Medienberichte zu Nord Stream 2: USA geben offenbar grünes Licht für umstrittene Ostsee-Pipeline
Seit Jahren belastet der Streit um Nord Stream 2 das transatlantische Verhältnis. Nun soll es einen Deal geben – der schon vorab auf Kritik stößt.
Im deutsch-amerikanischen Streit um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 gibt es offenbar eine Lösung. Wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Regierungsvertreter in Berlin und Washington am Dienstagabend berichtete, gibt die US-Regierung ihren Widerstand gegen die umstrittene Gasleitung auf, durch die die USA eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen befürchten.
Die beiden Länder sollen sich bei ihren Verhandlungen auf vier Punkte geeinigt haben, der Kompromiss könnte bereits an diesem Mittwoch verkündet werden, hieß es. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte am Montagabend als erste über die mögliche Verkündung einer Einigung „in den kommenden Tagen“ berichtet.
Der Kompromiss soll vier Punkte umfassen
Nach Angaben der Zeitung soll Deutschland zugesichert haben, der Ukraine bei Energie-Projekten und diplomatisch zur Seite zu stehen. Deutschland und die USA würden 50 Millionen Dollar in erneuerbare Energien in der Ukraine investieren. Deutschland werde außerdem Energiegespräche in der „Drei-Meere-Initiative“ unterstützen, einem Bündnis von zwölf ost- und mitteleuropäischen Staaten.
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Außerdem soll Deutschland garantieren, dass die Ukraine auch weiterhin rund drei Milliarden Dollar an jährlichen Transitgebühren von Russland erhält, wie es in der bisherigen Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew vorgesehen ist, die noch bis 2024 gilt. Wie genau diese Zahlungen indes garantiert werden sollen, blieb zunächst offen.
Washington behält sich Sanktionen vor
Die Einigung würde bedeuten, dass die Regierung von US-Präsident Joe Biden ihren Kurs in dem seit zwei Jahren schwelenden Konflikt ändert, der die bilateralen Beziehungen belastet. Washington behält sich laut dem „Wall Street Journal“ allerdings vor, Sanktionen zu verhängen, falls Russland sich erpresserisch verhält. Berlin, so hieß es, würde dagegen dann nichts unternehmen.
Am Nachmittag (Ortszeit) hatte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, noch erklärt: „Wir haben noch keine endgültigen Details zu verkünden, aber ich denke, ich kann bald mehr sagen.“ Die Deutschen hätten „nützliche Vorschläge“ gemacht, sagte er mit Blick auf den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel bei US-Präsident Joe Biden in der vergangenen Woche im Weißen Haus.
Merkel hatte da erneut betont, die Ukraine müsse Transitland bleiben, auch nach einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Ein Durchbruch im Streit mit den USA war da noch nicht erreicht worden.
Auch die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte am Dienstag, dass es „bald“ Neues zu Nord Stream 2 von Seiten des State Departments „und anderen“ geben werde. Man sei dem gemeinsamen Ziel nähergekommen, „Russland davon abzuhalten, Energieströme als Waffen einzusetzen“. Mehr wollte Psaki dazu am Dienstag beim Presse-Briefing noch nicht sagen.
US-Präsident Biden ist ein Gegner von Nord Stream 2
Biden sieht das Projekt seit Jahren kritisch. Nichtsdestotrotz hatte Biden im Mai erklärt, auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 und ihren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig erst einmal zu verzichten, um einen Neustart der transatlantischen Beziehungen nach vier angespannten Jahren unter seinem Vorgänger Donald Trump zu ermöglichen. Zuvor waren die Arbeiten an der Pipeline wegen der US-Sanktionen gegen eine Schweizer Firma unterbrochen worden, deren Schiffe die Röhren verlegen.
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Im August läuft eine Frist ab, innerhalb derer Biden dem US-Kongress mitteilen muss, ob er bei dieser Haltung bleibt. Im Kongress gibt es großen Widerstand gegen die Pipeline, auch in Bidens eigener Partei. Der Präsident versucht, die Kritiker zu überzeugen, indem er argumentiert, Nord Stream 2 sei bei seinem Amtsantritt im Januar bereits zu mehr als 90 Prozent fertiggestellt worden, er habe das Projekt also gar nicht mehr verhindern können.
Scharfe Kritik des ehemaligen polnischen Außenministers Sikorski
An dieser Argumentation gibt es Kritik. Radosław Sikorski, der die Delegation für die Beziehungen zu den USA im Europaparlament leitet, bestätigte gegenüber Journalisten in Washington, das US-Außenministerium habe erklärt, man sei zu der Auffassung gekommen, dass Sanktionen nicht funktionierten und man daher lieber auf einen „Neustart“ mit Deutschland setze.
Er sei sich aber nicht sicher, dass das stimme, denn die Sanktionen hätten ja offenbar gewirkt, sagte Sikorski. „Wer weiß, was passiert wäre, hätte man sie bis September in Kraft gelassen, wenn die Deutschen eine neue Regierung wählen.“ Aber die Sache sei nun entschieden.
Der ehemalige polnische Außenminister kritisierte den Deal mit deutlichen Worten. „Die harte Wahrheit ist, dass es nicht genügend russisches Gas gibt, um sowohl die Druschba-, die Jamal- als auch die Nord-Stream-2-Pipeline zu füllen.“
„Washington opfert Interessen von Mittel- und Osteuropa wegen China“
Russlands Präsident Wladimir Putin habe bereits zu den Ukrainern gesagt: „Jetzt, wo ich Nord Stream 2 habe, werdet ihr nett zu mir sein.“ Dies sei von Anfang an Sinn und Zweck gewesen: die Ukraine ihrer Transitgebühren zu berauben und sie zu erpressen.
Besonders scharf fällt Sikorskis Kritik an Deutschland aus. Deutschland habe sich entschieden, seinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil über das geopolitische Interesse der gesamten EU zu stellen und besonders über die Sicherheitsinteressen von Mittel- und Osteuropa, sagte er.
Die Biden-Regierung wiederum sei der Auffassung, dass China die größte Bedrohung darstelle, sagte der polnische Europaabgeordnete: „Dass sie Europa für China braucht, und dass Deutschland der Schlüssel zu Europa ist.“ Dafür opfere Washington nun die Interessen Mittel- und Osteuropas und gebe „grünes Licht“ für Nord Stream 2.