Die Theorie der „Großen Lüge“: US-Republikaner wollen Trump-Kritiker bestrafen
Die Republikaner stützen Donald Trumps Theorie der gestohlenen Präsidentschaftswahl. Sie machen Druck auf andersdenkende Parteimitglieder wie Liz Cheney.
Manchmal werden Umfragen überschätzt. Aber ab und zu ist es auch so, dass sie gar nicht ernst genug genommen werden können. Auf ein gewaltiges Problem weist in den USA gerade eine Erhebung des Senders CNN hin, erstellt vom Umfrageinstitut SSRS. Demnach sehen 70 Prozent der befragten Anhänger der Republikanischen Partei Joe Biden nicht als den legitimen Gewinner der Präsidentschaftswahl, wovon 97 Prozent der Demokraten überzeugt sind. Mehr als zwei Drittel der Anhänger einer unterlegenen Partei wollen das Ergebnis einer Wahl nicht akzeptieren – das verheißt nichts Gutes.
Gleichzeitig wächst der Druck auf republikanische Politiker, sich hinter der von Ex-Präsident Donald Trump verbreiteten Theorie der „Big Lie“ zu versammeln, für die es keine Belege gibt und die letztlich zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar geführt hat. Kongressmitglieder wie die Abgeordnete Liz Cheney aus Wyoming, immerhin die Nummer drei der Republikaner im Repräsentantenhaus, oder Alaskas Senatorin Lisa Murkowski, die Trump für die gewaltsamen Ausschreitungen verantwortlich machen, sollen abgestraft werden.
Liz Cheney muss um ihre Ämter kämpfen
Cheney, die ihre Führungsrolle in der Fraktion bereits verlieren sollte, nachdem sie für ein Impeachment von Trump wegen dessen Verhaltens rund um den 6. Januar gestimmt hatte, muss derzeit erneut um ihre Ämter kämpfen. Ihre wiederholte Kritik an Trump sei wenig „hilfreich“, erklärte Kevin McCarthy, der Minderheitsführer der Republikanischen Partei im Repräsentantenhaus. In den sozialen Netzwerken wurde sie hart angegangen, weil sie Präsident Biden nach dessen Rede vor dem Kongress in der vergangenen Woche mit einem Faustgruß begrüßt hatte.
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Bei einer ersten geheimen Abstimmung der Fraktion Anfang Februar hatten nur 61 der Abgeordneten für Cheneys Rückzug gestimmt. Aber einige der 145, die sich damals noch für ihren Verbleib ausgesprochen hatten, verlieren nun offenbar die Geduld mit der prominenten Trump-Kritikerin aus den eigenen Reihen. Noch im Mai, so heißt es, könne sie abgewählt werden. Wie McCarthy sich verhalten wird, ist noch offen.
Auch zu Hause in Wyoming muss die durchaus konservative Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney mit Blick auf die 2022 anstehenden Zwischenwahlen mit Widerstand rechnen: Trump hat geschworen, einen parteiinternen Gegenkandidaten zu unterstützen.
Die konservative Republikanerin legt nach
Das hält Cheney nicht ab, die eine eigene Präsidentschaftskandidatur 2024 nicht ausschließen will, ihre Kritik an den falschen Behauptungen und an Trump zu äußern. Am Montag legte sie nach und twitterte: „Die Präsidentschaftswahl 2020 wurde nicht gestohlen. Jeder, der das behauptet, verbreitet THE BIG LIE, wendet sich ab von der Herrschaft des Rechts und vergiftet unser demokratisches System.“
Das war offenbar eine direkte Reaktion auf den früheren Präsidenten. Denn der hatte eine Stunde zuvor eine seiner Mails an Unterstützer verschickt – twittern darf er derzeit ja nicht –, in der er erklärte: „Die betrügerischer Präsidentschaftswahl von 2020 wird von diesem Tag an THE BIG LIE heißen!“
Wie Cheney kriegt auch der ebenfalls konservative Mike Romney zu spüren, was passiert, wenn man als Republikaner derzeit Trump kritisiert. Der Senator aus Utah, der 2012 selbst mal Präsidentschaftskandidat seiner Partei war und seinen Sitz 2016 mit einer enormen Vorsprung gewonnen hatte, wurde bei einer Parteiveranstaltung in seinem Heimatstaat am Wochenende ausgebuht. Der Grund: Romney hatte zwei Mal für ein Impeachment von Trump gestimmt – das bringt die Basis in Rage.
In Arizona werden Stimmzettel neu ausgezählt
Auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene haben es ebenfalls diejenigen zunehmend schwer, die dazu aufrufen, das Wahlergebnis endlich zu akzeptieren. In Arizona läuft derzeit gar eine Neuauszählung von 2,1 Millionen Stimmzetteln im größten Wahlbezirk des Bundesstaates, Maricopa County, zu dem auch die Hauptstadt Phoenix gehört. Die Demokraten hatten sich die elf Wahlleutestimmen in dem lange konservativ wählenden Bundesstaat am 3. November gesichert, allerdings lediglich mit einem Vorsprung von 10500 Stimmen (0,3 Prozent).
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Zwar würde selbst ein nachträglicher Sieg Trumps in Arizona am Gesamtausgang der Wahl nichts ändern. Und das private Unternehmen Cyber Ninjas, das die Auszählung im Auftrag des republikanisch geführten Senats von Arizona vornimmt, gilt nicht als neutrale Instanz: Der Geschäftsführer der Firma hat nach Informationen der „Washington Post“ bereits mehrfach Zweifel am korrekten Ablauf der Wahl geäußert.
Als nächstes könnte Georgia folgen
Aber die Vorstellung, dass sechs Monate nach der Wahl Trump plötzlich Aufwind erfährt und sich danach weitere knappe Wahlergebnisse in hart umkämpften Staaten wie Georgia oder Pennsylvania vornehmen könnte, sehen viele mit großer Sorge – auch in der Republikanischen Partei. „Ich bin sehr besorgt, dass sich dies auf jeden einzelnen Staat in unserem Land auswirken könnte“, zitiert die Zeitung Kim Wyman, die republikanische Innenministerin des Bundesstaats Washington. Ein administrativer Prozess werde politisiert. Der Republikaner Gabriel Sterling, der den Wahlablauf in Georgia überwacht und sich dabei mehrfach mit Trump angelegt hatte, twitterte, die weder transparente noch legale Auszählung in Arizona sei ein „weiterer Schritt, der das Vertrauen in Wahlen untergräbt“.
In Georgia ist die Lage besonders kompliziert, weil der republikanische Gouverneur Brian Kemp und sein Innenminister Brad Raffensperger einerseits dem Drängen widerstanden hatten, das Wahlergebnis zu kippen – was Trump dazu brachte, Kemp zum Rücktritt aufzufordern und einen Gegenkandidaten für Raffensperger für die Wahl im kommenden Jahr zu unterstützen. Andererseits hat Kemp gerade erst eine umstrittene Wahlrechtsreform in Georgia in Kraft gesetzt, von der Kritiker sagen, sie solle vor allem Schwarze und andere Minderheiten vom Wählen abhalten, da diese eher für die Demokraten stimmten. Vielen in der Partei geht aber selbst dies nicht weit genug.