US-Rückzug aus Syrien: Unter Trump will Amerika nicht mehr Schutzmacht der freien Welt sein
Die USA ziehen Truppen aus Nordsyrien ab. Der Applaus seiner Wähler ist Trump sicher. An strategischer Außenpolitik ist er nicht interessiert. Ein Kommentar.
Die Schutzmacht der freien Welt dankt ab. Mit der Ankündigung, ihre Truppen aus Nordsyrien abzuziehen und der Türkei das Feld zu überlassen, setzen die USA unter ihrem 45. Präsidenten um, was dieser seinen Anhängern versprochen hat: Amerikanische Soldaten kehren aus den Kampfzonen der Welt zurück nach Hause. Die von Donald Trump regierte Weltmacht ist nicht länger bereit, außenpolitische Verantwortung an vermeintlich weit entfernten Orten zu tragen, wo es ihr auf den ersten Blick nichts bringt. Der Applaus vieler kriegsmüder Wähler wird ihm sicher sein.
Das Bild indes, das seine Entscheidung von Sonntagabend bei Gegnern wie Verbündeten hinterlässt, ist verheerend. Mit dem in zwei Absätzen verkündeten Rückzug der US-Truppen liefert er die kurdischen Kämpfer, die vor allem auch für den Westen die Terrorherrschaft des „Islamischen Staates“ beendet haben, einer türkischen Invasion aus. Die einstmals treuesten Verbündeten, die mehrere tausend Kämpfer im Einsatz gegen die IS-Dschihadisten verloren haben, fühlen sich zurecht verraten.
Die Kurden sprechen von „Dolchstoß“
Zwar geht es nur um ein paar hundert US-Soldaten, die aus Stellungen an der syrisch-türkischen Grenze abgezogen werden. Auch schob Trump am Montag angesichts massiver Kritik die Warnung an die Türkei nach, nichts zu unternehmen, was er für „tabu“ halte. Aber die knappe Erklärung des Weißen Hauses aus der Nacht ist eindeutig: Im Fall eines offenbar bevorstehenden türkischen Angriffs in Nordsyrien werden die USA die kurdische YPG-Miliz nicht verteidigen. Da das dortige IS-„Kalifat“ besiegt sei, müssten US-Truppen nicht mehr länger präsent sein.
Für die Kurden ist diese Entscheidung ein Schock, sie sprechen von einem „Dolchstoß“. Bis zuletzt hatten sie sich auf die Sicherheitsgarantien Washingtons verlassen, das noch Anfang August einen türkischen Einmarsch in Syrien als „inakzeptabel“ bezeichnet hatte. Nun müssen sie auf brutale Weise lernen, was die Zusagen der Supermacht USA unter diesem Präsidenten bedeuten.
Trump ist an strategischer Außenpolitik nicht interessiert. Unter ihm sollen die USA, so twitterte er am Montagmorgen, aus „lächerlichen und endlosen Kriegen“ aussteigen. Dass seine eigenen verteidigungs- und sicherheitspolitischen Experten da gerade mit Blick auf Syrien und einen wieder erstarkenden IS anderer Ansicht sind, ignoriert er. Allzu viele Experten sind in seinem engeren Umfeld allerdings auch nicht mehr geblieben.
Auch die Europäer wurden überrascht
Von Trumps Entscheidung wurden aber nicht nur die Kurden überrascht. Auch die Europäer erfuhren von dem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erst im Nachhinein. Gewarnt waren sie indes. Immer wieder hatten amerikanische Politiker, Diplomaten und Militärs versucht, Europa zu mehr Engagement in der Region zu bewegen. Ohne größeren Erfolg. Auch bei der Frage, was mit den von den Kurden bewachten IS-Gefangenen passiert, spielten die Europäer auf Zeit. Das rächt sich nun. Der zweite Absatz der Weißen- Haus-Erklärung hat einen klaren Adressaten: „Frankreich, Deutschland und andere europäische Nationen“ hätten ihre in Nordsyrien inhaftierten Staatsangehörigen, die sich dem IS angeschlossen hatten, nicht zurückgeholt. Deshalb werde nun die Türkei zuständig sein. Welche Risiken das birgt, ist den USA offenbar egal.
Auch die Europäer müssen einmal mehr auf die harte Tour lernen: Trumps Amerika hat das Interesse an vorausschauender Weltpolitik verloren.