg zum Kloster schon Bomben gelegt.

Von Gracanica fährt ein Bus nach Nis in Süd-Serbien, er passiert Pristina nach 20 Minuten – ohne dort am Busbahnhof zu halten. Wer in Pristina aussteigen will, tut das auf eigenes Risiko am Straßenrand. Gleich am Busbahnhof gibt es wie überall auf dem Balkan viel Fleisch: ein Teller mit drei Buletten, Schnitzel und Brot für fünf Euro – die offizielle Währung des Landes. Zunächst galt nach dem Krieg die D-Mark. Zwei Roma, vielleicht neun Jahre alt, betteln vor dem Imbiss. Der Grillmeister ohrfeigt einen, spritzt dem anderen Ketchup ins Gesicht. „Sorry“, sagt der Mann, nicht wegen der Ohrfeige, ihm sind die Bettler peinlich. Doch Roma haben auch in Serbien, Mazedonien oder dem EU-Land Bulgarien keinen besseren Stand.

Der Balkan ist multiethnisch und gibt vielen Konfessionen ein Zuhause. Im Kosovo leben neben Albanern, Serben und Roma noch Türken, Mazedonier, Kroaten und die slawisch-muslimischen Goranen und Torbeschen. In Serbien gibt es neben Ungarn und Rumänen im Norden zehntausende Albaner im Süden, an der Grenze zum Kosovo. Während die Serben südlich der Grenze nicht zum Kosovo gehören wollen, fordern auch die Albaner in Serbien mehr Autonomie. Noch spricht kaum jemand von Gebietsaustausch: Nord-Kosovo an Belgrad, Süd-Serbien an Pristina?

„Nein, wir haben 1999 für das ganze Kosovo gekämpft“, sagt Asim Ramas, 37 Jahre, aus Pristina. Dass die Serben abziehen mussten, begrüßt er, auch wenn sie dabei Kraftwerke zerstört hätten. Und bis heute gibt es – trotz Milliardenhilfen der EU – stundenweise Stromausfälle. In seinem Pkw fährt er Waren durch das Kosovo, als Kleinstspediteur. Die Stimmung sei schlecht, Korruption verbreitet, sagt er. Die Arbeitslosenquote liegt bei 45 Prozent. Jeder zweite Kosovare ist jünger als 25 Jahre, jährlich strömen 25 000 Jugendliche auf den Arbeitsmarkt. Zu Zeiten Jugoslawiens wurden hier Erz- und Kohleminen betrieben, die nun auf Investoren warten. Doch die kommen eher, wenn die Lage stabil ist.

Die Opposition im Kosovo fordert nach den Wahlen 2014 einen Ruck im Land. Neben der konservativen AAK hat die im Westen wenig bekannte, zuweilen linksnationalistische Vetevendosje – was „Selbstbestimmung“ bedeutet – gute Chancen. Ihr Chef, der 37 Jahre alte Albin Kurti, wettert gegen die „Klüngelwirtschaft“ von Premier Hashim Thaçi und dem, was Beobachter die „Staat gewordene organisierte Kriminalität“ nennen. An Hauswänden in Pristina prangen „Vetevendosje“- Graffiti.

Nur 90 Kilometer nördlich liegt Nis, Serbiens drittgrößte Stadt. Hier leben viele Serben aus dem Kosovo. Seit den Luftangriffen 1999 ist man auf Amerikaner, Briten und Deutsche nicht gut zu sprechen. Gar nicht aber reden die meisten über Albaner. Nach einem Brand ist das Minarett der zentralen Moschee nicht wieder aufgebaut worden.

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