EU-Politiker sauer auf Impfstoff-Hersteller: „Vertrauen in das Unternehmen ist zutiefst erschüttert“
AstraZeneca kann weniger Impfstoff an die EU liefern. Und die Effektivität soll bei Senioren nur bei acht Prozent liegen. „Falsch“, sagt AstraZeneca.
Die EU verstärkt den Druck auf den Impfstoff-Hersteller Astrazeneca, der vor einigen Tagen eine geringere Lieferung seines Vakzins an die 27 EU-Staaten angekündigt hatte.
Am Montagmittag begann der so genannte EU-Lenkungsausschuss zur Impfstrategie mit einer Befragung von Vertretern des britisch-schwedischen Konzerns. Bei der Schaltkonferenz sind auch Vertreter der 27 EU-Staaten dabei. In erster Linie will die EU-Kommission dabei klären, ob das Unternehmen bislang seinen vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen ist.
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Zudem hat der Corona-Impfstoff von AstraZeneca Medienberichten zufolge eine vergleichsweise geringe Wirksamkeit bei Senioren und dürfte für sie keine Zulassung erhalten. Wie das „Handelsblatt“ am Dienstag unter Berufung auf Kabinettskreise berichtete, zeigt das Mittel bei Über-65-jährigen eine Effektivität von acht Prozent.
Bei „Bild“ hieß es unter Berufung auf Regierungskreise, die Wirksamkeit in dieser Gruppe liege unter zehn Prozent. Die Bundesregierung erwarte, dass der Konzern von der EU-Arzneimittelbehörde EMA daher nur eine Zulassung für Unter-65-jährige erhalten werde. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Schritt Freitag erfolgen wird, erste Lieferungen werden dann ab dem 15. Februar erwartet. Von AstraZeneca gab es zunächst keine Stellungnahme.
AstraZeneca wies Berichte über eine bis auf acht Prozent reduzierte Wirksamkeit bei Senioren zurück. Die Angaben seien „komplett falsch“, erklärte das Unternehmen.
Wie es am Abend nach einer ersten Runde der EU-Schaltkonferenz hieß, habe Astrazeneca kaum neue Informationen über den Ausfall bei den Vakzinen geliefert. "Alle Mitgliedstaaten sind in ihrem Vertrauen in das Unternehmen zutiefst erschüttert", hieß es aus der EU-Kommission.
EU-Kommissarin Kyriakides: EU zahlte für Entwicklung des Impfstoffs
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte am Abend, dass der neue Lieferplan des Unternehmens "nicht akzeptabel" sei. "Die Europäische Union hat die Entwicklung des Impfstoffs vorfinanziert und will die Gegenleistung sehen", sagte Kyriakides.
Zuvor erklärte EU-Ratschef Charles Michel in einem Interview mit dem französischen Sender Europe 1: "Wir wollen dafür sorgen, dass die Pharmaunternehmen die Verträge respektieren, die sie unterzeichnet haben." Ohne ins Detail zu gehen, drohte Michel auch an, dass die EU gegebenfalls "juristische Mittel" gegen das Unternehmen anwenden könne.
Dagegen sagte am Montag ein Sprecher der EU-Kommission, es sei verfrüht, "rechtliche Diskussionen zu führen". Vielmehr gehe es nun darum, eine Lösung für die Lieferungen zu finden.
Telefonat mit Firmenchef Soriot
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen telefonierte am Montag mit Astrazeneca-Chef Pascal Soriot. Dabei habe von der Leyen die Einhaltung der Lieferzusagen gefordert, erklärte anschließend der Kommissionssprecher.
Am Freitag hatte Astrazeneca bei einer Sitzung des EU-Lenkungsausschusses überraschend angekündigt, dass die Impfstoff-Lieferungen an die EU in den ersten drei Monaten dieses Jahres geringer ausfallen werden als geplant. Nach Angaben aus EU-Kreisen will das Unternehmen im ersten Quartal nicht wie vertraglich vorgesehen 80 Millionen Impfdosen an die 27 EU-Staaten liefern, sondern nur 31 Millionen.
Käme es tatsächlich zu einer derart drastischen Kürzung der Lieferungen um 60 Prozent, würde das einen erheblichen Rückschlag für die Impfstrategie in der gesamten Gemeinschaft bedeuten. Vor allem die Staaten in Ost- und Südeuropa setzen auf das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers, das weniger aufwändig gekühlt werden muss als etwa das Vakzin von Biontech/Pfizer, das in der EU bereits verimpft wird.
Mit der Zulassung des Impfstoffs von Astrazeneca für die EU wird in dieser Woche gerechnet; die ersten Lieferungen für die EU werden Mitte Februar erwartet. Der britisch-schwedische Konzern war unter den verschiedenen Impfstoffkandidaten die erste Firma gewesen, mit der die EU während der Verhandlungen im vergangenen Jahr zum Abschluss kam. Einen Antrag auf Zulassung in der EU hat die Firma am 12. Januar gestellt.
Unternehmen erhielt Vorabzahlung von 336 Millionen Euro
Nach Angaben der EU-Kommission sieht der mit dem Pharmahersteller abgeschlossene Vertrag eine Vorproduktion der nötigen Impfdosen vor, so dass diese ohne allzu großen Zeitverlust nach der Zulassung verabreicht werden können. Da der Ablauf des Zulassungsverfahrens aus der Sicht des Unternehmens ein Risiko darstellt, hatte Astrazeneca im Gegenzug von der EU eine Vorabzahlung in Höhe von 336 Millionen Euro erhalten.
Bei der Sitzung des Lenkungsausschusses erwartet die EU von dem Unternehmen nun in erster Linie eine Antwort auf die Frage, was aus der zugesagten Vorproduktion der Impfdosen geworden ist. Aus der EU-Kommission hieß es am Abend, dass das Unternehmen eine Antwort auf die Frage nach dem Stand der Vorproduktion schuldig geblieben sei.
Zuvor hatte das Unternehmen die Lieferschwierigkeiten mit Problemen innerhalb der europäischen Lieferkette begründet. Nach Angaben aus EU-Kreisen beruft sich der Hersteller dabei auf Produktionsschwierigkeiten des Astrazeneca-Partners Novasep in Belgien.
Aus der EU-Kommission hieß es am Montagabend hingegen, dass Astrazeneca über mehrere Standorte in Europa verfüge. Dazu zählten auch zwei Standorte in Großbritannien, an denen es keine Produktionsschwierigkeiten gebe.
Der Hinweis des Unternehmens auf die europäische Lieferkette ist politisch brisant. In Großbritannien, das im vergangenen Februar aus der EU ausgetreten ist, wird das Astrazeneca-Vakzin bereits seit Anfang des Jahres verabreicht. Laut der Firma wird die Versorgung der britischen Bevölkerung durch den Ausfall der EU-Lieferungen nicht beeinträchtigt.
EU-Abgeordneter Liese hält Bevorzugung Großbritanniens für problematisch
Der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) sieht in der unterschiedlichen Behandlung der EU und Großbritanniens durch das Unternehmen ein Problem. Nach seinen Worten stelle es überhaupt kein Problem dar, von Großbritannien aus dem Impfstoff in die EU zu liefern.
Astrazeneca hatte das Vakzin gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt. "Dem Unternehmen kann nicht daran gelegen sein, auf Dauer seinen Ruf im größten Binnenmarkt der Welt zu beschädigen", so Liese.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn forderte derweil eine Pflicht zur Genehmigung von Impfstoff-Exporten auf EU-Ebene. "Wir müssen als EU wissen können, ob und welche Impfstoffe aus der EU ausgeführt werden."
Die EU-Kommission will jene Impfstoff-Hersteller, die für die Lieferungen an die EU-Staaten vorgesehen sind, in den kommenden Tagen zu einer Offenlegung möglicher Exportpläne in Länder außerhalb der Gemeinschaft verpflichten. Mit diesem Schritt soll eine größere Transparenz auf dem derzeit heiß umkämpften Weltmarkt für Vakzine hergestellt werden.