FDP profitiert in Umfrage: Union stürzt in Wählergunst weiter ab – Grüne mit 27 Prozent klar vorn
In einer neuen Umfrage verliert die Union weitere drei Prozentpunkte. CSU-Chef Söder glaubt aber weiter an den Wahlsieg – SPD-Kanzlerkandidat Scholz auch.
Zumindest einem Umfrageinstitut zufolge ist der Höhenflug der Grünen erstmal gestoppt. Im Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die „Bild am Sonntag“ verlor die Partei von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Vergleich zur Vorwoche einen Prozentpunkt. Mit 27 Prozent liegen die Grünen aber weiter klar vor der Union, die demnach sogar weitere drei Prozentpunktpunkte verlor. Für CDU und CSU würden aktuell nur noch 24 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmen.
Um jeweils zwei Prozentpunkte zulegen können in dieser Umfrage die SPD auf 15 Prozent und die FDP auf elf Prozent. Für die Liberalen ist dies der höchste Wert seit November 2017, kurz bevor Parteichef Christian Lindner nach der Bundestagswahl die Jamaika-Verhandlungen platzen ließ. Unverändert bleiben die Werte von Linkspartei (sieben Prozent) und AfD (zehn Prozent).
Die Grünen als stärkste Partei hätten gleich drei Koalitionsmöglichkeiten, um ins Kanzleramt einzuziehen: Grün-Schwarz, Ampel, Grün-Rot-Rot. Die Union könnte nur mit einem Bündnis aus SPD und FDP den Kanzler stellen.
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Bei einer Kanzler-Direktwahl würde Baerbock deutlich besser abschneiden als ihre Mitbewerber, berichtete die Zeitung zudem unter Berufung auf eine Insa-Umfrage. 26 Prozent würden Baerbock direkt wählen, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz käme auf 16 Prozent und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) auf 15 Prozent. 32 Prozent sind für keinen der drei Kandidaten.
Söder glaubt an Laschets Sieg
Trotz des Absturzes der Union in Umfragen glaubt CSU-Chef Markus Söder daran, dass Laschet die Wahl am 26. September gewinnen wird. „Die Union hat beste Chancen, das Kanzleramt wieder zu erobern“, sagte der bayerische Ministerpräsident der „Welt am Sonntag“ (WamS). Die Kernfrage laute, wem es am besten gelinge, Ökologie und Ökonomie zu verbinden. „Die Kerninspiration für mehr Klimaschutz dürfen wir nicht den Grünen überlassen“, sagte Söder.
„Die Grünen denken nur an radikalen Umweltschutz, ohne die Folgen für Arbeitsplätze im Blick zu haben. Die FDP hat vor allem radikale Marktinteressen im Blick, ohne die Nachhaltigkeit stärker zu bedenken. Nur die Union kann beides verbinden und kann damit am Ende erfolgreich sein.“ Die Union müsse ihre Ideen für mehr Klimaschutz nach vorn stellen und hier Schrittmacher werden.
Auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) stellte sich hinter den Kanzlerkandidaten Laschet. Einen Austausch des Kandidaten schließt er aus: „Das ist fernab jeder Vorstellungskraft“, sagte Günther in einem Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag.
In der SPD gibt es angesichts der schwachen Umfragewerte Forderungen nach einem Strategiewechsel. Der SPD-Politiker Ralf Stegner sagte der „WamS“: „Es braucht noch deutlich mehr Leidenschaft und Kampfgeist in der ganzen Partei, um den Wahlkampf zu reißen.“ Nötig sei eine breiter aufgestellte Führungsmannschaft im Wahlkampf. „Olaf Scholz steht für Erfahrung, Seriosität. Nach dem Motto „Olaf macht es allein“ wird es aber nicht gehen.“ Der Kanzlerkandidat brauche ein Team mit starken Frauen und Männern, die Themen besetzten.
Scholz: Nächster Kanzler von der SPD
Scholz aber zeigte sich am Wochenende siegessicher: „Die Union verliert erheblich an Zustimmung und wird nur ein Ergebnis von deutlich unter 30 Prozent erreichen. Sie hat keine politischen Konzepte mehr aufzubieten und ihr Spitzenpersonal überzeugt nicht mal sie selbst“, sagte der Bundesfinanzminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Es ist möglich, das Kanzleramt zu erringen mit einem Wahlergebnis von oberhalb 20 Prozent. Und ich bin sehr zuversichtlich: Der nächste Kanzler wird ein Sozialdemokrat sein.“
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Für den Wahlforscher Matthias Jung hat die Personalfrage entscheidende Bedeutung. „Es wird jetzt in den kommenden Wochen immer mehr darum gehen, wem die Bürger am ehesten die Kanzler-Rolle zutrauen“, sagte Jung. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz habe wegen der „Dauerkrise“ seiner Partei nur Außenseiterchancen, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.
„Bisher hatte die Union strukturell das höchste Wählerpotenzial, doch ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet steht wahrlich nicht als strahlender Sieger der Entscheidung um Vorsitz und Kanzlerkandidat da“, sagte der Chef der Forschungsgruppe Wahlen. Davon könne nun Grünen-Chefin Baerbock profitieren, obwohl es keine richtige Wechselstimmung gebe. „Annalena Baerbock ist allerdings bei vielen Bundesbürgern noch kaum bekannt. Das trifft aber auch – außerhalb von Nordrhein-Westfalen – auf Armin Laschet zu.“
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Für Jung liegt das theoretische Wählerpotenzial der Grünen bei bis zu 60 Prozent. „Eine Mehrheit der Bevölkerung will mehr Ökologie und Klimaschutz“, sagte Jung. „Um 60 Prozent der Wähler können sich heute grundsätzlich vorstellen, ihre Stimme auch mal den Grünen zu geben“, erklärte der Wahlforscher.
Mitglieder- und Spendenrekord für Grüne
Jung zufolge punkten die Grünen zunehmend im bürgerlichen Spektrum. „Es gibt auch seit längerem keinen Streit untereinander, anders als bei Union und SPD“, sagte der Wahlforscher. „Das kommt an beim bürgerlichen Publikum, insofern kochen die Grünen heute auch mit einem früheren Erfolgsrezept der Union“, fügte er hinzu. Ob die Grünen ihre guten Umfragewerten bis zur Wahl halten können, sei aber unklar, sagte Jung. „Die Halbwertszeit für politische Stimmungen ist sehr kurz geworden“, betonte der Meinungsforscher.
Die Grünen können sich zudem über weitere Zahlen freuen – sie brechen im Superwahljahr ihre bisherigen Spenden- und Mitgliederrekorde. „Seit der Nominierung von Annalena Baerbock hatten wir über 3.700 Eintritte in die Partei. Wir liegen jetzt bei über 110.000 Mitgliedern“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Partei, Michael Kellner, der „WamS“. Die Wahlkampfspenden hätten 2,5 Millionen Euro erreicht. Darunter seien Großspenden, aber auch sehr viele kleinere Beträge. Nun könne man den Wahlkampfetat auf insgesamt zwölf Millionen Euro erhöhen, doppelt so viel wie 2017.