zum Hauptinhalt
Seit der iranischen Revolution vor 40 Jahren setzt die Führung in Teheran (hier Revolutionsführer Ali Chamenei) auf Geiseldiplomatie.
© Khamenei Website/Reuters

Vier Deutsch-Iraner als politische Gefangene im Iran: Verschleppte Ausländer sind das Faustpfand der Mullahs

Der Iran nimmt immer wieder Ausländer in Geiselhaft – auch Deutsche. Die Gefangenen dienen Teheran als politisches Druckmittel. Mit Erfolg.

Nach zwei Jahren Haft im Iran ist Kylie Moore-Gilbert wieder in ihre Heimat Australien zurückgekehrt. Die 33-jährige britisch-australische Akademikerin war am Donnerstag im Austausch gegen drei iranische Agenten freigelassen worden.

Die Freude darüber ist aber nicht ungetrübt. Denn mit ihrem Fall kann Teherans Geisel-Diplomatie einen neuen Erfolg feiern. Experten befürchten, dass deshalb bald weitere Ausländer im Iran festgenommen werden könnten.

„Die meisten derartiger Gefangennahmen sind nichts anderes als Geiselnahmen“, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Es passe zwar auf den ersten Blick nicht zum generellen Verhalten von Staaten, sich der Methoden des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität zu bedienen.

„Doch die Iraner nutzen dieses politische Druckmittel schon seit der Geiselnahme in der Teheraner US-Botschaft vor 40 Jahren.“ Es gebe Dutzende Fälle, die diese Taktik belegten. „Oft geht es der Führung in Teheran darum im Ausland verurteilte iranische Terroristen freizubekommen. Dafür braucht man Faustpfände.“

Im Fall von Moore-Gilbert ging die Rechnung auf. Die Nahost-Expertin der Universität Melbourne wurde 2018 nach einer Konferenz in der heiligen Stadt Qom festgenommen; sie soll von der Revolutionsgarde als Opfer ausgesucht worden sein, weil ihr Lebensgefährte aus Israel kommt. Ein Gericht verurteilte sie zu zehn Jahren Haft wegen Spionage für den jüdischen Staat. Moore-Gilbert und die australischen Behörden wiesen den Vorwurf zurück.

Drei iranische Agenten sind in Thailand freigekommen

In monatelangen Geheimgesprächen einigten sich Australien und der Iran schließlich auf einen Deal, bei dem Moore-Gilbert gegen drei iranische Agenten in Thailand ausgetauscht wurde. Das Trio saß seit 2012 in Haft, weil es einen Anschlag auf einen israelischen Diplomaten geplant haben soll.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wie viele Ausländer im Iran aus politischen Gründen festgehalten werden, ist nicht bekannt. Aber dass sich unter ihnen vier Deutsch-Iraner befinden, weiß man inzwischen. Eine von ihnen ist Nahid Taghavi. Sie befindet sich seit mehr als einem Monat in Haft – isoliert, ohne Besuch oder Kontakt nach draußen.

Von einem Tag auf den anderen wurde die Architektin ihrer Tochter zufolge von Revolutionsgardisten ins berüchtigte Evin-Gefängnis am Rand von Teheran verschleppt. Dort werden vor allem politische Gefangene eingesperrt. Der Iran wirft Taghavi vor, ein „Sicherheitsrisiko“ zu sein.

Soll Deutschland wegen eines Terrorprozesses unter Druck gesetzt werden?

Die 66-Jährige lebt seit 1983 in Köln. Die Architektin pendelt zwischen Deutschland und dem Iran. Warum sie gerade jetzt verschleppt wurde, ist unklar. Aber Beobachter vermuten einen Zusammenhang mit einem Terrorprozess in Belgien.

Dort muss sich ein iranischer Diplomat vor Gericht verantworten. Er soll Drahtzieher eines vereitelten Anschlags auf eine Großkundgebung von Exiliranern sein und war nach seiner Festnahme 2018 von Deutschland ausgeliefert worden. Soll mit Taghavis Inhaftierung Druck auf Deutschland ausgeübt werden, damit es im Sinne des Irans Einfluss auf den belgischen Gerichtsprozess nimmt?

Belege dafür gibt es bisher nicht. Aber klar ist, dass Irans Geisel-Diplomatie inzwischen so sehr zum Teil seiner Außenpolitik geworden, dass Offizielle ganz offen über die Praxis sprechen.

„Lasst uns einen Austausch machen“, schlug Außenminister Dschawad Sarif im vergangenen Jahr den USA vor; mindestens drei US-Bürger sitzen derzeit in iranischer Haft. Selbst unter dem Hardliner Präsident Donald Trump haben beide Länder mehrmals Gefangene ausgetauscht.

Kylie Moore-Gilbert wurde nach 800 Tagen aus iranischer Haft entlassen, im Austausch gegen drei Terroristen.
Kylie Moore-Gilbert wurde nach 800 Tagen aus iranischer Haft entlassen, im Austausch gegen drei Terroristen.
© Iribnews/Reuters

Amerikaner und Iraner haben Übung in diesem heiklen Geschäft. Im Revolutionsjahr 1979 stürmten Studenten die US-Botschaft in Teheran und nahmen das Personal als Geiseln. Sie kamen erst im Januar 1981 frei, wenige Minuten nach der Amtseinführung des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan.

Die erzielte Einigung verpflichtete Washington, iranische Guthaben wieder freizugeben. Wenige Jahre später schickte die Reagan-Regierung über Israel moderne Waffen in den Iran, um die Freilassung amerikanischer Geiseln im Libanon zu erreichen.

Das Mullah-Regime setzt darüber hinaus alles daran, die iranische Opposition weltweit zu bekämpfen. „Monarchisten, Liberale, Linke und sonstige Gegner werden von den Machthabern in Teheran sehr ernst genommen“, sagt Experte Steinberg. So ernst, „dass Vertreter der Opposition immer wieder auch im Ausland ermordet werden“. Oder verschleppt wie Jamshid Sharmahd.

Auf einer Dienstreise verschleppt

Der Deutsch-Iraner mit Wohnsitz in Kalifornien ist nach Angaben seiner Familie Ende Juli auf einer Geschäftsreise in Dubai gekidnappt und in den Iran gebracht worden. Kurze Zeit später gab Teheran zu, Sharmahd in einer „komplexen Operation“ gefangen genommen zu haben.

Das Geheimdienstministerium veröffentlichte ein Foto des 67-Jährigen mit verbundenen Augen. Die Führung in Teheran wirft Sharmahd vor, Drahtzieher eines Anschlags auf eine Moschee zu sein. 2008 sollen dabei 14 Menschen ums Leben gekommen sein. Im staatlichen Fernsehen belastete er sich selbst mit den Worten: „Sie brauchten Sprengstoff, und wir besorgten ihn.“

Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd wurde in Dubai von iranischen Agenten gekidnappt.
Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd wurde in Dubai von iranischen Agenten gekidnappt.
© Privat

Doch seine Angehörigen sind sich sicher, dass das Geständnis erzwungen wurde. Wie es dem Verschleppten geht, dem die Todesstrafe droht, wissen sie nicht. Ob Deutschland ihm helfen kann, ist auch fraglich. Iran erkennt doppelte Staatsbürgerschaften nicht an und verweigert deshalb diplomatischen Vertretern den Zugang.

„Ich erwarte, dass Deutschland meinen Vater aus dem Gefängnis holt“

Dennoch setzt Sharmahds Tochter Gazelle auf die Bundesregierung. Dem „Spiegel“ sagte sie jüngst: „Ich erwarte, dass Deutschland meinen Vater aus dem Gefängnis holt.“

Das sieht Omid Nouripour ähnlich. „Die Bundesregierung muss sich entschlossen für die Freilassung der Deutschen im Iran einsetzen“, fordert der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Es ist offenkundig, dass die Bundesbürger als Geisel missbraucht werden, damit das Regime seine Leute in Europa freipressen kann.“

Zur Startseite