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Protest gegen die verfassungsgebende Versammlung in Venezuela.
© AFP/Javier Soriano

Venezuela: Es droht die Maduro-Diktatur

Venezuelas Sozialisten haben mit der Abstimmung über eine verfassunggebende Versammlung Fakten geschaffen. Für die Demokratie ist das der Todesstoß.

Sie sind alle wieder vereint: Ex-Außenministerin Delcy Rodriguez, Ex-Parlamentspräsident Diosdado Cabello und die First Lady Cilia Flores. Wenn Venezuelas neue Volksvertretung in Kürze zusammentritt, dann sitzt die sozialistische Prominenz in der ersten Reihe, obwohl eigentlich Indigene, Campesinos und Arbeiter im Mittelpunkt der Versammlung stehen sollten. Seit einem blutigen Wahlsonntag ist die verfassungsgebende Versammlung (ANC) in Venezuela Realität. Und mit ihr ein neues politisches Szenario.

Zwei Wahrheiten

Damit gibt es nun ein zweites Parlament in dem tief zerstrittenen Land. Es gibt die eigentliche Volksvertretung, die Nationalversammlung, bei deren vergangener Wahl im Dezember 2015 die überwiegende Mehrheit von fast 14,5 Millionen Venezolanern der bürgerlich-konservativen Mehrheit den Auftrag erteilte, das Land zu regieren und den in eigenständigen Wahlen ermittelten Präsidenten zu kontrollieren. Doch Nicolas Maduro dachte nicht daran, das Wählervotum und die Niederlage zu akzeptieren. Er regiert seitdem mit Sonderdekreten und Ausnahmezustand. Und nun gibt es auch noch die verfassungsgebende Versammlung, die von offiziell gerade einmal 8,1 Millionen Menschen gewählt wurde. Doch selbst an dieser offiziellen Zahl, die gerade mal 41,5 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht, gibt es erhebliche Zweifel.

„Ein Wunder. Wie Jesus einst das Brot vermehrte, vermehrten sich am Sonntag die Stimmen“, spottete Oppositionspolitiker Ramus Allup angesichts der vielen Bilder von verwaisten Wahllokalen. Die Opposition zählte nur 2,4 Millionen Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben sollen. Wieder einmal klaffen riesige Lücken zwischen den beiden Wahrheiten. Wieder einmal scheint der Graben unüberbrückbar groß. Die Macht aber bleibt wie stets in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten in der Hand der Sozialisten, mag das Wahlvolk auch anders oder gar nicht abstimmen.

Mehr als 100 Tote seit April

Die politische Realität ist für die Opposition bitter: Künftig haben trotz aller Proteste aus dem In- und Ausland, von Menschenrechtsorganisationen und der katholischen Kirche exakt 545 überwiegend regierungsnahe Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung das Recht, Institutionen aufzulösen und die gesamte Machtarchitektur im Sinne Maduros neu zu ordnen. Zuvor war es in Venezuela wieder einmal zu Kampfszenen gekommen. Wie viele Menschen im Zuge von Protesten und Übergriffen ums Leben gekommen sind, ist unklar. Die NGO Foro Penal spricht von mindestens 13, die regierungskritische Tageszeitung „El Nacional“ zählte 16 Tote innerhalb von 24 Stunden. Angesichts der alltäglichen Gewalt im unter Maduro zum gefährlichsten Land Südamerikas mutierten Land ist das fast schon Routine. Seit Anfang April sind es weit über 100 Tote. Unter den Opfern des Wochenendes sind auch Funktionsträger und Kandidaten beider politischer Lager. Ein Vorgeschmack auf das, was dem Land in Zukunft bevorstehen kann.

Harte Fronten. Sozialisten und Konservative, Präsident und Opposition stehen sich in Venezuela unversöhnlich und gewalttätig gegenüber.
Harte Fronten. Sozialisten und Konservative, Präsident und Opposition stehen sich in Venezuela unversöhnlich und gewalttätig gegenüber.
© Carlos Garcia Rawlins, Reuters

Die Reaktionen aus dem Ausland sind kühl und zwiegespalten. Kuba, Nicaragua und Bolivien, treue Verbündete Venezuelas, erkannten das Ergebnis an. Die USA, Kolumbien, Mexiko, Brasilien, Peru und Panama verweigerten dagegen dem ANC die Anerkennung. Die US-Regierung verschärfte ihren Kurs und verhängte am Montag Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela. Mögliche Vermögen von Maduro in den USA würden eingefroren und US-Bürgern alle Geschäfte mit ihm verboten, teilte das Finanzministerium laut der Nachrichtenagentur dpa in Washington mit. Es ist jedoch zu befürchten, dass unter der gesamten Konfrontation wieder einmal der Bürger mehr leiden wird als die politische Führung. Und Maduro seinen publikumswirksamen Kalten Krieg gegen den „Imperator“ Donald Trump bekommt.

Flucht nach Kolumbien

Die Krise in Venezuela weitet sich auch auf die Nachbarländer aus. Die Situation in Kolumbien ist dramatisch. Seit Tagen strömen Zehntausende venezolanische Flüchtlinge über die Grenze und suchen Schutz und Lebensmittel. In einem ersten Schritt gewährte Bogota den Nachbarn Asyl, damit zumindest erst einmal der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge rechtlich geklärt ist. Aufhalten kann Kolumbien die Flüchtlinge ohnehin nicht, dafür ist die Grenze zu lang und zu unübersichtlich.

Für Bogota ist die Entwicklung dennoch gefährlich, denn die Flüchtlingswelle kann das Land destabilisieren. Kolumbien steckt mitten in einem fragilen Friedensprozess. Vor allem die rechtskonservative Opposition um Ex-Präsident Alvaro Uribe will am liebsten in Venezuela eingreifen. Und die linksgerichtete Guerilla-Organisation Farc, die gerade erst ihre Waffen abgegeben hat, sympathisiert offen mit Maduros Regierung. Ein Nebenkriegsschauplatz, der viel Zündstoff in sich trägt.

Derweil macht Maduro der Opposition mal wieder ein Gesprächsangebot. Die ANC biete den Raum für einen Dialog und Gespräche und macht damit deutlich, wie er die neue Machtarchitektur deutet: Nicht die von der Opposition dominierte Volksvertretung ist der Platz für Debatten, sondern die von den Sozialisten beherrschte ANC. „Man muss die Teile der Opposition isolieren, die sich einem Dialog verweigern“, fordert bereits Vize-Präsident El Aissami. Gewünscht sind nur noch Gesprächspartner, die die neuen Bedingungen auch akzeptieren. (mit dpa)

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