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Demonstrativ trat Luisa Ortega Diaz Ende Juli mit einer Verfassung in der Hand auf.
© Reuters
Update

Generalstaatsanwältin Ortega: Venezuelas Gewissen soll vor Gericht

Die geschasste Generalstaatsanwältin ist der größte Gegner des Präsidenten. Nun wird ihr die "Anordnung von gravierendem Fehlverhalten" vorgeworfen.

Wie es Venezuelas Regime mit Andersdenkenden hält, hat Luisa Ortega Diaz lange geleugnet – und dann am eigenen Leib erfahren. Jahrelang führte die Generalstaatsanwältin ein bequemes Leben im Windschatten der sozialistischen Regierung, fällte Entscheidungen in ihrem Sinne und legitimierte die Unterdrückung von Kritikern. Auserwählt wurde sie vom verstorbenen Staatschef Hugo Chavez, weil sie als linke Verteidigerin der Menschenrechte galt und 1989 die brutale Niederschlagung der Proteste durch die Sicherheitskräfte verurteilt hatte.

Doch an dem Tag im April, als sie verkündete, die Übernahme der gesetzgebenden Funktion durch das Oberste Gericht breche die Verfassung, wurde sie in den Augen der Herrschenden von der Heldin zur Staatsfeindin. Zuletzt versuchte sie, die von Präsident Nicolas Maduro eingesetzte Verfassungsgebende Versammlung (ANC) zu stoppen; sie sieht darin einen Verstoß gegen gegen das Grundgesetz. Die ANC, die am Samstag ihre Arbeit aufnahm, entließ Ortega prompt.

Die 59-Jährige darf nicht ausreisen

Anklagen gegen Oppositionelle landeten seit April vor Militärgerichten statt auf ihrem Schreibtisch. "Verrückte, Nutte, Faschistin, Verräterin", wird die Frau seitdem beschimpft. Die 59-Jährige darf nicht ausreisen, ihre Bankkonten sind eingefroren. Sie und ihre Familie würden vom Geheimdienst beschattet, schilderte Ortega bei einer ihrer Pressekonferenzen, die jedes Mal die Alarmglocken im Regierungslager schrillen ließen.

Die sachlich und beherrscht auftretende Juristin war brandgefährlich für die Machtgelüste der Regierungsclique. Nur die Generalstaatsanwaltschaft kann laut Verfassung Amtsenthebungsverfahren gegen die übrigen Staatsgewalten einleiten – von Richtern bis hin zum Präsidenten. Drei Prozesse hat sie seit April angestrengt: Einen zur Annullierung der Verfassungsgebenden Versammlung und zwei zur Amtsenthebung von 40 Richtern des Obersten Gerichtshofs, die im Handstreich ernannt worden waren oder Rechtsbruch begangen hatten. „Diese Frau kann einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen“, warnte daraufhin der Vizepräsident der Sozialistischen Einheitspartei (PSUV), Pedro Carreno, der sie für verrückt erklärte.

Die bürgerliche Opposition beäugte sie anfangs skeptisch

Ihr Aufbegehren – ein nervöser Auftritt mit der blauen Verfassung in der Hand – war ein Akt der Zivilcourage. Unklar ist, was die sportliche Frau mit dem blondgefärbtem Pagenschnitt zum Bruch mit Maduro veranlasst hat. Aber sie wusste wohl, worauf sie sich einließ inmitten des erbarmungslosen Machtkampfs in einem so polarisierten Land wie Venezuela. Die bürgerliche Opposition beäugte die linke Strafrechtsprofessorin anfangs mit Argwohn. Immerhin trug sie die Verantwortung für die Verurteilung von Oppositionsführer Leopoldo Lopez – die sie bis heute trotz gegenteiliger Auffassung von Menschenrechtsorganisationen als „transparent und rechtsstaatlich“ rechtfertigt. Und noch immer findet sie bewundernde Worte für Chavez, dessen Erbe Maduro in ihren Augen verraten und verspielt hat.

Luisa Ortega Diaz in der Hauptstadt Caracas nach ihrer Entlassung aus dem Amt.
Luisa Ortega Diaz in der Hauptstadt Caracas nach ihrer Entlassung aus dem Amt.
© Ueslei Marcelino/Reuters

Doch bald schon dämmerte der Opposition, welches Juwel ihr in den Schoß gefallen war. Ortega, die kein Blatt vor den Mund nimmt und von ihren Mitarbeitern sowie linken Dissidenten unterstützt wird, genießt Prestige und könnte das Regierungslager auseinander brechen lassen. „Der Staat ist in Auflösung begriffen, jegliche Kritik soll unterdrückt werden“, kritisierte sie Präsident Maduro. Bis vor kurzem wusste sie, dass sie sich auf die Rückendeckung des Parlaments, in dem die Opposition die Mehrheit hatte, verlassen konnte. „Wir werden ihre Absetzung nicht im Traum absegnen“, sagte Parlamentspräsident Freddy Guevara.

Neue Lage durch Verfassungsgebende Versammlung

Doch durch die ANC hat sich die Lage komplett geändert. Ortega soll nun der Prozess gemacht werden. Der Maduro-treue Oberste Gerichtshof teilte mit, dass Ortega die "Anordnung von gravierendem Fehlverhalten" vorgeworfen wird.

Ortega rief das Volk zum Widerstand gegen Maduro auf. "Ich stelle fest, dass in Venezuela ein Putsch gegen die Verfassung in vollem Gange ist", teilte sie am Samstagabend in Caracas mit. Sie fordere das Volk auf, "gegen diese totalitäre Form des Regierens" zu opponieren. Wenn die Regierung so schon mit der unabhängigen Justiz umgehe, in welcher Unsicherheit lebten dann die venezolanischen Bürger. Die Regierung werde sich vor der Welt für die "Zerstörung der Demokratie" verantworten müssen. "Ich werde weiter kämpfen für die Venezolaner, für ihre Freiheiten und ihre Rechte, bis zum letzten Atemzug." (mit dpa)

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