Merkels Abschiedsbesuch in den USA: Washington erwartet noch immer eine stärkere Führungsrolle Deutschlands
Merkel wurde als moralische Anführerin des Westens gefeiert - aber das reicht US-Präsident Biden nicht. Über unerfüllte Wünsche. Ein Kommentar.
Bis zuletzt wurde an den Details dieses Besuches gefeilt. Wenn Angela Merkel nun am Donnerstag mit Joe Biden zusammen trifft, ist das bereits der vierte US-Präsident, der die Bundeskanzlerin im Weißen Haus empfängt. Biden wird aber der letzte sein. Zum Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit dient diese USA- Reise daher einem doppelten Zweck: dem Abschied und dem Neuanfang.
Abschied von einer Kanzlerin, die alle Höhen und Tiefen des transatlantischen Verhältnisses der letzten Jahre miterlebt, mitgestaltet und ja: mit ausgehalten hat. Schon ihr erster Besuch 2006 sollte vor allem eines bewirken – das durch den Irak- Krieg strapazierte Verhältnis entspannen.
Dass ihr das gelungen ist, dafür spricht ein seltenes Interview der Deutschen Welle mit George W. Bush. Da spricht der Ex-Präsident, dessen Ansehen in Deutschland lange Zeit sehr gering war, von der „lieben Angela“, die „Klasse und Würde“ in ihr Amt gebracht habe, und davon, dass sie sehr harte Entscheidungen treffen könne. Merkel sei „eine mitfühlende Führungsfigur, eine Frau, die keine Angst hat, zu führen“.
Washingtons Hoffnung war bereits 2006, dass diese Kanzlerin zur zentralen Ansprechpartnerin im komplizierten Europa werden würde. Deutschland solle endlich Führungsverantwortung übernehmen.
Es ist keine emotionelle Abschiedstournee, sondern ein Arbeitsbesuch
15 Jahre später ist dieser auch unter Barack Obama immer wieder geäußerte Wunsch noch nicht erfüllt geworden. Die Tatsache, dass Merkel die erste europäische Regierungschefin im Biden-Weißen-Haus ist, zeugt daher nicht nur von Respekt. In freundlichen Sätzen wie denen von Außenminister Antony Blinken – „Die USA haben keinen besseren Freund als Deutschland“ – offenbart sich erneut diese Erwartungshaltung.
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Dass die Reise als Arbeitsbesuch deklariert wurde, zeigt: Es geht nicht um eine emotionale Abschiedstournee, zumindest nicht vorrangig. Ja, Merkel erhält eine weitere Ehrendoktorwürde, und ja, mit Ehemann Joachim Sauer ist sie zum Dinner bei den Bidens eingeladen.
Aber nach vier Jahren Donald Trump drängen die Probleme, die der neue Mann im Weißen Haus angehen will – auch mit Deutschlands Hilfe. So kündigte Bidens Sprecherin Jen Psaki einen „zukunftsweisenden Besuch“ an, bei dem weniger über alte Zeiten als über schwierige Themen wie Nord Stream 2, den Kampf gegen den Klimawandel und die Pandemie sowie über das Verhältnis zu China und Russland gesprochen werden wird.
Gleichzeitig will die US-Regierung mehr darüber herausfinden, wer auf Merkel folgen könnte und was das für die Beziehungen bedeutet. Die Kanzlerin hat vor ihrem Abflug auf die Verlässlichkeit ihrer potenziellen Nachfolger verwiesen. Das alleine reicht indes noch nicht, um Washington zu beruhigen.
Mit Neugierde wurden vor ein paar Wochen zwar Spekulationen über eine mögliche grüne Kanzlerin verfolgt – immerhin hat Biden den Klimaschutz als zentrales Thema der Außenpolitik eingestuft. Aber noch überwiegt die Sorge, dass Merkels Abgang ein Vakuum hinterlässt, das den ersehnten Neustart erschweren könnte.
Das Ansehen der Kanzlerin, die zeitweise gar als wahre Anführerin des Westens, als moralische Alternative zu Trump gefeiert wurde, ist groß, auch wenn Washington weiter auf mehr deutsche Führungsverantwortung pocht. Wen immer Biden als nächsten Besucher aus Berlin empfangen wird: Die Erwartungen, die sich daraus speisen, sind enorm.