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Martin Schulz, ehemaliger Kanzlerkandidat der SPD.
© Michael Kappeler/dpa

Martin Schulz zum Aachener Vertrag: "Viele Vorschläge von Macron wurden noch nicht aufgegriffen"

Deutschland und Frankreich wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen - mit einem neuen Vertrag. Fragen dazu an Martin Schulz (SPD), Ex-Präsident des EU-Parlaments.

Herr Schulz, was bedeutet der Aachener Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich, den Emmanuel Macron und Angela Merkel am Dienstag unterzeichnen?

Der Vertrag von Aachen ist ein Symbol für die gute Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland. Knapp 60 Jahre nach Unterzeichnung des Elysée-Vertrages, der ein Meilenstein für die Aussöhnung der Völker Deutschlands und Frankreichs war, macht der Vertrag von Aachen deutlich, dass wir die Zukunft nur gemeinsam mit unserem Nachbarn gestalten können, und dass dazu eine noch vertieftere strukturelle Zusammenarbeit notwendig ist. Der Vertrag legt dazu einige praktische Verfahren fest.

Unter anderem wird das Ziel definiert, gemeinsame Regelungen für Rüstungsexporte zu erarbeiten. Wie realistisch ist das, wenn Frankreich trotz Jemen-Krieg und Kashoggi-Mord weiter Waffen an Saudi-Arabien liefert, während Deutschland sogar zugesagte Lieferungen stoppt?

Zuerst einmal ist das Ziel richtig. Gemeinsame Kriterien für Rüstungslieferungen würde ich mir auf gesamteuropäischer Ebene wünschen. Denn es ist richtig, dass es den Menschen im Jemen wenig nutzt, wenn Deutschland seine Waffenlieferungen einstellt, dafür aber ein anderes europäisches Land die Lücke füllt. Ob wir gemeinsame Standards mit Frankreich hinbekommen, das werden die Gespräche zeigen. Ich halte es aber für realistisch.

Könnte das auch heißen, die strengen deutschen Exportrichtlinien aufzuweichen zugunsten einer gemeinsamen Haltung?

Ich denke nicht, dass dies die Idee sein sollte. Wir sollten eher darauf abzielen, dass die Franzosen höhere Standards anstreben, die wir gemeinsam einhalten.

Ist die Bundesregierung den EU-Reformvorschlägen von Emmanuel Macron weit genug entgegengekommen?

Im Vertrag von Aachen geht es in erster Linie nicht um Reformen, sondern in erster Linie um die langfriste Stärkung der Freundschaft und Kooperation unserer beiden Länder, die es geschafft haben aus einer blutigen Erbfeindschaft etwas zu machen, was ich eine Erbfreundschaft nennen will. Schon im Elysée-Vertrag ging es vorrangig um den Austausch zwischen Deutschen und Franzosen. Es ist richtig, dass viele der Vorschläge, die Emmanuel Macron zur Zukunft der EU gemacht hat, noch nicht aufgegriffen wurden. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Diese Initiativen müssen jedoch nicht noch einmal in den Vertrag von Aachen geschrieben werden, der eher langfristig angelegt ist. Der Elysée-Vertrag, den der Vertrag von Aachen ergänzen wird, hat bis heute schließlich mehr als 55 Jahre Bestand. Nein, die Antwort auf Macron muss in dieser Legislatur von der deutschen Regierung kommen. Die Grundlage dafür ist schon da – der aktuelle Koalitionsvertrag.

Kann eine enge Zusammenarbeit von Paris und Berlin nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU von den anderen EU-Ländern nicht als Bevormundung empfunden werden?

Nein, so sollten wir diese Initiative nicht sehen. Sehen wir es einmal andersherum: Welches Interesse hätten die anderen europäischen Staaten daran, dass Deutschland und Frankreich, die Länder, die sich jahrhundertelang bekriegt haben, keine guten Beziehungen zueinander pflegen? Die deutsch-französische Freundschaft ist eine Grundbedingung für den Frieden und den Wohlstand auf unserem Kontinent. Diese Zusammenarbeit bedeutet keine Bevormundung.

Die Bundesregierung hat die Vertragsunterzeichnung wissentlich auf einen Termin gelegt, an dem der Bundestag ursprünglich gemeinsam mit der Assemblèe Nationale die deutsch-französische Freundschaft würdigen wollte – eine Brüskierung?

Die Zeremonie in Aachen ist sicher ein würdiger Rahmen für die Unterzeichnung dieses Vertrages. Trotzdem hat auch mich die Terminierung und die damit verbundene Verabschiedung des deutsch-französischen Parlamentsabkommens irritiert. Die Wichtigkeit der Kooperation der nationalen Parlamente kann nicht genug gewürdigt werden. Sie sind die direkten Volksvertretungen, und sollten auch in der deutsch-französischen Kooperation eine zentrale Rolle spielen.

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