Europa-Parteitag in Bonn: Venezuela-Solidaritätsaktion entzweit die Linke
Wie viel Verständnis hat die Linke für die diktatorische Maduro-Regierung in Venezuela? Nach einer Aktion auf dem Bonner Parteitag gibt es Ärger.
Für den sächsischen Linken-Politiker Rico Gebhardt, der am Samstagnachmittag auf dem Linken-Europaparteitag in Bonn die Tagungsleitung hatte, kam die Sache ziemlich überraschend. Kurz nach der Mittagspause war ihm von der Parteitagsregie bedeutet worden, dass gleich "eine Aktion" stattfinde. Die sah dann so aus: Rund zwei Dutzend Genossen, unter anderem die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Heike Hänsel sowie die Bundestagsabgeordneten Diether Dehm und Alexander Neu, betraten die Bühne, mit Venezuela-Fahne und Transparenten. Darauf unter anderem die Forderung: "Hände weg von Venezuela - vorwärts zum Sozialismus".
Hänsel forderte in einer kurzen Ansprache die Bundesregierung auf, die Anerkennung des selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó zurückzunehmen. Sie verurteilt die Einmischung der USA, in ihren Worten: "US-Putschversuch". Über Präsident Nicolás Maduro, der zuletzt Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung mit Gewalt stoppen ließ und so den Konflikt mit der Opposition weiter anfachte, verlor sie kein kritisches Wort. In Sprechchören skandierten die Aktivisten: "Hoch die internationale Solidarität." Maduro ist seit 2013 Präsident, brutal sichert er seine Macht. Laut Amnesty International "bedroht, inhaftiert und ermordet" die Regierung von Maduro Oppositionelle.
"Krasse Aktion", sagt der Tagungsleiter
"Das war schon eine krasse Aktion", sagt Gebhardt am Montag über das Spektakel zwei Tage zuvor auf der Bühne im Bonner World Conference Center. Er ist nicht begeistert über die Störung eines ansonsten relativ friedlichen Parteitags. "Ich hatte keine Ahnung, was auf den Plakaten steht. Was ich verhindern konnte, war, dass der Antrag zu Venezuela vom Parteitag behandelt wird." Mit Parteichefin Katja Kipping jedenfalls war der Protest nicht abgesprochen. "Genehmigt hat sie das mit Sicherheit nicht", heißt es aus Parteikreisen.
Im Gespräch mit der "Welt" widersprach Hänsel dem Vorwurf, dass sie und ihre Genossen unabgesprochen gehandelt hätten. "Die Aktion war beim zu dem Zeitpunkt verantwortlichen Tagungspräsidium angemeldet, wir haben die Bühne nicht gekapert." Vorstandsmitglied Thomas Nord widerspricht: "Das war eine zielgerichtete Provokation. Ausgerichtet auf die Absicht dass jemand etwas unternimmt, damit man sich als Opfer inszenieren kann und als Märtyrer noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Pervers aber wahr."
Die Vorsitzende Kipping aber war ebenso überrascht wie andere Parteitagsteilnehmer, die noch während des Parteitags und auch danach ihren Unmut äußerten. "Ich finde die Politik von Trump, Bolsonaro und Merkel gegenüber Venezuela falsch", twitterte der Außenpolitiker Stefan Liebich. "Aber ich verstehe auch die Proteste gegen Maduro sehr gut." Caren Lay, Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion, erklärte, sie schließe sich der Kritik von Liebich an. "Nicht alle sind mit dieser undifferenzierten und ungeplanten Aktion auf dem Linken-Bundesparteitag glücklich."
Thüringens Staatskanzlei-Chef Benjamin-Immanuel Hoff gab auf Twitter zu Protokoll: "Nein, @HeikeHaensel, es war bei weitem nicht DER #linkebpt, der Maduro unkritisch abfeierte wie du suggerierst. Du weißt, wie viele Delegierte gegen eine US-Intervention sind aber meinen: Die Maduro-Regierung hat in jeder Hinsicht abgewirtschaftet." Er fügte das Hashtag hinzu: "#NichtmeindemokratSozialismus". Hänsel und andere würden für sich, aber nicht für die Linkspartei und die Delegierten des Bundesparteitags sprechen. Hoff zitierte aus einer Bewertung der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Venezuela: "Regierung und Opposition (haben) im Kampf um die Macht spätestens ab 2015 den Rechtsstaat, die Institutionen und den Rahmen des Zusammenlebens zerstört. (...) Parallelstrukturen geschaffen und die Verfassung verletzt."
Es gab einen Antrag im Vorstand - richtig diskutiert wurde er nicht
Noch im Januar hatte die Linksfraktion versucht, Differenzen in der Bewertung der Lage in Venezuela möglichst beizulegen. Man müsse Präsident Maduro und der venezolanischen Regierung angesichts der schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise des Landes und der fragwürdigen dauerhaften Einsetzung einer Verfassunggebenden Versammlung "nicht kritiklos begegnen", gab damals auch Vize-Fraktionschefin Hänsel zu.
Inzwischen treten die Meinungsverschiedenheiten in der Partei wieder deutlich zutage. Hänsel verbreitete auf Twitter einen angeblichen Antrag des Parteivorstandes zu Venezuela, Nummer "G.2.neu/G.2.1." Laut ihm verurteilt Die Linke "die imperialistische Einmischung in die Länder Lateinamerikas, wie sie gegenwärtig in Venezuela insbesondere durch die USA, aber auch durch Staaten der EU erfolgt". Auch in diesem Antrag findet sich kein kritisches Wort über Maduro und sein Regime.
Zur Bedeutung des Antrags "G.2.neu/G.2.1." für die Positionierung der Linken in der Lateinamerika-Politik gibt es unterschiedliche Darstellungen. Tatsächlich lag der Antrag dem Parteivorstand, der sich am Donnerstag in Bonn vor dem Europa-Parteitag traf, als Tischvorlage vor. Es sei jedoch nur "eine Rumpfsitzung" des Vorstands gewesen, hieß es aus Parteikreisen - eine ganze Reihe von Vorstandsmitgliedern, unter anderem Kipping, konnten wegen der in Berlin noch andauernden Bundestags-Beratungen nicht teilnehmen. Der Antrag habe in dieser Runde "nicht substanziell diskutiert werden" können, erläutern Spitzen-Genossen. Am Freitag sei dann schnell klar geworden, dass es auf dem Parteitag "nicht zu einer Behandlung der sonstigen Anträge kommt", sagt ein Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstandes: "Sonst hätte es aus den Reihen des Parteivorstandes noch Veränderungen am Entwurf gegeben."
In der Bundesregierung gab es Erschrecken über die Debatte in der Linken. Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, kritisierte Linken-Fraktionsvize Hänsel auf Twitter: "Ihr habt nichts gelernt!!! In #Venezuela führen ein mit Betrug an die Macht gekommener Präsident Maduro & seine Clique von korrupten Hofschranzen & Militärs Krieg gegen das eigene Volk. „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!“ In Venezuela wird es mit Füßen getreten. Schande!"