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Karamba Diaby (SPD) sitzt seit 2013 für Halle im Bundestag.
© dpa/Jörg Carstensen
Update

Nach Schüssen auf SPD-Bürgerbüro: Viel Solidarität mit Karamba Diaby – und rechte Hetze

Nach dem Angriff auf sein Büro in Halle erhält der SPD-Politiker viel Zuspruch. Rechte Hetzer aber feiern die Tat. Auch am Justizzentrum werden Löcher entdeckt.

Nach den Schüssen auf das Bürgerbüro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle will sich der SPD-Politiker nicht einschüchtern lassen. „Ich habe innerhalb eines Tages Tausende von Nachrichten erhalten“, sagte Diaby am Donnerstag dem Tagesspiegel. „Ich bin für jede einzelne Nachricht zutiefst dankbar. Sie alle geben mir und meinem Team Kraft und Mut.“

Der Zuspruch zeige zwei Dinge, sagte der 58 Jahre alte Sozialdemokrat. „Erstens: Die überwältigende Mehrheit der Menschen will eine offene und solidarische Gesellschaft. Zweitens: Wir leben nicht in einem Zeitalter des Zorns, sondern der Solidarität und des Mitgefühls.“

Neben der Solidarität müsse die Politik aber auch konkrete Maßnahmen ergreifen. In einer Rede im Bundestag forderte Diaby am Donnerstag bessere Demokratieförderung im Osten und mehr Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus, vor allem in Schulen. „Wir haben es mit in der Hand, in welche Richtung sich dieses Land bewegt“, sagte er vor den Abgeordneten. „Ich lade alle Fraktionen ein, diese Forderungen zu unterstützen.“

Seitdem am Mittwochmorgen eine Mitarbeiterin Diabys im Schaufenster seines Bürgerbüros im Zentrum von Halle fünf Einschusslöcher entdeckt hat, gehen bei dem SPD-Mann unzählige Anrufe ein – auch von Verwandten aus dem Senegal, die sich nach Diabys Wohlbefinden erkundigten, wie der Vater zweier Kinder erzählt.

Das Bürgerbüro hatte am Donnerstag wieder geöffnet. Auch hier bekundeten viele ihre Solidarität. 50 Bürger kamen vorbei, einer füllte die Einschusslöcher mit Rosen, schrieb Diaby auf Twitter. „Das hat mich heute sehr gerührt. Danke.“

Hinweise auf den oder die Täter gebe es bislang nicht, teilte ein Polizeisprecher am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur mit. „Die Auswertung der Spuren dauert an.“

Auch vier Löcher in Scheiben des Justizzentrums

Am Donnerstagmorgen wurden derweil in der sachsen-anhaltinischen Stadt Spuren eines weiteren Angriffs entdeckt: Am Justizzentrum fanden sich Löcher in mehreren Fenstern. Einem Bericht der „Mitteldeutschen Zeitung“ zufolge handelt es sich um vier Löcher in Scheiben eines Gebäudeteils, in dem die Staatsanwaltschaft untergebracht ist. Es könnte sich um Folgen „mechanischer Gewalt“ handeln, wobei unklar sei, ob Schusswaffen zum Einsatz gekommen seien.

„Wodurch die Schäden entstanden sind, wird derzeit ermittelt“, sagte ein Polizeisprecher. Bislang lägen keine Hinweise auf Täter oder Motive vor. Es werde ein Zusammenhang beider Taten geprüft. Der Staatsschutz hat wegen des Verdachts auf eine politische Motivation auch in diesem Fall die Ermittlungen aufgenommen.

Verschwörungstheoretiker attackiert Diaby

Sicherheitskreise vermuten, den Angriff auf Diabys Büro könnten Rechtsextremisten verübt haben. In der Szene selbst wird die Attacke mit Häme und Verschwörungstheorien kommentiert. Die SPD oder die Antifa hätten die Tat ausgeführt, behauptet Sven Liebich, der lauteste Wortführer des örtlichen Milieus, in einem YouTube-Video. Und Liebich unterstellt Diaby, er kokettiere „mit seinen Morddrohungen“.

Der Rechtsextremist hetze seit Jahren schon „in übelster Weise“, sagen Sicherheitskreise. Außerdem bereite Liebich „den Boden vor, dass andere was machen“.

Der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt bezeichnet Liebich im Jahresbericht 2018 als „Provokateur und Verschwörungstheoretiker“. Liebich hat auch schon mehrmals die SPD und Diaby attackiert. Im Bundestagswahlkampf 2017 beschimpfte er den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz und Diaby in Halle als „Arbeiterverräter“.

Rechter Hass gegen Diaby

Und der Rechtsextremist bekommt bei YouTube Zuspruch von Sympathisanten. In den zahlreichen Kommentaren zu Liebichs Video über den Angriff auf Diabys Büro toben sich, ähnlich wie nach dem Mord an Walter Lübcke, Rassisten aus.

„Ja, Karamba, das kann passieren, wenn man sich in deutsche Politik einschleicht und der deutschen Sprache nicht mächtig ist“, heißt es. Mehrere Rechte sprechen dem 1961 im Senegal geborenen Diaby ab, ein Deutscher zu sein. Ein Rassist schreibt, „wenn einer schon Karamba heißt... Der soll zurück in seinen Busch gehen“. Andere Äußerungen sind noch härter.

Solidarität überwiegt aber

Die Solidarität, die Diaby on- und offline erhält, überwieg jedoch. Am Donnerstag sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem SPD-Politiker im Bundestag persönlich ihre Unterstützung zu.

Karamba Diaby mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und der SPD-Politikerin Yasmin Fahimi im Bundestag.
Karamba Diaby mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und der SPD-Politikerin Yasmin Fahimi im Bundestag.
© dpa/Kay Nietfeld

Am Vortag hatten zahlreiche prominente Sozialdemokraten – wie Außenminister Heiko Maas, SPD-Chefin Saskia Esken oder Generalsekretär Lars Klingbeil – Diaby per Twitter ihre Solidarität zugesichert. Inzwischen macht das Hashtag #TeamDiaby die Runde.

Auch Vertreter anderer Parteien von der Grünen-Ko-Vorsitzenden Annalena Baerbock bis hin zur AfD-Politikerin Beatrix von Storch verurteilten die Tat öffentlich.

Mehrere rechtsextreme Taten in Halle

Die Schüsse auf das SPD-Bürgerbüro reihen sich in eine Abfolge rechtsextremer Taten in Halle ein. Am 9. Oktober 2019, am jüdischen Feiertag Jom Kippur, attackierte ein bewaffneter Rechtsextremist die Synagoge in der Stadt. Bei dem Angriff starben zwei Menschen.

Schüsse auf ein Gotteshaus hatte es in Halle auch im Jahr davor gegeben: Zweimal, im Februar und Juni 2018, wurde die Moschee in Halle-Neustadt angegriffen – vermutlich mit einem Luftgewehr. Im Februar 2018 wurde dabei ein Mann leicht verletzt.

Halle: „Schwerpunkt rechter und rassistischer Gewalt“

„Halle ist eindeutig ein Schwerpunkt rechter und rassistischer Gewalt in Sachsen-Anhalt“, sagt Antje Arndt von der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. „Es ist die Stadt mit den höchsten Angriffszahlen im ganzen Bundesland.“

39 politisch rechts motivierte Gewalttaten hat die Opferberatung für das Jahr 2018 in der Stadt Halle gezählt. Der Großteil davon sind Körperverletzungen. Zum Vergleich: Im 90 Kilometer entfernten Magdeburg – mit rund 236.000 Einwohnern etwas größer als Halle – lag die Zahl der rechten Angriffe deutlich niedriger, bei 24 Fällen.

Gut organisierte rechte Szene in Halle

In Halle gebe es eine gut organisierte rechte Szene, über viele Jahre gewachsene Neo-Nazi-Strukturen, sagt die Beraterin Arndt. Dazu komme ein Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16, nahe der Universität, das die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ vor rund drei Jahren zu einem rechten „Zentrum“ ausgebaut hat.

Doch organisierte Rechte seien nicht das einzige Problem in Halle, gibt Arndt zu bedenken. Das Hauptproblem in der Stadt sei der „breit vorhandene Rassismus“.

„Vor allem in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder an den Haltestellen in der Stadt werden schwarze Menschen oder auch Frauen mit Kopftuch regelmäßig angegriffen. Für sie sind diese Orte nicht sicher.“ Dass Rassismus auch das Motiv hinter den Schüssen auf Diabys Bürgerbüro sei, daran hat Arndt wenig Zweifel – es sei „sehr naheliegend“.

Mehr als 1200 Straftaten gegen Mandats- und Amtsträger

Grundsätzlich ist es für Politiker keine Seltenheit, dass sie Hass ausgesetzt sind, wie die Zahlen zeigen: Mehr als 1200 politische Straftaten gegen Mandats- und Amtsträger registrierte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr. Darunter auch den Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni, mutmaßlich begangen von einem Rechtsextremisten.

„Ich stelle fest, dass die Stimmung rauer geworden ist in den letzten zwei Jahren, dass in den Parlamenten Debatten laufen mit aggressiven Tönen“, sagt Diaby. Abwertende Äußerungen über Minderheiten bereiteten den „Nährboden für Menschen, die Gewalt ausüben wollen.“

Politiker in Sorge

Viele prominente Politiker sind deshalb in Sorge – von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über Familienministerin Franziska Giffey (SPD) bis hin zu Burkhard Jung (SPD), der Oberbürgermeister von Leipzig und Präsident des Deutschen Städtetags.

Wer sich für das Gemeinwohl einsetze, müsse von der Gesellschaft Unterstützung erfahren, forderte Jung kurz vor dem Angriff auf Diabys Büro in dieser Woche. Jungs Aussage war eine Reaktion auf vermehrte Klagen von Lokalpolitikern über Anfeindungen und Bedrohungen.

So hat etwa im niedersächsischen Dorf Estorf der dortige SPD-Bürgermeister Ende Dezember sein Amt niedergelegt – nachdem Hassbotschaften bei ihm eingegangen waren und Unbekannte Hakenkreuze auf sein Auto geschmiert hatten. In Berlin setzten Anfang 2018 Unbekannte das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak in Brand. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt – die Spur führt aber ins rechte Milieu.

Auch Steinmeier thematisiert Hass gegen Politiker

Bundespräsident Steinmeier machte das Thema auch zum Kern seiner Neujahrsansprache vergangene Woche: „Es darf nicht sein, dass Menschen sich von ihrem Amt zurückziehen, weil sie um ihr Leben und um das ihrer Familien fürchten müssen.“

Familienministerin Giffey sagte Anfang der Woche: „Wenn Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker ihre Arbeit nicht mehr machen können, ohne Angst vor Rechtsradikalen zu haben, macht das deutlich, wie stark der Extremismus unsere Demokratie schon heute gefährdet.“

Karamba Diaby sprach sich für eine „Stärkung der politischen Bildung und Medienbildung in Schulen und Jugendeinrichtungen“ aus. „Wir brauchen natürlich auch im Osten besser Strukturen.“ Dazu sei auch ein Demokratiefördergesetz nötig, wie es die SPD seit langem fordert. „Denn: Daueraufgaben gehören dauerhaft gefördert.“ (mit dpa)

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