Kleinparteien wollen in den Bundestag: „Viel Arbeit für eine Partei, die gegen Arbeit ist“
Pogo, Jesus, Liebe, Garten: 88 Kleinparteien wollen die Zulassung zur Bundestagswahl. Der Wahlausschuss entscheidet. Wer genommen wird, hat einige Vorteile.
Der Anhörungssaal 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Bundestag ist ein schmuckloser Raum. Viel Beton, zwei hölzerne Tischreihen im halbrund, beige Vorhänge, hinter dem Sessel des Vorsitzenden eine Deutschland- und eine Europa-Flagge. Nicht gerade die große Bühne des Parlaments. Doch an diesem Donnerstagvormittag fallen in Saal 3.101 wichtige Entscheidungen für die Bundestagswahl am 26. September.
Der Bundeswahlausschuss ist zur ersten seiner beiden Sitzungen zusammengekommen, um über die Zulassung von 88 Kleinparteien zu entscheiden. Ein Routine-Termin, der vor jeder Bundestagswahl stattfindet und kaum Aufmerksamkeit erhält. Auf der Pressetribüne sitzen nur eine Handvoll Beobachter als Bundeswahlleiter Georg Thiel Punkt neun Uhr die Sitzung eröffnet. „Ich bitte Sie, keine Wahlkampfreden zu halten. Hier geht es um Formalien“, sagt er zu den Vertretern der Kleinparteien.
Die sind aus der ganzen Republik für die Anhörung angereist. Die Gartenpartei hat zwei Vertreter aus Magdeburg entsandt, die Europäische Partei Liebe zwei Mitglieder aus Bergheim, der Gründer der Natürlichen e. V. ist aus Würzburg gekommen. Der Vorsitzende der Anarchistischen Pogo-Partei, Andreas Reiter, ist mit einem Begleiter aus Bayern angereist und erscheint etwas verspätet. Mit Nietenmütze und Lederweste hockt er tätowiert und gepierct auf seinem Drehstuhl, tippt auf sein Handy. Irgendwann setzt er eine Sonnenbrille auf und macht ein Nickerchen.
Dabei steht für die Vertreter der Kleinparteien viel auf dem Spiel. Wer durchkommt, findet sich bundesweit auf den Wahlzetteln. Und selbst wenn der Einzug ins Parlament unwahrscheinlich wirkt, ist die Zulassung attraktiv. Je Stimme bei der Bundestagswahl erhalten die Parteien nach dem Parteiengesetz 1,05 Euro. Zudem bietet der Wahlkampf die Möglichkeit, Botschaften zu verbreiten, aufzufallen und Mitglieder zu werben. Wer zugelassen wird, hat das Recht, kostenlose Wahlspots über die öffentlich-rechtlichen Kanäle zu verbreiten.
Doch zuvor müssen sie erst vor dem Bundeswahlausschuss bestehen. An dem Gremium gab es in der Vergangenheit immer wieder Kritik, da es sich zum Großteil aus Mitgliedern der im Bundestag vertretenen Parteien sowie einigen Richtern zusammensetzt. Die großen Parteien, so der Vorwurf, würden über die Zulassung der Kleinen entscheiden. Tatsächlich versucht der Bundeswahlausschuss an diesem Vormittag nach klaren Kriterien auszuwählen: Höhe der Mitgliederzahl, Art der Öffentlichkeitsarbeit, liegt ein Parteiprogramm vor, wird parteipolitisch gearbeitet und geht der Rechenschaftsbericht regelmäßig und fristgerecht ein?
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Letzteres ist eine neue Bestimmung, die es seit 2016 gibt. Hiernach müssen auch kleine Vereinigungen jährlich einen Rechenschaftsbericht ablegen. Ist er in den vergangenen sechs Jahren nicht fristgerecht bei der Bundestagsverwaltung eingegangen, kann die Partei von der Wahl ausgeschlossen werden.
Die DKP wird ausgeschlossen
Dieses Schicksal ereilt die zweite Partei, die an diesem Tag in Saal 3.101 geprüft wird. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) habe ihre Rechenschaftsberichte zwar abgegeben, doch dies sei „stets“ zu spät erfolgt. Bundeswahlleiter Thiel ist streng: „Fristen sind Fristen.“ Zudem habe man die DKP mehrfach auf die Termine hingewiesen. Bei einer Gegenstimme des Grünen-Mitglieds im Ausschuss wird die Partei, die es seit 1968 gibt, von der Wahl ausgeschlossen. Auf Twitter reagiert der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele verärgert: „Was hier versucht wird, das ist ein kaltes Parteiverbot“, sagt er und kündigt eine Beschwerde an.
Davon unbeeindruckt setzt der Bundeswahlausschuss seine Arbeit fort. Es geht routiniert und straff voran. Die Menschliche Welt wird zugelassen, die Tierschutzallianz auch, die Partei für Gewaltfreiheit aber nicht. Die Partei Europäische Partei Liebe wird nach längerer Beratung zugelassen, obwohl sie nur 53 Mitglieder hat. „Corona-Bonus“, sagt Thiel.
Die Vereinigung Ganzheitliches Recht auf Leben wird nicht zugelassen. Vier Mitglieder würden nicht ausreichen, um ernsthaft auf die politische Willensbildung einwirken zu können, urteilt der Wahlausschuss. Gerhard Olinczyk, der aus Wittenberg angereist ist, ärgert das. „Willkür“ sei die Entscheidung. Das Programm seiner Partei: „Wir wollen den Sturz der politischen, religiösen und kapitalen Elite“, sagte er. Dieses Ziel wolle er nun nicht mehr über den Weg der Institutionen erreichen.
Unterdessen ruft Bundeswahlleiter Georg Thiel Tagesordnungspunkt sechs auf. Der Vertreter der Anarchistischen Pogo-Partei schreckt auf. „Sex? Die meinen uns!“ Sein Begleiter lacht. Von vielen Kleinparteien haben selbst politisch interessierte Beobachter noch nie gehört. Gerade Partei, Das Haus Deutschland, Praktiker Partei, KaiPartei, Jesusparty, die Thüringer Heimatpartei. Doch auch relativ bekannte Parteien bemühen sich um eine Zulassung. Die Partei, Piraten-Partei, Volt oder NPD müssen alle erst Unterlagen einreichen und der Prüfung standhalten.
Der SSW tritt als Minderheitenpartei zum ersten Mal seit 60 Jahren an
Einen Sonderfall stellt der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) dar. Die dänische Minderheitenpartei tritt in Schleswig-Holstein seit vielen Jahren an und sitzt aktuell mit drei Abgeordneten im Landesparlament in Kiel. Um die dänische Minderheit noch besser zu vertreten, will der SSW erstmals seit 60 Jahren an einer Bundestagswahl teilnehmen.
Nach kurzer Beratung erhält der SSW nicht nur die Zulassung als Partei, sondern auch den Status einer Minderheitenpartei. Für sie entfällt die Sperrklausel von fünf Prozent. Einige tausend Stimmen könnten für ein Mandat reichen. SSW-Landesvorsitzende Flemming Meyer reagiert erfreut: „Der SSW tritt zur Bundestagswahl an, um den Minderheiten im Bund ein stärkeres politisches Gewicht zu verleihen.“
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Zuletzt wird an diesem Vormittag über die Zulassung der Anarchistischen Pogo- Partei Deutschlands verhandelt, die Thiel jedoch als „Anarchische Pogo- Partei“ begrüßt. Lautstark wird er korrigiert. Dann erklärt er dem Wahlausschuss, dass die Beteiligungsanzeige nicht im Original eingegangen sei und auch der Rechenschaftsbericht fehle. Andreas Reiter versichert im tiefsten bayerisch, alle Unterlagen zur Post gebracht zu haben. Aber es hilft nichts. Einstimmig wird seine Partei abgelehnt. „Für den Scheiß habe ich nüchtern bleiben müssen“, ruft Reiter erbost und stampft aus dem Saal.
20 von 40 Kleinparteien werden abgelehnt
Dann ist Mittagspause. Von 20 Kleinparteien hat der Bundeswahlausschuss acht nicht anerkannt. Am Nachmittag werden zwölf weitere Nichtzulassungen hinzukommen. Bundeswahlleiter Thiel verteidigt das Verfahren: „Demokratische Legitimationsprozesse sind immer aufwendig, doch durch die Prüfung erhöhen wir die Akzeptanz unseres Wahlsystems.“ Man habe versucht, kleinen Parteien bei der Bürokratie zu helfen und auf Termine hinzuweisen. Im Zweifel habe man pro Kleinparteien entschieden, doch an einige wenige Regeln müsse man sich halten. „Wir dürfen den Wähler nicht überfordern und müssen sehen, dass nur ernsthafte Bewerbungen den Prüfungsprozess überstehen.“
Vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sitzen Andreas Reiter von der Anarchistischen Pogo-Partei und sein Begleiter auf einer Parkbank und trinken Gin Tonic und Bier aus Plastikflaschen. Dass sie abgelehnt wurden, können die beiden immer noch nicht glauben. „Wir haben uns sogar benommen“, sagt Reiter.
Ihn ärgert, dass Kleinstbewegungen oder auch rechte Parteien wie der Dritte Weg zugelassen wurden, seine Partei mit mehr als 8000 Mitgliedern jedoch nicht „Für eine Partei, die gegen Arbeit ist, ist es ganz schön viel Arbeit an der Bundestagswahl teilzunehmen.“ Ganz aufgegeben hat Reiter die Wahl noch nicht. Er will Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.