Berlin-Wahl: Kleinparteien haben wenig Chancen - dafür viele Visionen
"Naturgesetze verschärfen" fordert die Überpartei, Pankower Mietaktivisten wollen Enteignungen im Notfall.
Jörg Lang und Hartmut Bräunlich geht die Puste nicht aus. Seit fast drei Stunden marschieren sie schon durch Prenzlauer Berg – von der Schönhauser Allee über die Weltkulturerbe-Wohnstadt Carl Legien außerhalb des S-Bahnrings bis zu den Neubauten am Mauerpark. Immer wieder bleiben sie vor Häusern und Baustellen stehen, erzählen empört von Mietskandalen, Bausünden und Verdrängung.
Lang und Bräunlich sind Mitbegründer der Mieterpartei, die am 18. September zum ersten Mal bei einer Berlin-Wahl dabei ist – mit einer Liste für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Pankow und mit drei Direktkandidaten für das Abgeordnetenhaus. Die im Februar gegründete Partei setzt sich für einen grundlegenden Richtungswechsel in der Wohnungspolitik ein. „Es kann nicht sein, dass Rentner aus ihren Wohnungen vertrieben werden, Mieten explodieren, Spekulanten Häuser leer stehen lassen und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ähnlich wie Miethaie agieren“, sagt Hartmut Bräunlich, der früher Sprecher der Mauerpark-Allianz war und sich dort kritisch mit den Bauplänen für Hunderte neue Wohnungen auseinandersetzte.
Verantwortlich für die Entwicklung sind für ihn die etablierten Parteien, ignorant und unehrlich seien die. Bausenator Andreas Geisel (SPD) etwa, ergänzt Parteifreund Jörg Lang, „wenn man einen Hype hat, kann man als Stadtentwickler den Investoren doch diktieren, wie sie zu bauen haben.“
Die Lösungsvorschläge der Mieterpartei? Sozial ausgerichtete Wohnungsbaugesellschaften, besserer Bestandsschutz für Altmieter und notfalls auch Enteignung von Leerstand, zählt Lang auf. Dass die Mieterpartei schon in der kommenden Legislaturperiode aktiv etwas verändern kann, bezweifelt er zwar, doch die Träume sind groß. „In Pankow können wir langfristig bis zu zehn Prozent erreichen“, glaubt er und hofft, dass seine Partei wenigstens die Dreiprozenthürde für die BVV nimmt.
Die Überpartei: Viel Spaß und ein bisschen Ernst
Benjamin Richter hingegen hofft sogar auf eine Schlappe. „Wir streben die absolute Minderheit an“, sagt er. Richter, von allen nur Beni genannt, ist Mitgründer der Überpartei, die sich seit 2005 für Bündnisse kleiner Parteien einsetzt. 2011 fusionierte man mit der Bergpartei. Übernächsten Sonntag tritt die Partei nun unter dem Namen Bergpartei, die „ÜberPartei“ oder kurz „B“ mit einer Bezirksliste und einem Direktkandidaten in Friedrichshain-Kreuzberg an.
Das Gespräch mit Richter findet in der Mensa der Humboldt-Universität statt. Hier schlürft er schon den ganzen Tag Kaffee. Überhaupt lässt es der 33-Jährige entspannt angehen. Er lebt in einer Gartenlaube in Frohnau, bezieht Hartz IV, studiert in Teilzeit Philosophie und sieht sich als Teil der großen, vielschichtigen Berliner Subkultur. „Die macht die Stadt eigentlich aus, trotzdem erleben wir nur Vertreibung.“
Auf dem parlamentarischen Weg will die Partei das aber nicht unbedingt ändern. „Wir sind vor allem eine Partei, um am Wahlkampf teilnehmen zu können.“ Dadurch sei es leichter, Demonstrationen anzumelden und überhaupt erst möglich, Wahl-Spots im Fernsehen auszustrahlen und Plakate aufzuhängen.
Vor allem Letzteres betreiben die maximal zwölf Parteimitglieder engagiert. Auf den selbst gebastelten Plakaten stehen Parolen wie „Naturgesetze verschärfen“, „Kaufkraft überleben“ und „Es ist nie zu spät für eine glückliche Pubertät“.
Klingt vielleicht ein bisschen nach Spaßpartei, räumt Benjamin Richter ein, aber es gibt auch ernsthafte Forderungen: Eine Höchstbesitzbeschränkung zum Beispiel, die Abschaffung des Erbes und des Zinseszinses und ein Existenzgeld. „Ziele also, die erst über Generationen zu erreichen sind.“ Dass seine Partei noch nichts erreicht hat, nervt Richter „schon manchmal“. Auf dem konventionellen Weg könne man als Partei aber nichts verändern. „Die Grünen sind da ein abschreckendes Beispiel.“
Menschliche Welt: Mit Yoga zum Seelenfrieden
Sahin Azbak von der Partei „Menschliche Welt“ geht es nicht um links oder rechts, sondern laut ihrer Maxime schlichtweg um „das Wohl und Glücklichsein aller“. Und das geht nach Ansicht des 48-jährigen Familienvaters am besten über Spiritualität. „Yoga hilft einem, einen Zustand des Gleichgewichts zu erreichen“, sagt Azbak. Er selbst meditiert seit 30 Jahren täglich.
Dass ihn manche für etwas schräg halten könnten, stört Azbak nicht: „Als die Grünen in den 1970er Jahren anfingen, wurden sie auch belächelt.“ Gegründet hat Azbak die Partei vor drei Jahren zusammen mit einem Freund, der heute als Mönch in Oberschwaben lebt. Die BVV-Wahlen in Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf sind die ersten Berlin-Wahlen für die Minipartei. Wie rechnet er sich die Chancen aus? „Ich bin realistisch, aber langfristig wollen wir in Parlamente einziehen.“
Überzeugen will die Menschliche Welt mit ganz großen Themen: Natur- und Artenschutz, Friedenspolitik, freie Bildung und wirksamere Gesundheitspolitik – für viele seien das zwar Konsensforderungen, aber umgesetzt würden sie trotzdem nicht. „Es ist ein Scheinargument, dass unser Staat zu wenig Geld hat“, sagt Azbak und fordert, dass das Wohlergehen aller im Mittelpunkt stehe. „Die Idee einer menschlichen Welt ist erreichbar – mit unseren Worten, Gedanken und Taten“, sagt er und lächelt zufrieden.