Rechtsextremismus frei Haus: Warum Nazi-Artikel über Amazon vertrieben werden
Von Reichsbürgerkram bis Andenken an NS-Kriegsverbrecher: Auf Amazon werden auch Extremisten fündig. Der Versandhändler verletzt seine eigenen Regeln.
Zum Beispiel das Blechschild. Amazon hat es in der Kategorie „Küche, Haushalt & Wohnen“ einsortiert. Es zeigt ein Eisernes Kreuz am schwarz-weiß-roten Band, die Inschrift „1939“ und in Großbuchstaben einen bekannten Sinnspruch Adolf Hitlers: „Es kann nur einer siegen, und das sind wir“.
Von Kunden wurde der Artikel bislang durchweg positiv bewertet, gelobt werden hohe Druckqualität und schnelle Lieferung. Weiter unten auf der Seite gibt Amazon seine üblichen Empfehlungen. Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch: ein Werbeschild für den Volkssturm der Wehrmacht und einen wetterfesten Aufkleber mit eindeutiger Botschaft: „Ich bin ein Bürger des Deutschen Reiches und kein Personal der Firma BRD“.
Warum sollte der größte Versandhändler der Welt, das zweitwertvollste Unternehmen überhaupt, Nazi-Fanartikel und Reichsbürger-Propaganda anbieten, auch Werbeartikel für die rechtsextremistische, vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“? Wieso können Kunden hier ungestört Schilder bestellen, die den NS-Kriegsverbrecher Karl Dönitz verherrlichen? Auf einem Mauspad, das einen Wehrmachtssoldaten zeigt, steht die Aufforderung: „So wie wir kämpften, arbeite du für den Sieg!“
Die betreffenden Waren werden nicht von Amazon selbst vertrieben, sondern von Drittanbietern, die Amazon als Plattform nutzen. Die Namen dieser Anbieter klingen harmlos. Tatsächlich werden sie teils von polizeibekannten Aktivisten der rechten Szene geleitet, auch ein Mandatsträger der NPD aus Sachsen ist darunter.
Ein Händler war früher bei "Blood & Honour" aktiv
Hinter gleich mehreren steckt der langjährige rechtsextreme Aktivist Sven Liebich aus Halle an der Saale. Der Verfassungsschutz hielt ihn schon 2002 für eine Führungsfigur der rechten Szene in der Stadt, bezeichnete ihn als „Agitator und Aufstachler“, Liebich war auch beim inzwischen verbotenen Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ aktiv. Nach eigener Aussage stieg er später aus dieser Szene aus. Seine radikalen Ansichten vertritt er jetzt bei den sogenannten „Montagsdemos“ in Halles Innenstadt. Diese Woche erklärte er seinen Anhängern, die Intelligenz der Menschen sei global unterschiedlich verteilt: „In den islamischen Ländern herrscht ein Durchschnitts-IQ von 70, in afrikanischen Ländern geht das runter bis zu 50“, in Deutschland liege er dagegen bei 100.
Über Amazon vertreibt Liebich T-Shirts, Schlüsselanhänger und bedruckte Becher. Szenebekannt sind jedoch vor allem seine Aufkleber. Zum Beispiel das Sammelangebot: „100 verschiedene Sticker aus dem gesamten Sortiment“. Was sich in seinem Sortiment alles findet, verrät Liebich auf seiner eigenen Seite: etwa Motive mit Botschaften wie „Deutschland mach die Beine breit, der Nafri braucht nen Zeitvertreib“ oder „Flüchten Sie bitte weiter. Hier gibt es nichts zu wohnen“. Der Aufkleber „Ficki-Ficki-Mohr“ zeigt einen dunkelhäutigen Mann mit dicken Lippen und heraushängender Zunge. Auf einem anderen sieht man einen dunklen Penis im Mund einer weißen Frau, die Frau blutet im Gesicht, dazu der Spruch: „Der Neger mag das Ficken sehr, doch hüte Dich vor dem Verkehr.“
Liebich sagt, dabei handele es sich um ein Kunstwerk. Auf seiner eigenen Homepage hat er einen Erklärtext veröffentlicht: „50 Millionen kleine Negerbabys werden in Afrika in jedem Jahr geboren. Diese werden über kurz oder lang zu uns drängen. Ficken scheint dort ein größeres Hobby zu sein als Arbeit. Das Hobby geben sie hier an der Grenze natürlich nicht auf. Also wird dem Hobby Raum gegeben, ob Frau will oder nicht…“
Weit verbreitet sind islamophobe Motive. Sven Liebichs Firma vertreibt einen Aufkleber, auf dem sich ein Muslim an einer Ziege vergeht. Das Schild eines anderen Anbieters warnt vor der Einführung von „islamistischen Feiertagen in Deutschland“, etwa „Christi Kümmelfahrt“ oder „Isch-fick-deine-Muttertag“.
Amazon hat klare Regeln - in der Theorie
Laut den Richtlinien, die Amazon selbst aufgestellt hat, sind all diese Artikel eigentlich verboten. Im Regelwerk heißt es etwa, Drittanbieter dürften über ihre Plattform keine Gegenstände verkaufen, die „verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen sowie den Krieg verherrlichen“. Ebenfalls unzulässig: „Medienartikel, Bekleidung, Fahnen oder sonstige Accessoires, die einer rechtsextremen Gruppierung oder Gesinnung zuzuordnen sind oder von rechtsextremen Gruppierungen oder Personen vertrieben werden“.
Wie kann es sein, dass unzählige Produkte gegen diese Richtlinien verstoßen?
Eine Anfrage des Tagesspiegels beantwortet Amazon mit einem lapidaren Satz: „Alle Amazon-Marketplace-Verkäufer müssen sich an unsere Verkaufsbedingungen halten – erlangen wir Kenntnis über einen Verstoß, ergreifen wir entsprechende Maßnahmen, die die Schließung des Verkäufer-Kontos beinhalten können.“ Zur Nachfrage, warum Amazon dann nicht mal Fanartikel der rechtsextremen Identitären Bewegung entfernt, auch nicht nach gezielten Hinweisen, will sich das Unternehmen nicht weiter äußern.
Wenig Interpretationsspielraum gibt es auch bei kriegsverherrlichenden T-Shirts wie dem mit dem Slogan „Bombenwetter“ – dazu die deutsche Weltkriegsmaschine JU87. Oder dem Anstecker mit dem bei Neonazis beliebten Wehrmachtsspruch „Klagt nicht, kämpft“. Oder dem Emailleschild mit der Aufschrift „Wolfsschanze“, Tarnname des einstigen Führerhauptquartiers.
Ein NPD-Gemeinderat verkauft über Amazon
Letzteres wird, zusammen mit vielen anderen Geschmacklosigkeiten, auf Amazon von der Firma „Textilmonster“ vertrieben. Dahinter steht der Rechtsextremist Martin Hering, er sitzt für die NPD im Gemeinderat von Gohrisch, einem Ort in der Sächsischen Schweiz kurz vor der tschechischen Grenze. Hering ist polizeibekannt. Mehrfach gab es bei ihm Hausdurchsuchungen, zuletzt verschafften sich im März dieses Jahres Fahnder des polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums Zugang zu seinen Wohn- und Geschäftsräumen.
Martin Hering stand bereits wiederholt vor Gericht, unter anderem hatte er über sein eigenes Versandhaus die volksverhetzende CD „Adolf Hitler lebt“ der Gruppe „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ vertrieben, auf der auch der Holocaust geleugnet wird. Martin Hering wurde freigesprochen. Der Richter glaubte ihm, dass er das betreffende Lied auf der CD nicht kannte und deshalb keinen Vorsatz zur Volksverhetzung hatte.
Auf Amazon verkauft Herings Unternehmen auch Nachdrucke des berüchtigten „Verwundetenabzeichen 20. Juli 1944“. Damit ehrten die Nazis alle Hitlergetreuen, die beim Stauffenberg-Attentat verletzt oder getötet wurden. Hitler selbst hatte das Abzeichen gestiftet.
Dass Handelsplattformen auch anders reagieren können und für ihre Offenheit Sympathien ernten, zeigte vor anderthalb Jahren die Supermarktkette Real. Kunden war damals aufgefallen, dass über Reals Onlineshop Wehrmachtsartikel angepriesen wurden – etwa der Nachbau eines „originalen Tropenhutes“ des Afrikakorps der Wehrmacht. Auch in diesem Fall kamen die Produkte über Drittanbieter auf die Seite.
Als Real aufmerksam gemacht wurde, griff das Unternehmen durch: Sämtliche Waren wurden aus dem Shop entfernt, dem Anbieter wurde gekündigt. Der Real-Geschäftsführer entschuldigte sich persönlich über Twitter: „Sorry, no bad intentions“. Keine böse Absicht.