Ohne Bolton nur ein Täuberich: Wie Trumps neue Sicherheitspolitik aussieht
Donald Trumps Sicherheitsberater John Bolton war einer der letzten Falken im Weißen Haus. Wird die Welt nach seinem Rücktritt ein friedlicherer Ort?
Es war nicht der erste Konflikt, in den US-Präsident Donald Trump und sein Nationaler Sicherheitsberater John Bolton gerieten. Aber es war ein exemplarischer, hinter dem die Frage steht: Wie lassen sich amerikanische Interessen am besten durchsetzen? Mit maximalem Druck, einer Politik der Härte oder vielleicht doch mit Gesprächsbereitschaft und persönlichem Einsatz des Präsidenten?
Dass Bolton so offen seine Ablehnung kommunizierte, die radikalislamischen Taliban in die USA einzuladen, hat Trump gar nicht gefallen. Der widerspenstige Berater hatte ihm einmal zu oft widersprochen. Am Dienstag zog Trump den Schlussstrich und teilte Bolton mit, dass seine Dienste künftig nicht mehr gebraucht würden. Über Twitter.
Was sind Trumps Motive?
Der Präsident ist vorsichtig ausgedrückt nicht besonders beratungsfähig. Er glaubt an seine Überzeugungskraft im persönlichen Gespräch – selbst im Umgang mit Diktatoren und erklärten Feinden Amerikas. Trump hält sich selbst für den besten Dealmaker aller Zeiten, im Geschäftlichen wie im Politischen. Widerspruch mag er nicht – wer bei ihm punkten will, umgarnt ihn zunächst einmal. Das war Boltons Sache nicht.
Dazu kommt, dass Trump im Wahlkampf versprochen hat, die Einsätze des US-Militärs in der Welt zurückzufahren. Der Präsident, der sich einst selbst krankschreiben ließ, um dem Vietnam-Krieg zu entgehen, hegt zwar eine große Bewunderung für alles Militärische. Aber der Geschäftsmann in ihm weiß, dass Militäreinsätze derzeit bei vielen Amerikanern nicht hoch im Kurs stehen. Sie kosten viel Geld – das er lieber im Inland ausgeben würde. Für Infrastruktur zum Beispiel, nicht zuletzt für sein Prestigeprojekt, die Mauer an der Grenze zu Mexiko.
Weit mehr Amerikaner als nur Trumps Wähler haben außerdem genug von den nicht enden wollenden Konflikten, aus denen ihr Land sich kaum mehr herauszulösen vermag. Von den Särgen, die aus den Einsatzgebieten zurückgeschickt werden, den vielen Kriegsversehrten, die sich so oft schwer tun, wieder in der Heimat anzukommen. Die Rolle als Weltpolizist, die Interventionisten wie Bolton noch immer vorschwebt, ist vielen Amerikanern 18 Jahre nach den Anschlägen auf New York und Washington und dem Beginn des „Krieges gegen den Terror“ lästig. Sie finden, ihr Land habe genug getan, zu viele Opfer gebracht. Jetzt solle es sich mal um sich selbst kümmern. Trump weiß um diese Gemütslage.
Welche Folgen hat das für den Afghanistan-Einsatz?
Seinen Wählern hat Trump den allmählichen Rückzug der US-Truppen vom Hindukusch versprochen. Immerhin handelt es sich mit schon jetzt 18 Jahren um den längsten Kriegseinsatz in der amerikanischen Geschichte. Im kommenden Jahr will er wiedergewählt werden. Das klappt, so sein Kalkül, besser mit konkreten Ergebnissen. Seit Monaten lässt er den US-Diplomaten Zalmay Khalilzad über einen Waffenstillstand mit den Taliban und den nahezu kompletten Abzug der 14.000 US-Soldaten verhandeln – und umgeht dabei die Regierung in Kabul unter Präsident Aschraf Ghani.
Für den vergangenen Sonntag hatte er die Taliban sogar zu einem Friedensgipfel nach Camp David eingeladen, den legendären Schauplatz des historischen Friedens zwischen Israel und Ägypten 1978. Bolton war gegen die Aufwertung der Taliban und gegen einen nahezu kompletten Abzug der US-Truppen. Man könne den Taliban nicht trauen, die USA müssten in ausreichender Stärke präsent bleiben, um die Regierung Ghani vor einem Sturz zu schützen. Maximal 5000 Soldaten könne Trump zurückholen, um sein Wahlversprechen zu erfüllen, meinte Bolton.
Trump sagte den Camp-David-Gipfel schließlich ab, nach einer Reihe blutiger Anschläge in Afghanistan, mit denen die Taliban den Druck erhöhen wollten. Die Zeit läuft für die Taliban. Trump hat wenig Druckmittel, sofern er sie nicht militärisch in die Defensive bringt.
Gibt es Bewegung im Konflikt mit dem Iran?
Das wird sich erst noch zeigen. Trump hatte das Atomabkommen gekündigt, um vier Nachbesserungen zu erreichen: den unbefristeten Stopp des Atomprogramms, den Stopp des Raketenprogramms, ein Ende der Terrorfinanzierung und ein Ende der Entsendung von Revolutionsgarden in die Bürgerkriege der Region.
Als die von Europa intendierte Linderung der Sanktionen gegen den Iran an den US-Drohungen mit Sekundärsanktionen scheiterte, erhöhte Teheran mit Angriffen auf die freie Schifffahrt im Persischen Golf den Druck. Nach dem Abschuss einer US-Drohne, die Foto-Beweise sammelte, dass der Iran hinter den Attacken auf Handelsschiffe steckt, folgte Trump zunächst den „Falken“ um Bolton, die einen Vergeltungsschlag forderten, etwa gegen Radaranlagen. In letzter Minute zog er den Befehl aber zurück, nach eigener Darstellung, um zu hohe Opferzahlen unter Iranern zu vermeiden.
Mehrfach hat Trump angeboten, sich ohne Vorbedingungen mit Irans Präsident Hassan Ruhani zu treffen. Zum Missfallen Boltons. Der sagt, ein Gipfel mit dem US-Präsidenten sei so wertvoll für den Iran, dass die USA vorab signifikante Gegenleistungen verlangen sollen. Inzwischen erwägt Trump umgekehrt die Aufhebung einiger Sanktionen als Vorleistung der USA, um dem Iran ein Treffen schmackhaft zu machen. Boltons eigentliches Ziel war „Regime Change“ in Teheran. Trump hat ihm mehrfach widersprochen, zuletzt Ende August: „We are not looking for regime change in Iran.“ Die Mullahs können abwarten, ob Trump noch bessere Bedingungen für ein Treffen anbietet.
Wie sieht es bei Nordkorea aus?
Im ersten Amtsjahr hatte Trump mit „Fire and Fury“ gedroht, falls Nordkorea die Atom- und Raketentests nicht einstelle. Obwohl Kim Jong Un keine Zugeständnisse machte, traf Trump ihn im Februar 2019 in Hanoi. Auch dort erreichte er sein Ziel nicht. Bolton hatte die Zusage der Teststopps zur Vorbedingung für das Treffen machen wollen, das einen Propagandaerfolg für Kim bedeute.
Ungeachtet des Misserfolgs besuchte Trump Kim am 30. Juni in der Entmilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea. Dabei betrat er als erster US-Präsident nordkoreanischen Boden und reichte Kim die Hand. Trump behauptete, man habe sich auf die Wiederaufnahme der Gespräche über das Ende des Atom- und Raketenprogramms geeinigt. Bolton war nicht dabei und besuchte zur selben Zeit die Mongolei, ein Ausdruck der Meinungsverschiedenheiten. Nordkorea hat seither mehrfach Raketen getestet – was folgenlos blieb. Kim zeigt mehr Geduld als Trump.
Von Venezuela hört man nur wenig. Was ist da los?
Trump hoffte auf einen raschen Regimewechsel, als sich der Machtkampf zwischen Präsident Nicolas Maduro und dem Parlament 2017 zuspitzte. Machtvolle Straßendemonstrationen gegen eine sich verschärfende Wirtschaftskrise schienen Oppositionsführer Juan Guaidó an die Macht zu bringen.
Bolton dagegen forderte eine Militärintervention der USA oder zumindest starken Druck auf Venezuelas Generale, weil das Militär den Ausschlag geben würde. Trump sagte, die USA betrachteten Guaidó als Staatsoberhaupt Venezuelas, und verhängte Sanktionen gegen Maduro. Im Rückblick hat Bolton Recht behalten. Der Druck reichte nicht, um das Militär auf Guaidós Seite zu ziehen. Maduro ist weiter an der Macht. Von Guaidó hört man nichts mehr.
Warum geht Trump mit China härter um?
Gegenüber China folgt Trump nicht dem gängigen Muster: Konflikte verbal anzuheizen, um dann Verständigung zu suchen. Dieser Streit liegt freilich anders. Die Rivalität, wer von den beiden Supermächten die Weltpolitik künftig dominiert, wird nicht militärisch ausgetragen, sondern auf dem Gebiet der Wirtschaft und der technischen Überlegenheit: mit Hilfe von Strafzöllen auf Waren, bei denen China sich aus US-Sicht unfaire Vorteile verschafft.
Dabei findet Trump breite Unterstützung sowohl in den USA als auch bei westlichen Verbündeten von Europa bis Asien. Der Westen müsse China zwar nicht als Feind, aber als Rivalen betrachten und die eigenen Interessen energischer als bisher vertreten: Das sagen so unterschiedliche Akteure wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der Bundesverband der Deutschen Industrie und der China-Experte des Europäischen Parlaments, der Grüne Reinhard Bütikofer. China reagiert mit einer Doppelstrategie, verhängt Gegenzölle, macht aber auch Angebote, wie sich die Handelsbilanz zu Gunsten der USA verändern lässt.
Wird die Welt jetzt ein friedlicherer Ort?
Das ist unwahrscheinlich. Der „Kriegstreiber“ Bolton ist zwar weg. Rand Paul, Senator von Kentucky und ein Aushängeschild des nationalpopulistischen Flügels, freut sich über Boltons Abgang: „Die Kriegsgefahr rund um die Erde sinkt beträchtlich.“ Aber Druckpotenzial und Abschreckungsmacht der USA haben gelitten, weil Trump seinen verbalen Drohungen selten Taten folgen lässt. Das sehen auch Amerikas Gegner. Das Vakuum, das die Vereinigten Staaten hinterlassen, wenn sie sich zunehmend zurückziehen, wird von anderen, weniger demokratisch geprägten Staaten gefüllt werden. Von Russland zum Beispiel, wie es sich in Syrien schon eine Weile beobachten lässt. Oder von China, das seinen Einfluss ohne Rücksicht auf Verluste ausdehnen will.
Moderate Republikaner wie der Senator Mitt Romney, Präsidentschaftskandidat 2012, bedauern Boltons Abgang. Der sei kein Ja-Sager, habe die Dimensionen globaler Machtpolitik verstanden, dank ihm habe Trump Rat aus unterschiedlichen Perspektiven erhalten. Boltons Rückzug sei „ein großer Verlust“. Trumps Chancen, durch Druck bessere Deals zu erzielen, sinken damit.
Dazu kommt, dass die amerikanische Außenpolitik künftig eher noch unberechenbarer werden wird. Denn umso weniger außenpolitische Experten und Strategen – das zumindest war Bolton, wenn auch wenig erfolgreich – der Präsident um sich herum versammelt, umso mehr wird er die Dinge selbst in die Hand nehmen. Wird spontan entscheiden, was er in einer Situation für angebracht hält. Denn Trump ist fest davon überzeugt: Er weiß am allerbesten, wie es geht. Dass die Außenpolitik der einzig verbliebenen Supermacht nun noch mehr von der Laune eines einzigen Mannes abhängen soll, ist alles andere als ein Grund zur Entspannung.