Nach dem Brexit-Votum: Union und SPD streiten über Europas Zukunft
Wie geht es weiter mit der EU? Die Union will weniger Zentralisierung und Macht für Brüssel – die SPD fordert mehr Geld und eine "echte europäische Regierung".
- Armin Lehmann
- Lutz Haverkamp
Gut eine Woche nach der Brexit-Entscheidung der Briten werden die grundverschiedenen Vorstellungen innerhalb der deutschen Bundesregierung über den Kurs in der Europapolitik deutlich. Auf der einen Seite stehen die Sozialdemokraten, die einen wirtschaftlichen Wachstumskurs, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und einen Umbau von Institutionen der Europäischen Union fordern. Auf der anderen Seite finden sich Unionspolitiker, die eine weitere Zentralisierung zugunsten Brüssels ablehnen.
So warnte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Koalitionspartner SPD vor falschen Weichenstellungen. In der „Welt am Sonntag“ widersprach er Forderungen, mit mehr staatlichen Investitionen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Es könne nicht angehen, „die falsche Idee“ wiederzubeleben, „dass man mit neuen Schulden Wachstum auf Pump erzeugt“. Schäuble plädierte für „Schnelligkeit und Pragmatismus“ bei der Lösung von Problemen in Europa – notfalls auch ohne Führungsrolle der EU-Kommission in Brüssel. „Wenn die Kommission nicht mittut, dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand, lösen die Probleme eben zwischen den Regierungen.“
Schäuble: Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Dieser „intergouvernementale Ansatz“ habe sich in der Euro-Krise bewährt. „Seien wir doch ehrlich, die Frage, ob das europäische Parlament die entscheidende Rolle bekommt oder nicht, ist keine, die die Menschen sonderlich bewegt. Die Menschen interessiert, ob wir das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen.“
Außerdem brachte der Finanzminister erneut die Idee eines Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ins Spiel: „Wenn nicht alle 27 von Anfang an mitziehen, dann starten halt einige wenige. Die EU müsse „jetzt vor allem bei einigen zentralen Problemen zeigen, dass sie diese schnell lösen kann.“ Nur so werden sich die Leute überzeugen lassen und wieder Vertrauen fassen.“ Neben der Flüchtlingskrise nannte Schäuble den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte in Berlin, das Votum der Briten gebe die Chance, Europa so zu verändern, dass es wieder mehr Zustimmung erhalte. Er kritisierte Pläne für härtere Sparauflagen in notleidenden Ländern. Die EU sei zunehmend gespalten in den ärmeren Süden und den reicheren Norden. Die einen verstünden die EU als „Zwangsjacke“, die anderen müssten verstehen, dass wachsender Druck nichts bewirke.
Der Wirtschaftsminister hatte am Donnerstag bei einem Treffen mit dem linken griechischen Regierungschef Alexis Tsipras mehr Wachstumsimpulse für EU-Krisenländer gefordert. „Wir haben gerade gesehen, arme Leute stimmen für Out“, sagte Gabriel mit Blick auf das Brexit-Votum. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ plädierte er zudem für eine kleinere EU-Kommission: „Ein Europa, in dem 27 Kommissare sich beweisen wollen, macht keinen Sinn. Auch hier tut eine Verschlankung gut.“
Stoiber: Schluss mit den Zentralisierungswahn
Der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) warnte die EU davor, auf noch mehr Zentralisierung zu setzen. Der Ehrenvorsitzende der CSU sagte dem Tagesspiegel: „Die meisten Verantwortlichen in Brüssel, an der Spitze Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, rufen jetzt nach noch mehr Zentralisierung, noch mehr Kompetenzen, jetzt müsse unbedingt ein europäischer Finanzminister her. Das ist aber grundfalsch.“
Der Brexit sei eine Zäsur, „und wir müssen zugeben, dass wir zu viel zentralisiert haben, dass Europa zu weit weg ist von den Menschen. Europäische Entscheidungen werden oft nicht mehr als Entscheidungen für die Menschen wahrgenommen, sondern sind abstrakt. Das ist eine erschreckende Entfremdung. Das muss sich ändern. Es muss Schluss sein mit diesem Zentralisierungswahn.“
Der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz fordert dagegen den Umbau der Europäischen Kommission zu „einer echten europäischen Regierung“. In einem Beitrag für die „FAZ“ schrieb Schulz, diese EU-Regierung solle „der parlamentarischen Kontrolle des Europaparlaments und einer zweiten Kammer, bestehend aus Vertretern der Mitgliedstaaten, unterworfen“ sein. Das sei den Menschen aus ihren Nationalstaaten bekannt und werde „politische Verantwortlichkeit auf der EU-Ebene transparenter machen“. Unzufriedenheit mit der EU führe dann nicht mehr dazu, schreibt Schulz, dass sie grundsätzlich infrage gestellt werde. Vielmehr könnten die Bürger „durch Wahlen eine europäische Regierung durch eine andere ersetzen“. (mit dpa)