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Pacal Canfin, ein Vertrauter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, leitet den Gesundheitsausschuss des EU-Parlaments.
© AFP

Der Macron-Vertraute Canfin über die Impfstoffbeschaffung: „Ich bin strikt gegen bilaterale Absprachen“

Der Chef des Gesundheitsausschusses im EU-Parlament, Pascal Canfin, kritisiert Deutschlands Sonderbestellung beim Impfstoffhersteller Biontech.

An diesem Donnerstag beraten die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Videogipfel unter anderem darüber, wie die Impfungen gegen das Coronavirus in der Europäischen Union beschleunigt werden können. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im EU-Parlament, der Franzose Pascal Canfin, verlangt derweil von den Impfstoffherstellern und den Mitgliedstaaten mehr Transparenz bei der Offenlegung von Verträgen und den Details der Vakzin-Bestellungen. So lasse sich eine Instrumentalisierung des Themas in den bevorstehenden Wahlkämpfen vermeiden, sagt der Vertraute des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Herr Canfin, Sie haben als erster Europaabgeordneter Zugang zum Vertrag über die Impfstoffbeschaffung mit dem Unternehmen Curevac erhalten. Mittlerweile hat die Kommission den Vertrag online gestellt. Die Durchsicht des Vertrages hat  Sie enttäuscht. Warum?

Ich bin enttäuscht, weil Fragen zur gesetzlichen Haftung zum Teil geschwärzt wurden. Denn für die Öffentlichkeit müsste dargelegt werden, wie die Verantwortlichkeiten zwischen Laboren und Behörden im Fall von Problemen genau gestaltet wurden. Der Kern einer demokratischen Debatte besteht darin, dass bekannt ist, wer für was verantwortlich ist. Es ist normal, dass Geschäftsgeheimnisse nicht an die Öffentlichkeit gehören. Das gilt aber nicht für Fragen der rechtlichen Verantwortung.

Der EU-Kommission wird vorgeworfen, mit dem Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer erst relativ spät - im vergangenen November - zum Abschluss gekommen zu sein. Was antworten Sie den Kritikern?

Man kann von der Kommission nicht gleichzeitig verlangen, als Erste zu unterzeichnen und dabei auch noch einen wasserdichten Vertrag abzuliefern. Pfizer ist in die Verhandlungen mit der Forderung hineingegangen, dass das US-Haftungsrecht zu gelten habe. Das wäre auf eine vollständige Entlastung der Labore bei der juristischen Verantwortung hinausgelaufen. Zu Recht hat die EU-Kommission darauf bestanden, dass die europäische Jurisdiktion zu gelten habe. Es hat einige Zeit in Anspruch genommen, bevor die Meinungsverschiedenheiten gelöst wurden. Das erklärt, warum wir erst spät unterschrieben haben.

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Müssen nicht dennoch aus der Impfstoffbestellung einige Lehren für die Zukunft gezogen werden, insbesondere bei den Entscheidungsabläufen unter den 27 EU-Staaten?

Man muss diese Frage ohne Demagogie angehen und sich einmal vor Augen führen, wo wir vor der Pandemie standen. Die EU-Kommission hatte in dieser Frage keine Machtbefugnisse. Deshalb war es unmöglich, der Kommission zu 100 Prozent das Verhandlungsmandat zu übertragen. Die Hybrid-Lösung mit einer Beteiligung sowohl der Kommission als auch der Mitgliedstaaten war der einzig gangbare Weg. Aber wenn wir den Weg einer rein nationalen Impfstoffbeschaffung eingeschlagen hätten, dann hätte das zu 27 unterschiedlichen Vertragsabsprachen geführt. Ich möchte einmal sehen, wie die Debatte in der Öffentlichkeit verlaufen wäre, wenn eine Dosis des Impfstoffs in Frankreich um 50 Cent teurer gewesen wäre als in Deutschland.

Die EU hat als Anzahlung im vergangenen Jahr für die Impfstoffbeschaffung rund zwei Milliarden Euro bereitgestellt. Die weiteren Zahlungen übernehmen die EU-Staaten je nach Lieferung der Impfstoffe. Können Sie abschätzen, welche Summe voraussichtlich insgesamt für die Impfstoffe durch die EU und ihre Mitgliedstaaten ausgegeben werden wird?

Das lässt sich nur schwer abschätzen. Ich weiß beispielsweise nicht, zu welchem Preis wir Anfang des Monats die zusätzlichen 300 Millionen Dosen bei Biontech/Pfizer bestellt haben. Es ist eine offene Frage, ob die zusätzlichen Dosen teurer oder billiger sind als im Vertrag vom November. Aber klar ist: Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat gerade angesichts der Debatte in Deutschland richtig gehandelt, als sie sich zu einer Nachbestellung entschlossen hat. Ansonsten hätten wir den Zusammenbruch des EU-Rahmens für die Beschaffung riskiert.

Sie verlangen eine genaue Aufstellung über die Impfstoffverteilung in der EU - Monat für Monat und Land für Land. Warum?

Sowohl in Deutschland, wo im September der Bundestag gewählt wird, als auch in Frankreich, wo im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen, kann die Frage schnell zu Schein-Debatten führen. Es gibt einen einfachen Weg, um zu verhindern, dass die Frage der EU-weiten Impfstoffbeschaffung zu einem Wahlkampfthema in einzelnen Ländern wie Deutschland und Frankreich wird: Bis Juni veröffentlichen die EU-Mitgliedstaaten monatlich, auf wie viel Dosen sie pro Monat laut der Bestellung bei den einzelnen Unternehmen Anspruch haben. Diese Informationen liegen bei den Mitgliedstaaten, sie lassen sich nicht aus den von der EU-Kommission abgeschlossenen Verträgen ablesen. 

Deutschland hat einen zusätzlichen Vertrag mit Biontech über die Lieferung von 30 Millionen Dosen abgeschlossen. Was halten Sie davon?

Ich habe keinen Vertrag gesehen, aus dem dies hervorgeht. Ich bin strikt gegen bilaterale Absprachen außerhalb des EU-Rahmens. Denn in den Verträgen mit der EU ist eindeutig festgehalten, dass die Lieferung von Dosen nach bilateralen Absprachen erst erfolgen kann, wenn die europäische Liste abgearbeitet ist. Wenn man davon ausgeht, dass es bald zu einer Zulassung des Impfstoffs von AstraZeneca kommt, dann dürfte der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung in der EU während dieses Jahres geimpft werden können. Damit wäre also auch für Deutschland kein zusätzlicher medizinischer Nutzen verbunden, denn die fraglichen Dosen aus bilateralen Absprachen würden sehr wahrscheinlich nicht vor dem Jahr 2022 geliefert.

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